„Herzlich willkommen in Neuseeland, Sophie“, begrüßte mich der Großvater. „Wie gefällt es Dir bei uns?“ fragte er mich neugierig.
„Es gefällt mir ausgezeichnet. Vielen Dank, dass Sie uns auf die Safari mitnehmen“, bedankte ich mich wohlerzogen.
„Ich freue mich immer, wenn ich Jessicas Freunden die Wale zeigen kann.“
„Stephanie, von Dir habe ich schon viel gehört. Schön, Dich endlich zu treffen.“ Er nahm dabei Stephanies Hand in seine große fleischige Pranke, die seine Hand entgegen seiner Erwartung mit ihrer angeborenen Entschlossenheit kräftig schüttelte.
„Oh, da haben wir eine kräftige Natur, die schwer zu bändigen ist“, sagte Großvater anerkennend. „Ich heiße übrigens Amish“, sagte er. „Auch wenn mich Jessica immer unter dem Namen Großvater vorstellt.“
„Sorry, Leute. Ich vergaß, dass Großväter auch echte Namen haben“, entschuldigte sich Jessica spöttisch.
„Ist schon gut, Liebes. Lasst uns mal zum Boot gehen. Hier geht es lang“, wies uns Amish den Weg.
Auf das Boot passten zwanzig Passagiere, die links und rechts am Rumpf entlang Platz nehmen konnten. Die Koje war aus schönem braunem Holz geschnitzt. Wie es Vorschrift war, war das Boot mit orangefarbenen Rettungsringen ausgestattet. Amish zwang uns, Rettungswesten anzulegen, die Jessica und Paula aus Outfit-Gründen ablehnten und nur widerwillig anzogen. Die Aussicht darauf, dass wir in der unmittelbaren Nähe von Walen sein würden, die in dieses Gebiet kamen, um zu fressen und sich zu paaren und uns als störende Eindringlinge empfanden und mit nur einer Bewegung ihrer Schwanzflossen ins Wasser befördern konnten, machte mir die Entscheidung einfacher, die Rettungsweste anzuziehen. Amish navigierte das Boot aus dem ruhigen Hafenbecken aufs offene Meer hinaus. Der Wellengang war hier kräftig zu spüren und zu hören, als die Wellen gegen das Boot klatschten. Mir wurde es schnell etwas mulmig im Magen. Die Abgase des Benzinmotors verschlimmerten die Situation. Als hätte Amish es geahnt, rief er, dass wir uns bei Übelkeit ans Ende des Bootes setzen und unseren Blick auf den Horizont richten sollten. Ich nahm den Vorschlag dankbar an. Vor meinen Augen lag Neuseeland in seiner grünen Schönheit. Der Hafen mit den wenigen weißen Gebäuden und den weißen Booten wurde immer kleiner. Die blaue Fläche des Meeres, die im Sonnenlicht silbern funkelte, immer größer. Hinter der rosafarbenen Stadt und den Obst- und Weinfeldern türmten sich auf der einen Seite die bräunlichen und auf der anderen Seite die dunkelgrünen Berge hinauf. Dort endete die Zivilisation und die Wildnis begann. Je weiter wir hinaus fuhren, desto kleiner wurde die geheimnisvolle Smaragdinsel. Meinen Blick hatte ich fest auf die schmale, verschwommene Linie des Horizontes geheftet und atmete tief ein und aus. Langsam beruhigte sich mein Magen. Stephanie kam zu mir und legte ihren Arm um meine Schulter.
„Na, alles wieder ok?“, fragte sie mich besorgt.
„Geht schon wieder.“ Wir gingen gemeinsam wieder nach vorne. Amish stoppte die Motoren und kam zu uns.
„Wir sind jetzt in dem Gebiet, in dem sich die Wale zur Paarung aufhalten. Hier habt Ihr Ferngläser. Wenn ihr einen Wal seht, sagt Bescheid und wir fahren nah ran.“
Mit unseren Ferngläsern bewaffnet beobachteten wir das Meer. Ich sah weit und breit nur aufbäumende Wellen und fragte mich, ob ich einen Wal überhaupt erkennen würde, wenn sein Rücken dort zwischen den Wellen hervorlugte. Wie erwartet sah ich eine Viertelstunde nichts außer Wasser und ließ dann ermüdet mein Fernglas an der Küste entlangwandern. Einige Kilometer von Blenheim entfernt sah ich eine Stelle, die aussah als würde sie zum Festland gehören, aber es musste sich um eine Insel handeln. Am Fuße der Insel war alles goldgelb, weiter höher wuchs eine smaragdgrüne Vegetation den Berg hoch. Über der Vegetationsgrenze thronte ein schwarzer Kranz. Er sah wie der Krater eines Vulkans aus.
„Was ist das denn für eine Insel in der Nähe von Blenheim?“, fragte ich Stephanie, die neben mir pflichtbewusst die See nach Walen absuchte.
„Du sollst doch nach Walen Ausschau halten und nicht nach Inseln“, antwortete sie, ohne ihr Fernglas von den Augen nehmen.
„Meinst Du die mit dem Vulkanberg?“, fragte mich Amish, der zu meiner Linken auf dem Sitz kniete. So wie es aussah, hatte er genauso wenig Lust, stundenlang nach Walen zu suchen wie ich und freute sich über die Ablenkung.
„Ja genau.“
„Als ich Kind war, war ich ein paar Mal dort. Ich habe den Berg bestiegen und bin zum Kratersee hinunter gewandert. Das war wirklich schön. Der See ist satt grün, weil sich darin eine besondere Algenart angesiedelt und so stark vermehrt hat, dass das Sonnenlicht nicht durchdringen kann. Das Tollste war allerdings eine Stelle am Hang. Sie war so heiß, dass man darauf in einer Pfanne Spiegeleier braten konnte. Die Hitze kam direkt aus der Erde. An mehreren Stellen im Krater entwich heißer Wasserdampf aus der Erde. Da kochte das Wasser förmlich. Wie es dort jetzt aussieht, weiß ich nicht. Seit etwa zwanzig Jahren gehört die Insel ein paar Familien, die sie gemeinsam gekauft und sich angesiedelt haben. Ziemlich verrückt, dort im Krater Häuser zu bauen. Das hätte ich nicht riskiert.“
„Die Häuser stehen im Krater? Warum nicht am Meer?“, wunderte ich mich und kräuselte dabei die Stirn.
„Ich weiß es nicht. Niemand weiß es, weil die Leute sich mit uns Blenheimern nicht unterhalten.“
„Das ist sehr seltsam.“
„Das denken die Leute in Blenheim auch. Aber es ist ihre Entscheidung. Wenn sie aus der Gesellschaft ausbrechen und für sich sein wollen, dann ist das ok. Genau aus diesem Grund wanderten viele Menschen nach Neuseeland aus. Das macht unser Land aus. Wenn sie mit der Gefahr des Vulkans leben können, dann ist es ihre Entscheidung.“
„Sie haben Recht“, sagte ich zustimmend.
„Vielleicht müssen sie nicht heizen, wenn die Wärme direkt aus der Erde kommt. Den Vorteil hat der Vulkan sicherlich“, fügte ich lächelnd hinzu.
„Strom haben sie auch nicht. Zumindest sind sie nicht an die Stromversorgung der Stadt angeschlossen“, schaltete sich Stephanie in unsere Unterhaltung ein.
„Sie leben rückständig und ihre Kinder mobben alle anderen in der Schule. Das ist nicht richtig“, fügte Jessica hinzu.
„Kommt alle her. Ich habe einen Wal gesehen“, schrie Paula und hüpfte auf und ab vor Freude. Mein Puls schoss auch in die Höhe, bei dem Gedanken, dass direkt unter uns die Kolosse hin und her schwammen.
Amish ließ sich von Paula den Wal zeigen und schaltete den Motor ein, um die Verfolgung aufzunehmen. Er sah konzentriert und freudig erregt aus. Ich hatte sofort die Bilder von Kapitän Ahab und Moby Dick im Kopf: Amish, der sein ganzes Leben der Verfolgung von Walen widmete. Der Unterschied war, dass die Wale zum Schluss nicht getötet wurden. Die einzige Waffe, die wir dabei hatten, waren unsere Fotoapparate. Nichtsdestotrotz störten wir die Wale in ihrem Lebensraum. Amish schaltete den Motor aus. Der Rücken des Wales lag etwa zehn Meter vor uns. Er schaukelte im Wasser und spie plötzlich Wasser aus. Wir erschraken ein wenig bei dem Geräusch, das der Wal dabei machte. Amish lachte vergnügt. Je länger ich dem Wal zuschaute, desto mehr änderte ich meine Meinung über Walsafaris. Es war herrlich, dieses majestätische Tier aus der Nähe und in freier Wildbahn zu sehen. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Tier einmalig und schützenswert war. Die Vorstellung, es zu töten, erschien mir noch viel abscheulicher als zuvor. Ich hoffte, dass alle Touristen, die Amish mitnahm, das Gleiche empfanden wie ich. Als der Wal sich entschloss uns genügend bezirzt zu haben, tauchte er ab und zeigte uns dabei seine Schwanzflosse. Wir riefen „Oh“ und „Ah“ und fotografierten wie wild. Amish beobachtete uns zufrieden dabei. Ich glaube, er schaute gar nicht den Walen zu, sondern uns, und unseren glücklichen Gesichtern. Wahrscheinlich tat er das jedes Mal, wenn er hinausfuhr. Wir beobachteten noch zwei weitere Wale, bevor Amish uns wieder ans Festland fuhr.
7
Am nächsten Morgen wurde ich ausnahmsweise vom Wecker geweckt. Es war keine Musik von nebenan zu hören. Entweder verzichtete Stephanie auf ihre tägliche Zeremonie, weil