„Ich heiße Johann.“
„Susanne“, sagte sie und dachte, mal sehen, was das für ein Typ ist.
Im Gegensatz zu ihm, war sie eine exzellente Tänzerin, wirbelte vor ihm herum, während er von einem Fuß auf den anderen trat und dazu die angewinkelten Arme im Rhythmus bewegte. Er kam sich vor wie ein Tanzbär. Beim nächsten Tanz zähmte sie ihr Temperament und führte ihn.
„Sie geben mir das angenehme Gefühl, besser zu tanzen, als ich es von mir kenne“, scherzte er.
Sie lachte. „So schlecht tanzen Sie gar nicht. Es ist doch schön, wenn man noch zulegen kann.“
„Danke, Sie machen mir Mut.“ Er bemerkte, dass sich ein Dauergrinsen auf seinem Gesicht breit gemacht hatte, anders als bei ihr, die mal lachte, danach wieder eine ernste oder verträumte Miene annahm. Sie wird mich für einen einfältigen Trottel halten, befürchtete er und holte schnell sein Grinsen ein.
„Hallo Susanne“, tönte es von der Seite.
„Grüß dich.“ Lächelnd erklärte sie Johann: „Mein Vetter Siegfried.“
Als der Tanz zu Ende ging, fragte sie: „Können wir eine Pause machen? Ich möchte kurz mit Siegfried reden.“
„Ja, natürlich“, antwortete er, „ich warte an der Theke.“
Mit einem Glas Sekt setzte er sich auf einen Barhocker und träumte, freute sich über den Zufall, der ihm diese schöne Frau ins Kreuz gehämmert hatte. Ein leichter Zweifel befiel ihn: Und wenn sie mich hier sitzen lässt?
Nein, das tat sie nicht. Lächelnd kam sie auf ihn zu, nahm sich an der Theke ein Glas Sekt und sagte: „Prost.“
„Ja, zum Wohl.“ Er hob sein Glas und stieß mit ihr an. An eine Unterhaltung war bei dem festlichen Lärmpegel nicht zu denken, nur hin und wieder ein paar Brocken.
„Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen; bis auf fünf Jahre in Freiburg habe ich mein ganzes Leben hier verbracht“, gab sie preis.
„Ich komme aus Hamburg, lebe aber schon seit sechzehn Jahren hier“, sagte er und fuhr fort: „Ich arbeite bei der Firma Linder. Die ist einer der Sponsoren dieses Fests.“
Sie lächelte, er lächelte.
Sie schaute ihm in die Augen. „Wollen wir noch ein bisschen tanzen?“
„Sicher, sicher.“
Sie stellten die leeren Gläser an der Theke ab und schoben sich durch die Menge zum Tanzsaal.
„Die Band gefällt mir“, sagte er.
„Mir auch. Die lassen es richtig fetzen.“
Sie flirteten zaghaft: „Sie sind eine schöne Frau“, sülzte er, hob ihre strahlenden Augen, ihr hübsches Gesicht, umrahmt von blonden Locken, ihre tolle Figur und ihr elegantes violettes Kleid hervor.
Sie lachte, bedankte sich und erwiderte: „Auch mir gefällt, was ich sehe.“ Sie fand, dass die hohe Stirn und die randlose Brille seinem Gesicht eine intellektuelle Note gaben.
Die Band spielte einen Blues. Sie tanzten zuerst mit Abstand, dann Schritt für Schritt ein bisschen enger. Seine Nähe ist mir nicht unangenehm, stellte sie fest. Sollte ich den Richtigen angerempelt haben?
Es war nicht so, dass er sie zu sich herangezogen hätte, nein, sie kamen sich wie zufällig näher, bewegt von der magnetischen Kraft der Sympathie. Er genoss die Berührung ihres Körpers, wünschte insgeheim, dass die Musiker einen weiteren Blues nachschieben würden. Sein stummer Wunsch wurde jedoch nicht erfüllt, statt eines Blues spielten sie einen Disco-Hit, eine Serie von Disco-Hits. Dann kam eine Rumba, und die stellte ihn vor ein Problem. Im Unterschied zu Susanne kannte er die Rumbaschritte nicht.
„Da muss ich passen“, sagte er.
„Kein Problem“, antwortete sie und folgte ihm nach ein paar Takten, die sie allein getanzt hatte, ins Foyer. Tanzen macht Durst. „Trinkst du ein Glas Sekt mit mir?“, fragte sie und bat sofort um Entschuldigung für das ihr herausgerutschte du.
Und Johann reagierte schon zum zweiten Mal an diesem Abend spontan: „Lass uns beim du bleiben. Von dir geduzt zu werden, tut mir gut.“
Sie tranken Sekt, tanzten und tanzten, blieben länger als geplant. Beim Abschied fragte er: „Kann ich dich wiedersehen?“
Sie unterdrückte ihre Freude über seine Frage, lächelte ihn an und sagte leise: „Ja.“
Sie tauschten ihre Adressen und Telefonnummern aus und verabredeten sich für den nächsten Samstag um drei Uhr im Café König in der Rathausgasse. Danach eine Umarmung und ein Küsschen auf jede Wange.
Kapitel 2: Susanne und ihr Sohn Florian
Susanne war neugierig auf Johann. Sein freundliches Gesicht mit den Lachfalten um die Augen und seine zurückhaltende, höfliche Art hatten ihr gut gefallen. Auf dem Weg zu ihrem Auto, das sie in der Tiefgarage beim Theater abgestellt hatte, gingen ihr einige Fragen durch den Kopf: Was er wohl für eine Position bei der Firma Linder hat? War er verheiratet oder ist er es noch? Einen Ehering trug er nicht. Hat er Kinder? Wie wird er reagieren, wenn ich meine gescheiterte Ehe mit Horst und meinen Sohn Florian erwähne?
An ihrem Haus angekommen versuchte sie möglichst wenig Lärm zu machen. Weil das Garagentor quietschte, parkte sie in der Auffahrt zur Garage. Mit gedämpften Schritten ging sie in ihre Wohnung, steuerte auf Florians Zimmer zu, öffnete die Tür einen Spalt und war beruhigt. Er schlief fest. Florian war ihr Ein und Alles. Sie verwöhnte ihn liebevoll, so als wolle sie wieder gut machen, dass sie die Ehe mit seinem Vater aufgelöst hatte.
Müde streckte sie sich am Morgen in ihrem Bett. In der Nacht war sie nach der ersten Schlafphase aufgewacht und erst nach Stunden wieder eingeschlafen. Sie hatte an Johann gedacht, an Männer und Sex, war bei Horst, ihrem Ex-Mann, hängen geblieben, und der schwirrte ihr auch jetzt im Kopf herum.
Auf Horst war sie gestoßen, als sie mit ihrer Freundin Petra durch Indien reiste, mit dem Rucksack vier Monate lang kreuz und quer durch Pracht und Not: Hier das Taj Mahal, die Krönung muslimischer Baukunst, und dort in Lumpen gehüllte, ausgemergelte Menschen, die am Straßenrand verrecken. (Ihr Reisetagebuch zeigte, wie sie mit dem Wort ‚verrecken‘ gekämpft hatte. Zuerst hatte sie sterben geschrieben und in Klammern verhungern, verdursten hinzugefügt. Später hatte sie erkannt, dass diese Worte zu schwach waren, um das Elend auszudrücken. Sie hatte sie durchgestrichen und verrecken darüber geschrieben.)
Genau genommen war die Indienreise Petras Idee, sie war die Abenteurerin. Von ihrem Vater, der in jungen Jahren von Italien nach Deutschland gezogen und bald darauf dem natürlichen Charme einer Mannheimerin erlegen war, hatte sie den Nachnamen Polo geerbt. Petra Polo, dieser Name schien sie zu Reisen und Abenteuern zu verpflichten, auch wenn es als eher unwahrscheinlich galt, dass sie mit Marco Polo verwandt war. Jedenfalls meinte das ihr Onkel, ein Geschichtslehrer, der die Ahnenreihe ihrer Familie erforscht hatte.
Während sie in Freiburg auf das Staatsexamen büffelten, kam Petra ihr immer wieder mit Indien: „Wir sitzen hier in einem Elfenbeinturm, wissen nicht, wie die Menschen in anderen Kulturen und anderen Religionen leben.“ Petras Worte hatte sie auch nach siebzehn Jahren noch deutlich im Ohr. „Wenn wir einmal über den Tellerrand hinaus schauen wollen, dann ist das nur direkt nach dem Studium möglich, später sind wir in der Tretmühle von Beruf und Familie gefangen.“
Ja, das hatte sie genauso gesehen. Aber da waren auch noch ihre Eltern. Die Frage, wann sie Mama und Papa in ihre Reisepläne einweihen könnte, trug sie wochenlang mit sich herum und suchte nach einer günstigen Gelegenheit. Schließlich rückte sie in der positiven Stimmung ihrer Examensfeier mit ihrem Wunsch heraus. Sie hatte mit starkem Widerstand gerechnet, war dann überrascht gewesen, als kein Widerstand kam. Sie hätten in ihrer Jugend