Indianer, daß man froh ist, wenn man ihm nicht allein begegnet.«
»Und wenn auch«, sagte Dete trotzig, »er ist der Großvater
und muß für das Kind sorgen, er wird ihm wohl nichts tun, sonst
hat er's zu verantworten, nicht ich.«
»Ich möchte nur wissen«, sagte die Barbel forschend, »was
der Alte auf dem Gewissen hat, daß er solche Augen macht und
so mutterseelenallein da droben auf der Alm bleibt und sich fast
nie blicken läßt. Man sagt allerhand von ihm; du weißt doch
gewiß auch etwas davon, von deiner Schwester, nicht, Dete?«
»Freilich, aber ich rede nicht; wenn er's hörte, so käme ich
schön an!«
Aber die Barbel hätte schon lange gern gewußt, wie es sich
mit dem Alm-Öhi verhalte, daß er so menschenfeindlich aussehe
und da oben ganz allein wohne und die Leute immer so mit
halben Worten von ihm redeten, als fürchteten sie sich, gegen ihn
zu sein, und wollten doch nicht für ihn sein. Auch wußte die
Barbel gar nicht, warum der Alte von allen Leuten im Dörfli der
Alm-Öhi genannt wurde, er konnte doch nicht der wirkliche
Oheim von den sämtlichen Bewohnern sein; da aber alle ihn so
nannten, tat sie es auch und nannte den Alten nie anders als Öhi,
nannten, tat sie es auch und nannte den Alten nie anders als Öhi,
was die Aussprache der Gegend für Oheim ist. Die Barbel hatte
sich erst vor kurzer Zeit nach dem Dörfli hinauf verheiratet,
vorher hatte sie unten im Prättigau gewohnt, und so war sie noch
nicht so ganz bekannt mit allen Erlebnissen und besonderen
Persönlichkeiten aller Zeiten vom Dörfli und der Umgegend. Die
Dete, ihre gute Bekannte, war dagegen vom Dörfli gebürtig und
hatte da gelebt mit ihrer Mutter bis vor einem Jahr; da war diese
gestorben, und die Dete war nach dem Bade Ragaz
hinübergezogen, wo sie im großen Hotel als Zimmermädchen
einen guten Verdienst fand. Sie war auch an diesem Morgen mit
dem Kinde von Ragaz hergekommen; bis Maienfeld hatte sie auf
einem Heuwagen fahren können, auf dem ein Bekannter von ihr
heimfuhr und sie und das Kind mitnahm. – Die Barbel wollte also
diesmal die gute Gelegenheit, etwas zu vernehmen, nicht
unbenutzt vorbeigehen lassen; sie faßte vertraulich die Dete am
Arm und sagte: »Von dir kann man doch vernehmen, was wahr
ist und was die Leute darüber hinaus sagen; du weißt, denk' ich,
die ganze Geschichte. Sag mir jetzt ein wenig, was mit dem Alten
ist und ob der immer so gefürchtet und ein solcher
Menschenhasser war.«
»Ob er immer so war, kann ich, denk' ich, nicht präzis
wissen, ich bin jetzt sechsundzwanzig und er sicher siebzig Jahr'
alt; so hab' ich ihn nicht gesehen, wie er jung war, das wirst du
nicht erwarten. Wenn ich aber wüßte, daß es nachher nicht im
ganzen Prättigau herumkäme, so könnte ich dir schon allerhand
erzählen von ihm; meine Mutter war aus dem Domleschg und er
auch.«
auch.«
»A bah, Dete, was meinst denn?« gab die Barbel ein wenig
beleidigt zurück; »es geht nicht so streng mit dem Schwatzen im
Prättigau, und dann kann ich schon etwas für mich behalten,
wenn es sein muß. Erzähl mir's jetzt, es muß dich nicht gereuen.«
»Ja nu, so will ich, aber halt Wort!« mahnte die Dete. Erst
sah sie sich aber um, ob das Kind nicht zu nah sei und alles
anhöre, was sie sagen wollte; aber das Kind war gar nicht zu
sehen, es mußte schon seit einiger Zeit den beiden Begleiterinnen
nicht mehr gefolgt sein, diese hatten es aber im Eifer der
Unterhaltung nicht bemerkt. Dete stand still und schaute sich
überall um. Der Fußweg machte einige Krümmungen, doch
konnte man ihn fast bis zum Dörfli hinunter übersehen, es war
aber niemand darauf sichtbar.
»Jetzt seh' ich's«, erklärte die Barbel; »siehst du dort?« und
sie wies mit dem Zeigefinger weit ab vom Bergpfad. »Es klettert
die Abhänge hinauf mit dem Geißenpeter und seinen Geißen.
Warum der heut' so spät hinauffährt mit seinen Tieren? Es ist
aber gerad' recht, er kann nun zu dem Kinde sehen, und du
kannst mir um so besser erzählen.«
»Mit dem Nach-ihm-sehen muß sich der Peter nicht
anstrengen«, bemerkte die Dete; »es ist nicht dumm für seine fünf
Jahre, es tut seine Augen auf und sieht, was vorgeht, das hab' ich
schon bemerkt an ihm, und es wird ihm einmal zugut' kommen,
denn der Alte hat gar nichts mehr als seine zwei Geißen und die
Almhütte.«
»Hat er denn einmal mehr gehabt?« fragte die Barbel.
»Hat er denn einmal mehr gehabt?« fragte die Barbel.
»Der? Ja, das denk' ich, daß er einmal mehr gehabt hat«,
entgegnete eifrig die Dete; »eins der schönsten Bauerngüter im
Domleschg hat er gehabt. Er war der ältere Sohn und hatte nur
noch einen Bruder, der war still und ordentlich. Aber der Ältere
wollte nichts tun, als den Herrn spielen und im Lande
herumfahren und mit bösem Volk zu tun haben, das niemand
kannte. Den ganzen Hof hat er verspielt und verzecht, und wie es
herauskam, da sind sein Vater und seine Mutter hintereinander
gestorben vor lauter Gram, und der Bruder, der nun auch am
Bettelstab war, ist vor Verdruß in die Welt hinaus, es weiß kein
Mensch wohin, und der Öhi selber, als er nichts mehr hatte als
einen bösen Namen, ist auch verschwunden. Erst wußte niemand
wohin, dann vernahm man, er sei unter das Militär gegangen
nach Neapel, und dann hörte man nichts mehr von ihm zwölf
oder fünfzehn Jahre lang. Dann auf einmal erschien er wieder im
Domleschg mit einem halberwachsenen Buben und wollte diesen
in der Verwandtschaft unterzubringen suchen. Aber es schlossen
sich alle Türen vor ihm, und keiner wollte mehr etwas von ihm
wissen. Das erbitterte ihn sehr; er sagte: ins Domleschg setze er
keinen Fuß mehr, und dann kam er hierher ins Dörfli und lebte
da mit dem Buben. Die Frau muß