Heidis Lehr- und Wanderjahre. Johanna Spyri. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johanna Spyri
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742704849
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bald wieder verloren hatte.

       Er mußte noch etwas Geld haben, denn er ließ den Buben, den

       Tobias, ein Handwerk erlernen, Zimmermann, und der war ein

       ordentlicher Mensch und wohlgelitten bei allen Leuten im Dörfli.

       Aber dem Alten traute keiner, man sagte auch, er sei von Neapel

       desertiert, es wäre ihm sonst schlimm gegangen, denn er habe

       desertiert, es wäre ihm sonst schlimm gegangen, denn er habe

       einen erschlagen, natürlich nicht im Krieg, verstehst du, sondern

       beim Raufhandel. Wir anerkannten aber die Verwandtschaft, da

       meiner Mutter Großmutter mit seiner Großmutter

       Geschwisterkind gewesen war. So nannten wir ihn Öhi, und da

       wir fast mit allen Leuten im Dörfli wieder verwandt sind vom

       Vater her, so nannten ihn diese alle auch Öhi, und seit er dann

       auf die Alm hinaufgezogen war, hieß er eben nur noch der ›AlmÖhi‹.

       «

       »Aber wie ist es dann mit dem Tobias gegangen?« fragte

       gespannt die Barbel.

       »Wart nur, das kommt schon, ich kann nicht alles auf

       einmal sagen«, erklärte Dete. »Also der Tobias war in der Lehre

       draußen in Mels, und sowie er fertig war, kam er heim ins Dörfli

       und nahm meine Schwester zur Frau, die Adelheid, denn sie

       hatten sich schon immer gern gehabt, und auch wie sie nun

       verheiratet waren, konnten sie's sehr gut zusammen. Aber es ging

       nicht lange. Schon zwei Jahre nachher, wie er an einem Hausbau

       mithalf, fiel ein Balken auf ihn herunter und schlug ihn tot. Und

       wie man den Mann so entstellt nachhause brachte, da fiel die

       Adelheid vor Schrecken und Leid in ein heftiges Fieber und

       konnte sich nicht mehr erholen, sie war sonst nicht sehr kräftig

       und hatte manchmal so eigene Zustände gehabt, daß man nicht

       recht wußte, schlief sie, oder war sie wach. Nur ein paar

       Wochen, nachdem der Tobias tot war, begrub man auch die

       Adelheid. Da sprachen alle Leute weit und breit von dem

       traurigen Schicksal der beiden, und leise und laut sagten sie, das

       sei die Strafe, die der Öhi verdient habe für sein gottloses Leben,

       sei die Strafe, die der Öhi verdient habe für sein gottloses Leben,

       und ihm selbst wurde es gesagt und auch der Herr Pfarrer redete

       ihm ins Gewissen, er sollte doch jetzt Buße tun, aber er wurde

       nur immer grimmiger und verstockter und redete mit niemandem

       mehr, es ging ihm auch jeder aus dem Wege. Auf einmal hieß es,

       der Öhi sei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht

       mehr herunter, und seither ist er dort und lebt mit Gott und

       Menschen im Unfrieden. Das kleine Kind der Adelheid nahmen

       wir zu uns, die Mutter und ich; es war ein Jahr alt. Wie nun im

       letzten Sommer die Mutter starb und ich im Bad drunten etwas

       verdienen wollte, nahm ich es mit und gab es der alten Ursel

       oben im Pfäfferserdorf an die Kost. Ich konnte auch im Winter

       im Bad bleiben, es gab allerhand Arbeit, weil ich zu nähen und

       flicken verstehe, und früh im Frühling kam die Herrschaft aus

       Frankfurt wieder, die ich voriges Jahr bedient hatte und die mich

       mitnehmen will; übermorgen reisen wir ab, und der Dienst ist gut,

       das kann ich dir sagen.«

       »Und dem Alten da droben willst du nun das Kind

       übergeben? Es nimmt mich nur wunder, was du denkst, Dete«,

       sagte die Barbel vorwurfsvoll.

       »Was meinst du denn?« gab Dete zurück. »Ich habe das

       Meinige an dem Kinde getan, und was sollte ich denn mit ihm

       machen? Ich denke, ich kann eines, das erst fünf Jahre alt wird,

       nicht mit nach Frankfurt nehmen. Aber wohin gehst du eigentlich,

       Barbel, wir sind ja schon halbwegs auf der Alm?«

       »Ich bin auch gleich da, wo ich hin muß«, entgegnete die

       Barbel; »ich habe mit der Geißenpeterin zu reden, sie spinnt mir

       im Winter. So leb wohl, Dete; mit Glück!«

       Dete reichte der Begleiterin die Hand und blieb stehen,

       während diese der kleinen, dunkelbraunen Almhütte zuging, die

       einige Schritte seitwärts vom Pfad in einer Mulde stand, wo sie

       vor dem Bergwind ziemlich geschützt war. Die Hütte stand auf

       der halben Höhe der Alm, vom Dörfli aus gerechnet, und daß sie

       in einer kleinen Vertiefung des Berges stand, war gut, denn sie

       sah so baufällig und verfallen aus, daß es auch so noch ein

       gefährliches Darinwohnen sein mußte, wenn der Föhnwind so

       mächtig über die Berge strich, daß alles an der Hütte klapperte,

       Türen und Fenster, und alle die morschen Balken zitterten und

       krachten. Hätte die Hütte an solchen Tagen oben auf der Alm

       gestanden, sie wäre unverzüglich ins Tal hinabgeweht worden.

       Hier wohnte der Geißenpeter, der elfjährige Bube, der

       jeden Morgen unten im Dörfli die Geißen holte, um sie hoch auf

       die Alm hinaufzutreiben, um sie da die kurzen kräftigen Kräuter

       fressen zu lassen bis zum Abend; dann sprang der Peter mit den

       leichtfüßigen Tierchen wieder herunter, tat, im Dörfli

       angekommen, einen schrillen Pfiff durch die Finger, und jeder

       Besitzer holte seine Geiß auf dem Platz. Meistens kamen kleine

       Buben und Mädchen, denn die friedlichen Geißen waren nicht zu

       fürchten, und das war denn den ganzen Sommer durch die

       einzige Zeit am Tage, da der Peter mit seinesgleichen verkehrte;

       sonst lebte er nur mit den Geißen. Er hatte zwar daheim seine

       Mutter und die blinde Großmutter; aber da er immer am Morgen

       sehr früh fort mußte und am Abend vom Dörfli spät heimkam,

       weil er sich da noch so lange als möglich mit den Kindern

       weil er sich da noch so lange als möglich mit den Kindern

       unterhalten mußte, so verbrachte er daheim nur gerade so viel

       Zeit, um am Morgen seine Milch und Brot und am Abend

       ebendasselbe hinunterzuschlucken und dann sich aufs Ohr zu

       legen und zu schlafen. Sein Vater, der auch schon der

       Geißenpeter genannt worden war, weil er in früheren Jahren in

       demselben Berufe gestanden hatte, war vor einigen Jahren beim

       Holzfällen verunglückt. Seine Mutter, die zwar Brigitte hieß,

       wurde von jedermann um des Zusammenhangs