Sophies Erwachen. Anna Bloom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Bloom
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847673545
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Mein Name ist Sophie. Ich bin neu an der Schule.“

      „Hallo Sophie. Herzlich willkommen. Du hast einen schönen Akzent, woher kommt er denn?“

      „Aus Deutschland.“

      „Hast Du schon Erfahrung in Outdoor-Activities?“

      „Leider haben wir so einen Kurs in Deutschland nicht.“

      „Macht nichts. Der Kurs ist für Einsteiger. Du wirst schnell lernen, Sophie. Du hast gute Anlagen“.

      „Danke. Gut zu wissen.“ Was ihr letzter Satz zu bedeuten hatte, konnte ich nicht einordnen. Kann man gute Anlagen jemandem ansehen? Vielleicht war das auch nur ein Pädagogentrick, eine selbsterfüllende Prophezeiung, damit ich überzeugt davon war, es zu schaffen.

      „Wärm dich ein bisschen auf. Wir legen gleich los“, sagte sie und drehte sich ihren anderen Bewunderern zu. Ich ließ ein paar Sekunden lang meine Augen forschend auf ihrem Gesicht hin und her schweifen und ging dann zurück zu Kiri, die mir ein paar Aufwärmübungen zeigte. Unter Miss Hays Anleitung machten wir dann weiter, liefen ein paar Runden in der Halle, bis sie der Überzeugung war, dass wir zu unseren Fahrrädern gehen konnten. Überraschenderweise war ich nach dem Laufen gar nicht so außer Atem wie ich es erwartet hatte. Miss Hays fuhr vor und wir folgten ihr, wie sie es wünschte in einer langen Reihe, einer nach dem anderen. Vor mir fuhr ein straßenköterblonder, sehr muskulöser Junge namens Steve. So wie er auf seinem professionellen Mountainbike aussah, schien er auf dem Fahrrad zur Welt gekommen zu sein. Er war sicherlich nicht hier, um etwas zu lernen, sondern Miss Hays ein Jahr lang zu bewundern. Hinter mir hatte sich Kiri in die lange Schlange eingereiht. Für Außenstehende sahen wir aus, wie eine Entenfamilie. Die Mutter voran und die Jungen hinterher. Nach etwa zehn Minuten Fahrt wurde die Straße immer enger. Vor dem letzten Haus verbot ein Schild die Durchfahrt für Autos. Auf einer Wendeplattform konnte man umdrehen. Der schmale und schlecht geteerte Weg schlängelte sich zwischen Wein- und Obstplantagen und Schafsweiden zu den smaragdgrünen Bergen empor. Ein Zaun links und rechts grenzte die Felder vom Weg ab. Hier und da waren grasende und blökende Schafherden zu sehen und zu hören. Ihre Stimmen und das Summen der Insekten waren die einzigen Geräuschquellen weit und breit. Die Nachmittagssonne ergoss sich orangerot, warm und weich auf alles. Die monotonen Bewegungen auf dem Rad taten ihr Übriges und ich versank in eine Trance, ohne meine Anstrengung zu merken, oder etwas zu denken. Ich nahm für eine Weile nichts mehr bewusst wahr, bis ich genauso plötzlich zu mir kam wie ich weggedriftet war und stechende Schmerzen in meinen Beinen spürte. Die Steigung des Weges war sehr groß, Staub und Geröll haben den Teer abgelöst. Ich schaltete mehrere Gänge hoch, bis sich meine Oberschenkel wieder entspannten. Einige Meter vor uns verschluckte der Wald den Weg. Als der erste Baum seinen Schatten wie einen Vorhang über meinen Kopf warf, wurde es dunkel um uns herum. Nur spärlich drang die Sonne durch und tänzelte in kleinen Lichtflecken auf dem Meer an Farnen und moosüberwucherten Steinen, Wurzeln und Ästen. Der Wald war alt, unberührt und für meine mitteleuropäischen Augen so exotisch wie ein Wald nur sein konnte. Die Baumarten kannte ich nicht. Lianen schlängelten sich um die Bäume. Manche Bäume lagen morsch und von Moosen überwuchert in der tödlichen Umarmung der Lianen auf dem Waldboden. Die mehrere Meter hohen Farne und Palmen waren einfach unglaublich. Es roch intensiv, als hätte jemand kiloweise Honig ausgekippt. Aber viel seltsamer war die Geräuschkulisse. Vögel sangen in abstrusen Tonhöhen fremde Melodien. Manche klangen metallisch, als ob sie Lebewesen von einem anderen Planeten seien. Grillenartige Insekten zirpten schrill, sodass man sein eigenes Wort nicht verstehen könnte, würde man versuchen eine Unterhaltung hier zu führen. So still und ausgestorben wie der Wald bei uns wirkte, so lebendig war er hier. Er eroberte den von Menschenhand angelegten Pfad langsam wieder für sich. Wurzeln überquerten den Weg hier und da oder ragten plötzlich heraus, um einige Zentimeter weiter gleich wieder im Boden zu verschwinden. Steine jeglicher Größe lagen verstreut herum und machten das Vorwärtskommen besonders schwer. Moose hatten in Büscheln den Wegesrand besiedelt und streckten ihre Fühler immer weiter in die Mitte des Weges. Meinen Blick heftete ich fest auf den unebenen Boden. Ich traute mich nicht, über die Hindernisse zu fahren, weil ich befürchtete, auszurutschen. So fuhr ich um alles herum wie bei einem Hindernisrennen. Das verlangsamte meine Geschwindigkeit. Ein schneller Blick nach oben verriet mir, dass der geübte Steve verschwunden war. Um mich nach Kiri umzudrehen, war ich zu ängstlich. Plötzlich anhalten wollte ich auch nicht, damit sie nicht mit mir kollidierte, sollte sie nah hinter mir fahren. Ich rief laut nach ihr, erhielt aber keine Antwort. Dann erst traute ich mich anzuhalten. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Die mir unbekannten Baumarten türmten sich fünfzig Meter über mir nach oben. Ihre dichten Kronen schirmten das Licht völlig ab. Haben es einige Strahlen doch irgendwie geschafft, durchzudringen, so wurden sie von den überdimensionierten Farnenbüschen aufgefangen. Ich wunderte mich, wie die Moose ohne Sonnenlicht den gesamten Waldboden so dunkel und dicht wie ein Teppich überwuchern konnten. Um mich herum spürte ich keine Bewegung. Plötzlich war es totenstill. Wo waren die schrillen Grillen und die seltsamen Vögel? Als hätte alles Lebendige in diesem Wald seinen Atem in diesem Augenblick angehalten. Seltsam. Ich schloss die Augen und atmete ein. Eine Welle an Gerüchen überwältigte mich. Ich roch den Honigduft, die Pflanzen, die Tiere, die Schafe, die hinter dem Wald grasten, den Regen, der als Dampf in der Luft hing. Und ich roch die Menschen, ihren Schweiß und ihr fettiges, pulsierendes, eisenhaltiges Blut. Es drehte sich alles um mich herum. Die Bäume, die Steine, der Weg. Sie verloren ihre Konturen. Ich sah nur noch grün. Eine einzige grüne Fläche. Ich musste gefallen sein, denn ich spürte den dumpfen aber schmerzlosen Aufprall. Mir wurde schlecht und ich erbrach mich. Die Welt um mich herum kam langsam in Fokus. Ich stand vorsichtig auf, kroch auf allen Vieren zum Fahrrad, griff nach meiner Wasserflasche und trank. Zu mehr war ich nicht fähig. Mein Gehirn war ausgestellt. Nur riechen konnte ich. Alles um mich herum. Plötzlich roch ich Kiri. Noch bevor sie um die Biegung kam. Sie würde mich gleich einholen. Aus Scham setzte ich mich sofort auf das Rad, obwohl ich noch ganz zittrig in den Knien war und fuhr los. Mit starrem Blick auf den Boden geheftet fuhr ich weiter bis ich Steve und die anderen, die an einer Lichtung auf uns Nachzügler warteten einholte. Ich setzte mich auf einen morschen Baumstamm am Ende der Lichtung, etwas weiter weg von der restlichen Gruppe, die sich in Anbetung um Miss Hays gescharrt hatte und versuchte mich zu beruhigen. Als alle Nachzügler da waren, fuhren wir gleich weiter, bis wir den Regenwald verlassen haben und über gepflasterte Wege zur Schule zurückkehrten. Die Fahrt war eine reine Tortur. Die Gerüche hingen mir immer noch in der Nase. Es fiel mir sehr schwer, sie auszublenden und meinen Magen zu beruhigen. Ich stürmte in das Schulgebäude, ohne mich von Kiri zu verabschieden, und blockierte die Toilette für eine halbe Ewigkeit. Meinen Mund spülte ich aus und wusch mein Gesicht so lange mit kaltem Wasser, bis ich endlich wieder einigermaßen zu mir kam. Dann packte ich meine Tasche mit den Büchern, die ich in meinem Schrank aufbewahrt hatte, und klemmte einen Zettel an Stefanies Schrank, dass ich ohne sie nach Hause gefahren war.

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