Sophies Erwachen. Anna Bloom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Bloom
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847673545
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skeptisch gegen die Wand gelehnt und starrte uns sprungbereit an. Als Nate seine Lehrstunde beendet hatte, gingen Stephanie und ich schweigend aus dem Laden hinaus.

      „Bist Du mir noch böse, Stephanie? Es tut mir echt leid, dass ich Dir nicht Bescheid gegeben habe. Soll nicht wieder vorkommen.“

      „Ich habe mir echt Sorgen gemacht. Hat sich der Typ im Hof wenigstens gut verhalten?“

      „Ja klar. Er war sehr nett.“

      „Das ist ja mal was ganz Neues“, prustete sie lakonisch.

      „Kennst Du ihn etwa?“

      „Er ist auf unserer Schule und gehört zu der Gang, vor der ich Dich gewarnt habe.“

      „Er sieht gar nicht nach einer Gang aus.“

      „Tun sie alle nicht. Aber trotzdem haben sie es faustdick hinter den Ohren. Halte Dich in Zukunft einfach fern von ihm.“

      Die ganze Sache klang mehr als sonderbar. Nate sah nicht aus wie einer der dealt oder seine Mitschüler in den Schwitzkasten nimmt, um sie um Geld zu erpressen. Auf seinen Unterarmen hatte ich auch keine Einstichlöcher gesehen, also nahm er auch keine harten Drogen. Was könnte an ihm so gefährlich sein, dass man sich von ihm fernhalten müsste? Abgesehen davon, dass er umwerfend gut aussah, fiel mir nichts ein. Vielleicht sehen alle in der Gang so fantastisch aus wie Nate und die Blenheimer Eltern verbreiten böse Geschichten, um ihre Kinder zu schützen. Ich konnte mir bei dem Gedanken ein Lachen kaum verkneifen. Stephanie schaute mich forschend an und ich setzte eine ernste Miene auf.

      „Zumindest habe ich ihn verstanden, als er mit mir sprach. Das ist schon ein Triumph für heute. Wahrscheinlich war die Kassiererin im Outdoorladen eine besonders schlimme Vertreterin des neuseeländischen Dialekts“, wechselte ich unbemerkt und nonchalant das Thema.

      „Bestimmt. Lass uns ins Café gehen. Jessica und Paula warten bestimmt schon.“

      Das „Home Café“ hätte genauso gut in Frankfurt stehen können. Draußen standen einige moderne Tische mit Holzbänken. Als ich später im Café auf die Toilette ging, fand ich die Inneneinrichtung noch geschmackvoller als die Möbel, die davor standen. Hier würde ich mich eindeutig wie zu Hause fühlen. Ich schmunzelte. Der Name des Cafés war gut gewählt. Stephanies Freundinnen saßen draußen und warteten auf uns. Der Spruch „zeig mir Deine Freunde und ich sage Dir, wer Du bist“ traf auf Stephanie zu. Jessica und Paula waren eine blonde und braunhaarige Ausgabe von Stephanie. Beide trugen T-Shirts, Shorts und Flipflops. Sie plapperten viel und schnell, was mir sprachlich etwas Probleme bereitete, aber es war lange nicht so schlimm wie bei der Kassiererin. Je länger ich den dreien zuhörte, desto mehr begriff ich das Muster, nach dem das neuseeländische vom britischen Englisch abwich. Die Vokale sprachen die Neuseeländer viel länger aus als die Briten und das „e“ hört sich häufig wie ein „i“ an. Das Kurioseste war aber, dass sie häufig von einer „sie“ sprachen, meinten aber keine real existierende Person, sondern ein „es“.

      „Die Südinsel ist der Härtetest für Ausländer. Im Norden sagt man, hier wohnen die „Hinterwäldler“, die einen breiteren Dialekt sprechen als die Bewohner der Nordinsel“, klärte mich die blonde Jessica auf.

      „Na super, man wächst bekanntlich mit seinen Aufgaben“, scherzte ich zurück.

      „Du hast für Deine erste Begegnung die härteste Nuss in Blenheim ausgesucht. Faith vom Outdoorladen rollt auch noch das „r“, weil ihre Vorfahren aus Schottland stammen. Auf der Südinsel gibt es viele Leute wie Faith. Aber hier in Blenheim nur ihre Familie“, beruhigte mich Paula.

      „Also, keine Sorge, Du wirst es schon packen“, lächelte mich Stephanie an.

      Je mehr ich ihnen zuhörte, desto mehr Hoffnung schöpfte ich in sprachlicher Hinsicht und auch in sozialer. Mit den drei Mädchen und Nate kannte ich nun schon vier Leute, die auf meine Schule gingen. Das war ein guter Anfang. In der untergehenden Sonne glitzerte alles in einem rosafarbenen Licht. Das war eindeutig besser als der Schneematsch in Frankfurt.

      6

      Die ersten Geräusche, die ich an meinem dritten Morgen in Neuseeland hörte, waren die Schreie von Angus Young. Dank Stephanies überdimensionierter Anlage pulsierte der Song „Highway to Hell“ noch den ganzen Tag in meinen Adern. Ich hatte immer noch einen Jetlag und war völlig übermüdet, weil ich den Abend im Internet verbracht hatte. Meine Eltern hatte ich wegen der kommenden Kreditkartenrechnung vorgewarnt und mit meiner Freundin Susi in Deutschland gechattet. Natürlich war der nette Fahrradverkäufer neben Susis üblichen ausgedehnten Liebeskummerdiskussionen eines unserer Themen gewesen. Susi verliebte sich in jeden Typen, der eine Gitarre spielen konnte, aber ihre Liebe wurde nur selten erwidert. Unsere Gespräche bewegten sich immer auf der abstrakten Ebene der Deutung von Gesten, der Mimik und allenfalls von einzelnen Worten, die Susis meist wortkarge Schwärme gedachten von sich zu geben. Von daher dauerten diese Diskussionen von Natur aus immer sehr lange, bis alle möglichen Interpretationsmöglichkeiten auf dem Tisch lagen und Susi am Ende doch nichts brachten, weil sie zu unkonkret waren. Sie entschied sich dann mehr Hinweise abzuwarten, um die Sache neu zu bewerten. So war das immer und das gab mir hier am Ende der Welt, bei den fremden Menschen, deren Sprache ich nur eingeschränkt verstand, ein heimisches Gefühl. Jetzt, da ich völlig übermüdet war, bereute ich allerdings meine nächtlichen Aktivitäten im Netz, seien sie gestern Nacht noch so wohltuend für meine fremdelnde Seele gewesen. Mit meinem Kopfkissen auf dem Kopf entschloss ich mich, so schnell wie möglich Ohrstöpsel zu kaufen und einen Plan auszuhecken, wie ich Stephanies morgendliche Aufstehzeremonie sabotieren könnte.

      Beim Frühstück machte ich keinen Hehl daraus, dass ich nur ungern so früh von Angus Youngs Rockröhre geweckt werden möchte. Stephanie lachte zwar, aber ich merkte, dass es ihr doch ein wenig Leid tat, mich so unsanft geweckt zu haben. Ihre Eltern ärgerte sie damit gerne, aber bei mir war das wohl etwas anderes. Schritt eins auf dem Weg der Umerziehung war also getan. Dann trank ich einen halben Liter Kaffee, um einigermaßen wach zu werden für die Walsafari, die Jessicas Großvater mit ein paar Touristen täglich veranstaltete und uns auf Jessicas Bitte hin dazu eingeladen hatte.

      Stephanie und ich fuhren mit unseren Fahrrädern zum Hafen. Die Gangschaltung an meinem neuen Rad musste ich ja bis zum Kurs von Miss Hays beherrschen. Wir rollten vorbei an grünen und blühenden Büschen. Die warme Blenheimer Luft konnte ich mit dem Frankfurter Winter in den Knochen immer noch nicht für selbstverständlich erachten. Die Berge hinter unseren Rücken glühten rötlichbraun in der Morgensonne. Der Duft von Fisch und Salzwasser und der feuchte Wind verkündeten die Nähe des Hafens. Wir parkten die Räder an der hübschen Hafenpromenade, die mit Laternen, Blumenkübeln und Palmen geschmückt war. Im türkisfarbenen Wasser wiegten sich dutzende Boote verschiedener Größen in Reih und Glied im gleichmäßigen Rhythmus des Meeres. Möwen riefen ab und zu, sonst beobachteten sie faul das wenige Geschehen. Jessica und Paula warteten wie verabredet an der kleinen, weiß gestrichenen Hütte am Hafenrand mit der blauen Aufschrift „Blenheim Whalesafari“. Ein kitschig gemalter Wal sprang Wasser prustend über den Schriftzug, damit jeder der englischen Sprache noch so unkundiger Tourist verstand, was er in der Hütte kaufen konnte. Die Mädchen waren perfekt weiblich gestylt, mit blumigen Kleidern, weißen Strickjäckchen, Sonnenbrillen aber immerhin flachen Schuhen, mit denen sie den Halt im schwankenden Boot nicht verlieren würden. Wäre Stephanie nicht ebenso sportlich gekleidet gewesen wie ich, wäre ich mir mit meiner Jeans-, Shirt- und Windstopper-Kombination etwas langweilig und unweiblich vorgekommen. Jessica und Paula begrüßten uns stürmisch mit einer Umarmung und fragten uns nach unserem Befinden. Jessicas Großvater hatte die Lautstärke vor seiner Hütte richtig interpretiert und stieß neugierig zu unserer Runde. Er trug bereits gelbes Ölzeug, aus dem nur das sonnengegerbte, freundlich lächelnde faltige Gesicht, das urig mit einem grauen Bart umrankt war, hervor lugte. Auf dem Kopf trug er eine weiße Baseballkappe, die mit dem gleichen kitschigen Wal und der Aufschrift „Blenheim Whalesafari“ bestickt war wie die die auf der Hütte prangte.

      „Hallo Mädchen“, begrüßte er uns mit der gleichen hohen Lautstärke, die auch Jessica und Paula pflegten. Das gehört wohl zur neuseeländischen