Kling Glöckchen. Friedrich Bornemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Bornemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847678298
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in die Seite.

      Wippert bemerkte jetzt, dass das, was er da sah, in Wirklichkeit wenig mit dem Ideal der da Vinci-Zeichnung zu tun hatte: Die Palette war rechteckig statt quadratisch; der Kreis, der bei da Vinci den ‚wohlgeformten Menschen’ einrahmte, fehlte; und: der Mann vor ihm lag nicht mittig auf der Palette. Vielmehr war er, vermutlich durch die Schaukelei am Kran, in Richtung einer der Längskanten verrutscht. Sein linker Arm baumelte über diese Kante.

      Wippert war jetzt wieder voll da: „Wir brauchen einen Arzt. Schnell! Ruf die 1-1-2!“, rief er.

      Es dauerte nur ein paar Minuten, bis der Rettungswagen und der Notarzt an der Baustelle ankamen. Der Arzt stellte fest, dass der Mann auf der Palette tatsächlich tot war. Bei der dann folgenden ersten Leichenschau fielen ihm vor allem die schweren Kopfverletzungen auf.

      „Kennen Sie den Mann?“, fragte er, an Wippert und Kruse gewandt.

      „Nein“, antwortete Wippert.

      Kruse stimmte ihm zu: „Den habe ich auch noch nie gesehen.“ Dann fragte er: „Können wir ihn nicht zudecken?“

      „Nein, auf keinen Fall! Das soll die Polizei machen. Ich kann hier nichts mehr tun.“

      Der Notarzt stellte den Totenschein aus und bescheinigte darin ‚eine nicht natürliche Todesursache’. Dann informierte er die Weseler Kripo und verschwand wieder - nicht ohne den dringenden Rat, nichts anzufassen oder zu verändern. Inzwischen hatten sich einige Neugierige um die Baustelle herum versammelt. Wippert und Kruse verschlossen den Eingang mit einem dafür vorgesehenen beweglichen Zaunstück. Dann warteten sie auf die Polizei.

      Ganz in Weiß

      Die Spurensicherung war schon eine geraume Zeit tätig, als die Kriminal-Hauptkommissare Armin Brasche und Hans Lüdenkamp am Großen Markt auftauchten.

      Brasche wandte sich an die drei Männer in Weiß, die zwischen den Sandsteinpaketen umherwuselten und ein bisschen wie Bergsteiger am Himalaja aussahen.

      „Hallo Schneider. Was macht die SpuSi?“, fragte er.

      „Die SpuSi sichert Spuren.“

      „Ach was!“

      „Jedenfalls hat sie das so lange getan, bis zwei offenbar schlecht gelaunte Kommissare am Tatort herumtrampelten.“

      „Hauptkommissare! Wenn schon, denn schon!“, korrigierte Lüdenkamp.

      „Na gut“, grinste Schneider.

      „Und? Wie sieht’s aus?“, fragte Brasche.

      „Der Tote ist tot“, kam postwendend die Antwort.

      „Geht’s ein bisschen detaillierter?“ Lüdenkamp klang ein wenig knurrig.

      „Natürlich“, sagte Schneider beschwichtigend. „Der Notarzt hat eine nicht natürliche Todesursache festgestellt. Und erhebliche Kopfverletzungen, die vermutlich ursächlich für den Tod sind.“

      „Wie und wo genau ist er gestorben?“, wollte Brasche wissen.

      „Mit ziemlicher Sicherheit nicht da oben auf der

      Palette.“

      „Oben auf der Palette?“, fragte Brasche verwundert.

      „Ja. Er baumelte da oben am Kran, als er entdeckt wurde.“

      „Wie kommt er jetzt nach hier unten?“

      „Die Bauleute haben ihn heruntergeholt.“

      „Und wieso kann er nicht da oben gestorben sein?“, fragte Lüdenkamp.

      „Weil wir kaum Blut auf der Folie gefunden haben, auf der er liegt. Bei den schweren Verletzungen müsste das anders aussehen.“

      „Gibt’s Hinweise auf Fremdverschulden?“, fragte Brasche.

      „Bis jetzt nicht.“

      „Aber der Tote kann sich doch nicht selbst da hingebeamt haben“, wandte Brasche ein und blickte nach oben, wo der Kranhaken langsam hin und her schaukelte.

      „Das müsst ihr rausfinden. Bis jetzt steht nur fest, dass er eine Funk-Fernbedienung für den Kran bei sich hatte.“

      Brasche grinste: „Hatte er die in der Tasche?“

      Schneider ging auf seinen Scherz ein: „Hast du schon mal einem nackten Mann …?“

      „Nein. Wo hatte er sie denn versteckt?“

      „Als der Notarzt den Toten umgedreht hat, ist sie heruntergefallen. Er hatte sie anscheinend in der

      rechten Hand.“

      „Dann ist er doch allein nach oben gefahren? Suizid?“

      „Nein, ganz bestimmt nicht. Seine Verletzungen kann er sich da oben kaum geholt haben. Und infolge der Schwere der Verletzungen kann er unmöglich selbst den Kran in Gang gesetzt haben, um nach oben zu fahren. Vermutlich ist er irgendwo hier unten gestorben.“

      „Sehr mysteriös“, stellte Lüdenkamp fest „Habt ihr Papiere oder Kleidung gefunden?“

      „Weder noch.“

      Brasche fragte: „Gibt es Fingerabdrücke an der Palette?“

      „Jede Menge! Aber auf der schwarzen Lackfolie ist das auch kein Wunder“, antwortete Schneider. „Apropos Folie. Die beiden Handwerker, die den Toten entdeckt haben, haben gesagt, dass bei einer der Paletten mit fertigen Steinen die Folie fehlt. Und bei einem der Steine haben sie eine Beschädigung festgestellt.“

      Brasche und Lüdenkamp gingen zu Wippert und Kruse, die etwas verunsichert außerhalb der Baustelle auf einer Treppenstufe saßen.

      „Kripo Wesel, Hauptkommissar Brasche. Mein Kollege, Hauptkommissar Lüdenkamp. Bitte erzählen Sie mal, was sich hier heute Morgen abgespielt hat.“

      Wippert und Kruse berichteten. Ab und zu stellten die beiden Kripo-Beamten ergänzende Fragen. Vor allem interessierte sie: „Was meinen Sie, wie der Tote nach da oben gekommen ist?“

      „Er muss die Fernbedienung geklaut haben und sich mit dem Kran gut auskennen. So ohne weiteres kann man mit dem nicht herumspielen. Und die Fernbedienung ist auch ein anderes Kaliber als die kleinen Dinger, die man vom Fernsehen kennt.“

      „Das heißt, dass da ein Fachmann am Werk war?“

      „Das glaube ich schon“, antwortete Wippert.

      „Gut. Der Tote oder jemand anderer hat also die Fernbedienung geklaut. Und wo ist sie wieder aufgetaucht?“

      „Auf der Palette. Der Notarzt hat sie entdeckt.“

      „Waren Sie dabei?“, fragte Lüdenkamp.

      „Nein, aber wir konnten das von hier aus beobachten“, antwortete Kruse. Brasche ging wieder zu Schneider.

      Turm-Verlies

      „Das mit der Fernbedienung ist merkwürdig“, stellte Brasche fest. „Der Tote kann aufgrund seiner Verletzungen nicht allein nach oben gefahren sein. Wozu hatte er dann die Fernbedienung?“

      „Keine Ahnung! Vielleicht hat sie ihm jemand in die Hand gedrückt.“

      Brasche ging wieder zu Lüdenkamp und den beiden Steinmetzen.

      „Kann man den Kran auch ohne Fernbedienung in Gang setzen?“, fragte er.

      „Ja sicher. Sonst hätten wir den Toten ja nicht nach hier unten bekommen.“

      „Wie geht das?“

      „Das ist ganz einfach, wenn man sich auskennt und den Schlüssel zum Kran hat“, sagte Kruse.

      „Und wer hat den Schlüssel?“

      „Helge, also der Polier, und ich.“