„Ich denke, wir geben einen kleinen Beitrag Mutter“, mischte sich Hans darein, „und damit ist die Sache wohl abgemacht, Herr Rektor.“
„Ganz wie die Herrschaften befehlen – ich dachte mir, es wäre doch meine Pflicht – –“
„Schon gut, lieber Rektor“ – Hans zog sein Portemonnaie und reichte dem Rektor drei Mark.
„Da für Kuchen, für die Kinder – adieu, lieber Herr Rektor!“
Als Hans neben seiner Mutter die Veranda durchschritt, sagte diese:
„Eigentlich schade, Hanuschko, dass Du nicht hingehen willst, so was ist doch lustig und eine Abwechslung:“
„Es war eine Unverschämtheit von dem Rektor, darauf anzuspielen, dass Du Dich als Deutsche dokumentieren solltest“, erwiderte Hans erregt.
Sie lachte.
„Ach, die Leute sind ja dumm mit ihrer Wirtschaft jetzt, ob deutsch oder polnisch! Die Kinder müssen doch Deutsch lernen, sonst können sie ja hier nichts werden, und zu was ist denn die Grenze? Wenn eins hier lebt und hat sein Auskommen – da ist er deutsch! Und wenn einer in Polen bleibt, wie mein Bruder Stasch, und er hat dort sein gutes Auskommen, da ist er Pole! Ich weiß nicht, warum sie da erst so viel Gerede machen.“ Im Hausflur trat ihnen der alte Johann entgegen, ein Telegramm in der Hand haltend.
„Jesus Maria, gewiss von den Mielosenskis!“ rief Frau von Walsberg, die Depesche öffnend. Dann sch sie erstaunt ihren Sohn an.
„Denke Dir, der Stasch telegraphiert, dass er heute Abend kommt, und ich solle ihn von der Bahn holen lassen. Grade wie ich von ihm spreche, dass er sein gutes Auskommen hat, da telegraphiert er! Da ist gewiss etwas passiert!“ Hans schwieg. Er hatte diesen Onkel, der eine Oberinspektor-Stelle in Polen bekleidete, nur einmal flüchtig gesehen, erinnerte sich aber seiner mit einem Gefühle der Animosität, das er nicht begründen, oder auch nicht überwinden konnte. Frau von Walsberg eilte in die Wirtschaftsräume, um ihre Anordnungen für den Besuch ihres Bruders zu treffen. Hans hatte die dumpfe Empfindung, als bedecke der Himmel über ihm sich mit unheilschwerem Gewölk. Er durchschritt das Haus und trat hinaus in den etwas verwilderten Park, um den Der Maiabend seine Zauber spann. Unter alten Linden führte der Weg bis zu dem von dunklen Zypressen umstandenen Platze, auf dem inmitten des Parkschattens die Familiengräber lagen. Eine Bank stand dort zu Füßen des Grabes von Hansens Vater. Frau von Walsberg vermied den Platz, aber Hans suchte ihn auf, so oft er in Warozin war. Hans fühlte die Liebe seiner Mutter mit dankbarer Rührung – aber er fühlte auch von Jahr zu Jahr stärker, dass kein rechtes Verstehen, kein innerer Zusammenhang zwischen ihr und ihm war. Umso inniger wandten seine Gedanken sich dem früh verstorbenen Vater zu, und er suchte sich dein Bild klar und verständnisvoll zu vergegenwärtigen. Dabei war es eine Frage, die immer wieder quälend in ihm auftauchte. Wie war es gekommen, dass dieser Mann, aus dessen nachgelassenen Briefen ein hochgebildeter, wenn auch eigenwilliger und eigenartiger Geist sprach, wie war es zugegangen, dass er ein „Mädchen aus dem Volke“ heiratete? Hans wusste, dass seine Mutter nach Warozin gekommen war, um dort die Wirtschaft zu führen. Sein Vater war damals 45 Jahre alt gewesen, ein reifer Mann, der wahrscheinlich mancherlei erlebt, sicher viel nachgedacht und nach unruhigen Reisejahren ein Eisiedlerleben in Warozin geführt hatte. Hans blickt auf den Efeuumsponnenen Hügel hinab. Würde ihm jemals eine Antwort werden auf die Frage, die über sein Dasein entschieden hatte? Die stolze, schwerblütige Art des Vaters und der leichte stets im Augenblick wurzelnde Sinn der Mutter – er fühlte beides in sich nachklingen, und die Disharmonie beider Eigenarten spiegelte sich in seinem eigenen Empfinden. Sein bewusstes „Ich“ strebte dem Vater nach, aber daneben lebte etwas in ihm, das die Impulse der Mutter in seinem Blute vibrieren ließ. Eine Fledermaus huschte in lautlosem Fluge vorüber und berührte seine Stirn mit ihren Flügeln. Er schauerte zusammen. Es rauschte über ihm in den Lindenzweigen wie geheimnisvolle Stimmen. Hans warf sich auf den Efeu des Grabes.
„Vater – was soll denn werden – was soll denn werden?“
Und während er sich quälte um die dunkle Zukunft mit seinem unruhigen Herzen, ging in ewiger Schönheit die Mainacht mit leisen Schritten durch den Park und ließ Bäume und Blumen, Käfer und Vögel träumen von Leben und Blühen, von Werden und Freuen.
IV.
Drei Tage darauf stand in der „Ostdeutschen Nationalzeitung“ zu lesen:
„Wieder ein Gutsverkauf an die Polen! Das Rittergut Warozin, 550 Morgen, 10 800 Mark Grundsteuer-Reinertrag, soll an die Herren von Mielosenski verkauft werden. Die Verhandlungen sind, wie wir hören, noch nicht zum Abschlusse gelangt. Es besteht somit noch eine Hoffnung, dass dieser Grundbesitz dem Deutschtum erhalten bleiben kann und dass der kecke Handstreich durchkreuzt wird, mit dem sich das Polentum in dem Kreise Ulzenburg, der bisher nur deutschen Grundbesitz umschloss, einzunisten versucht. Freilich bedarf es dazu einer schärferen Wachsamkeit und schneidigeren Haltung, als sie bisher dergleichen Vorkommnissen gegenüber von der Regierung eingenommen wurde. Es fragt sich da, ob die Worte, die der Reichskanzler unlängst über die Bekämpfung des Polentums als nationale Lebensfrage gesprochen hat, nur Worte bleiben oder Taten zeitigen sollen. Der Besitzer des Gutes, Baron Walsberg, ist Leutnant im 220. Regiment. Obgleich noch minderjährig, hat er jedenfalls die Entscheidung zu treffen. Der Vormund, der die Verhandlungen eingeleitet hat, ist Rittmeister d. R. Beide zählen somit zu den Kreisen der Gesellschaft, welche Se. Majestät der Kaiser als die „Edelsten der Nation“ bezeichnete. Noblesse oblige!“
Diese Nachricht, sofort nach Berlin telefoniert, blitzte noch zur selben Stunde mit den Depeschen des Wolffschen Bureaus durch ganz Deutschland, an demselben Tage durch die „Reuter“- und „Stefani“- Agenturen und die „Associated Press“ über ganz Europa und um den Erdball herum. Während Hans seinen Kummer tief in sich verschloss und seinem Kameraden Benno Arden Schwiegen zur Ehrenpflicht gemacht hatte, wusste plötzlich die ganze Welt darum. Im Gegensatze zu der verschärften Staatsaktion, welche die Regierung jüngst noch im Landtage angekündigt hatte, wirkte die Nachricht sensationell. Im Auslande wurde sie mit schadenfrohen Worten kurz kommentiert, von deutschen Blättern in entrüsteten Artikel ausgesponnen. Berliner Blätter deuteten alsbald auch an, dass der Kaiser sich höchst ungnädig über diesen Fall ausgelassen habe.
Der Regierungspräsident von Arden hatte gerade an seinen Sohn Benno geschrieben, er möchte zur Feier seines Geburtstages noch seinen Freund Leutnant von Walsberg mitbringen, da getanzt werde sollte und die Tänzer rar wären. Zur selben Stunde, als der Brief etwa in den Händen Bennos sein musste, wurde Herrn von Arden die „Deutsche Nationalzeitung“ mit der blauangestrichenen Notiz vorgelegt. Das korrekte stets ein gemäßigtes Wohlwollen ausdrückende Gesicht des Präsidenten wurde einen Schein blasser.
„Das ist ja unerhört!“ fuhr er den Regierungsrat an, der ihm das Schriftstück vorgelegt hatte. „Telefonieren Sie sofort an den Landrat von Ulzenburg und fordern Sie schleunigen Bericht.“ Die telefonische Antwort brachte den Bescheid, dass der Landrat auf einer Urlaubsreise begriffen, um übrigen im Landratsamt wohl die missliche pekuniäre Lage von Warozin, ein Verkauf an Polen aber nicht bekannt sei.
„Das ist ja eine Haupt – “ der Regierungspräsident unterbrach seinen Gefühlsausbruch und sah den Regierungsrat an.
„Was ist da zu machen?“
„Sehr fatal – es ist der dritte Polenverkauf in unserem Bezirk.“
Der Rat blickte mit tiefem Ernst auf das ominöse Zeitungsblatt herab, der Präsident ging erregt im Zimmer umher. Dann sagte er:
„Zunächst muss die Presse zum Schweigen gebracht werden.“
„Ja, wünschen der Herr Präsident, dass ich –“
„Nein, nein, ich fahre selbst zum Professor von Schulen.“
Eine Viertelstunde