Stephanie und ihre Freunde trafen sich in der Kantine an einem bestimmten Tisch, den ich sofort fand. Neben Jessica und Paula saßen die Fußballer Gary, Hugh und ein paar andere Jungs, die ebenso athletisch waren wie die beiden. Die Mädels fragten mich beim Essen wie ich die Lehrer fand und erzählten ein paar amüsante Geschichten über sie. Ich hörte zwar zu, aber ich ließ meine Augen im Raum schweifen auf der Suche nach Christina und Nate. Leider sah ich nur Kyle, Luke und ihre Entourage aus Rugbyspielern, die sich gegenseitig mit Essen bewarfen. Ihr lautes Grölen war im ganzen Gebäude zu hören. Jessica merkte, dass ich in ihre Richtung starrte und fragte mich, ob ich den „Vollidioten“ schon über den Weg gelaufen sei. Ich erzählte vom Papierfliegerattentat im Biounterricht. Sie schüttelte nur den Kopf und fügte hinzu, dass das das übliche Verhalten dieser Affen sei. Dann lenkte ich das Gespräch auf Mr. Stewart und seine Unfähigkeit, in der Klasse für eine normale Lautstärke zu sorgen.
Der Computerkurs fing mit der üblichen Unterhaltung mit der Lehrerin an. Während des Gesprächs mit Mrs. Blake kamen die Schüler herein, die sich nach und nach an die Computer setzten und zu tippen anfingen, bis der Raum ganz von Tippgeräuschen erfüllt war. Mrs. Blake war eine drahtige, gut gebaute und energische Frau. Sie trug einen schwarzen Rollkragenpullover und eine auffällige dickumrandete Brille, die mich eher an eine Werbefachfrau als an eine EDV-Lehrerin erinnerte. Nachdem die Vorstellungstortur beendet war und ich mich wieder in die erste Reihe setzen musste, weil jeder andere Platz bereits besetzt war, stellte Mrs. Blake das Internetprojekt vor, das wir im Laufe des Jahres in Arbeitsgruppen durchführen sollten. Unsere Aufgabe war es, eine Internetseite zu gestalten und für den Zeitraum des gesamten Schuljahres zu betreiben. Nachdem die Gruppen ihre Ideen entwickelt hatten, sollten sie sie vor der Klasse präsentieren. Dafür würden wir eine erste Note erhalten. Eine zweite Note gäbe es für die technischen Umsetzung der Idee und eine dritte für die langfristige Betreuung der Seite, dazu gehörte auch ihre Vermarktung und ihre Popularität. Die Unterrichtsstunden stünden für Teambesprechungen und die Betreuung durch Mrs Blake zur Verfügung. Sie teilte gleich mehrere Bücher zum Thema Webseitengestaltung, Programmierung, Betreuung und Marketing aus. Das Projekt hörte sich für meine Ohren spannend an und sehr nützlich für die Zukunft aber zu ambitioniert für ein Schulprojekt. Ob das gut geht, hängt zudem stark von der Gruppe ab, in die ich hineingeriet. Als hätte Mrs. Blake meine Gedanken gelesen, sagte sie, dass sie bereits eine Liste zur Zusammensetzung der Gruppen erstellt hatte und wir keine Änderungen vornehmen könnten. Von jeglichen Ausreden und Überzeugungsversuchen sollten wir absehen. Mrs. Blake würde darauf auf gar keinen Fall eingehen. Wir müssten lernen, dass man im Arbeitsleben mit Menschen aller Art zusammenarbeiten müsse. Ein Raunen ging durch die Klasse. Man hörte förmlich die Hoffnungsblasen platzen. Sie ließ sich nicht beirren und las die Nummern der Gruppen vor und die Namen der Schüler, die dazu gehörten. Die einzelnen Schüler mussten aufstehen, damit sie wussten wie ihre zukünftigen Kollegen aussahen. Nach welchen Kriterien Mrs. Blake die Zusammensetzung entschieden hatte, erwähnte sie nicht. Das war wohl ein persönliches Experiment, um herauszufinden, welches Team in welcher Zusammensetzung das beste Ergebnis hervorbringen würde. So wie in Sci-Fi-Filmen, in denen die Protagonisten unterschiedlichster Charakteren, Stärken und Schwächen an einem Ort voller Gefahren aufwachten. Nur ein einziger würde am Ende die mörderischen Aufgaben überleben, die dort absolviert werden müssten. Veranstaltet würde das Ganze von einem reichen Wahnsinnigen, der etwas über die menschliche Natur und ihr Sozialverhalten erfahren wollte. Plötzlich hörte ich meinen Namen gefolgt von Christopher Roy und Nathan Sage. Ich stand auf und drehte mich um, um meine zukünftigen Mitstreiter in Augenschein zu nehmen. Ich traute meinen Augen nicht, als ich hinten in der linken Ecke des Raums Nate stehen sah. Nathan Sage war der Fahrradverkäufer Nate und nun mein Projektkollege für ein ganzes Schuljahr. Er war wohl der einzige Mensch an dieser Schule, deren Erscheinung die hässliche blaue Uniform keinerlei Abbruch tat. Im Gegenteil, sein olivfarbenes Gesicht, das von frechen braunen Locken umrandet war und seine grünen Augen leuchteten noch stärker als vor ein paar Tagen im Fahrradladen. Neben ihm stand Christopher Roy, ein blonder, braungebrannter Junge, der ebenfalls eine ganz besondere Ausstrahlung hatte. Ich versuchte, meine Verblüffung zu kaschieren und nickte den beiden freundlich aber stoisch zu, bevor ich mich gleich wieder setzte. Mein Hirn konnte es nicht fassen, dass ich mit dem eindeutig bestaussehendsten Jungen der Schule in einer Gruppe war. Während Mrs. Blake weitere Namen auf ihrer Liste rezitierte, grübelte ich, warum ich Nate vorher im Raum gar nicht gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte ich ihn verpasst, während ich mit Mrs. Blake sprach. Ich war verärgert, dass ich nicht vorbereitet gewesen war, ihn hier zu sehen und dass ich eins und eins nicht zusammengezählt hatte als Mrs. Blake Nathans Namen erwähnte. So hatte ich meine freudige Überraschung sofort verraten und Nate bildete sich nun sicher ein, dass ich mich für ihn interessierte. Und das ist definitiv nichts Gutes. Immerhin wollen Männer das Gefühl haben, dass sie die Frau auf einer erschöpfenden Jagd erlegt haben. Das ist durch die Evolution in ihren Gehirnen so vorprogrammiert. Aber ich hatte mich schon als erlegt gezeigt, bevor die Jagd überhaupt anfing. Kein Jäger ist auf Aas-Beute stolz, Sophie. Es sei denn, er ist eine Hyäne oder ein Aasgeier. Aber einen solchen Mann will auch keine Frau haben. Denk dich nicht wieder in Rage, befahl ich mir wie immer, wenn ich mich mit meinen Gedanken im Kreis drehte. Als Mrs. Blake mit der Gruppenvergabe durch war, befahl sie uns in ihrem bestimmenden Ton, uns in unseren Gruppen zusammenzusetzen und die Tische und Stühle so zu verstellen, dass wir gemeinsam arbeiten konnten. Die erste Aufgabe war, uns kennenzulernen und erste Ideen für eine Website zu diskutieren. Plötzlich wurden Stühle verrückt, laut diskutiert und ich fasste mir ein Herz, stand auf und ging zu den beiden. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass mich dabei alle anschauten. Wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein. Das Mädchen, das neben den beiden saß, verließ ihren Sitzplatz, um zu ihrer Gruppe zu gehen. Sie sah erleichtert dabei aus. Wahrscheinlich wollte sie nicht neben Nate sitzen, der immerhin in der Gang war. Christopher konnte ich nirgendwo zuordnen. Ich hatte ihn heute noch nicht gesehen. Da er neben Nate saß und sie in den kleinen Gesten, die ich bislang wahrgenommen habe, vertraut miteinander umgingen, mussten sie sich gut kennen, was bedeutete, dass er auch in der Gang war. Hervorragend, Stephanies These, dass ich ein Händchen für die Gang habe, schien sich aufs Neue zu bestätigen. Es ärgerte mich ein bisschen, dass ich mich von Stephanies Reden beeindrucken ließ. Die beiden und Christina wirkten doch ganz anders als Kyle und Luke und der Rest des Rugbyteams. Allerdings nervten mich die seltsamen Blicke der anderen Schüler. Immerhin wurde ich von der Lehrerin dieser Gruppe zugeordnet und nicht auf meinen Wunsch hin. Wahrscheinlich warteten die Leute bloß darauf, dass die beiden mich zerfetzten, das natürlich nicht passieren würde. Ich musste innerlich darüber lachen. Eigentlich war ich doch sehr froh darüber, dass Mrs. Blake so entschieden hatte. Ich konnte Nate jeden Tag nahe sein und ich hatte sogar ein gutes Alibi dafür.
„Hi Christopher. Ich bin Sophie“, stellte ich mich vor.
„Freut mich, Sophie. Nenn mich einfach Chris. Gefällt es Dir hier bei uns in Neuseeland?“
„Ja, bislang ist alles super“ sagte ich zu Chris. „Das Fahrrad macht sich übrigens sehr gut, Nate.“
„Schön. Das wollte ich dich gerade fragen“, Nate lächelte dabei so charmant, dass ich mich richtig zusammenreißen musste, um einen klaren Kopf zu behalten.
„Chris ist ein Programmiergenie. Wir können uns also voll auf das Konzept und das Design der Internetseite konzentrieren, während er den ganzen Rest macht“, erläuterte Nate.
„Ihr seid für den kreativen Kram zuständig und ich setze alles um, was Ihr wollt“, bestätigte Chris.
„Einverstanden. Programmieren ist nicht wirklich mein Ding“, gestand ich.
„Da bist Du nicht alleine“, erwiderte Nate. Das war die erste Gemeinsamkeit, die ich an uns entdeckte.
„Hast Du schon eine erste Idee für die Plattform?“, fragte ich Nate.
„Nichts Konkretes. Aber wir sollten eine Seite bauen, bei der wir für die langfristige Betreuung wenig Aufwand haben. Also, wir sollten zum Beispiel nichts verkaufen, wo wir den Versand organisieren müssen“, antwortete Nate.
„Die User sollten sich selbst versorgen können. Bei Facebook