Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heiko Rosner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037302
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Verhandlungen mit der Deutschen Bank geführt (wenn Cash bezahlt wurde, achte man bei Möller nicht auf Äußerlichkeiten). Eine rothaarige Frau stürzte ihm hinterher, immerhin angekleidet, aber noch betrunkener, und dem Hosenlosen in wenig Zuneigung verbunden. Es entspann sich ein lauter Disput, der sich um ein unbezahltes Kind, Mietschulden und eine Susie drehte, die der Rothaarigen lieber nicht mehr unter die Augen kommen sollte. Einn normaler Ehestreit, nur mit dem Unterschied, dass er in aller Öffentlichkeit auf dem Spritzenplatz ausgetragen wurde und beide zu besoffen waren, um sich verprügeln zu können.

      Siebzehn schob an dem krakeelenden Pärchen vorbei und passierte die gesichtslose Zaratomtailorstarbuck-Ödniss der Ottenser Hauptstraße. Die Schreierei hinter ihm ging weiter, vielleicht war Susie dazu gekommen. Manchmal war Siebzehn richtig froh, dass er in den gefährlichen Jahren frauenlos geblieben war. Am Ende hätte er sonst auch so eine unegale Kreischfurie am Hals. Nicht auszudenken. Ihm reichte schon Luistrenker.

      An der Beisser-Metzgerei erregte ein Stand seine Aufmerksamkeit. „Wem gehört die Stadt?“, fragte es von einem riesigen roten Transparent. Daneben Plakate mit Inschriften wie „Weg mit Luxusbauten“ und „Wir wollen keine Yuppies in unserem Viertel.“ Dass es so etwas noch gab. Als ob die Yuppies mit ihren Designershops und Kettenboutiquen nicht längst ganz Ottensen in ihren Besitz genommen hätten. Siebzehn trat trotzdem näher, neugierig, auch ein bisschen sentimental berührt. Die jungen Leute am Stand trugen T-Shirts mit „Miethaie raus, Migranten rein“-Aufdruck. Sie hätten Siebzehns Söhne oder Töchter sein können, mit ihren bunten Haaren und Anschraubern auf den Lippen, die furchtbar beim Küssen stören mussten. Ob sie die vorher abnahmen? Nicht, dass ihn diese Frage furchtbar beschäftigte, aber man machte sich halt so seine Gedanken.

      Auf dem Tisch lagen die üblichen „Bundeswehr raus aus dem Iran“-Sticker und Anti-Hartz-IV-Flyer. Er griff nach einem der Flugblätter. „Hamburg wird luxussaniert,“ laß er. „In der Bergstraße, die einmal Hamburgs erste Fußgängerzone war, sind die Mieten dank des Ikea-Baus um bis zu 70 Prozent gestiegen. Die kleinen Läden machen dicht, die alten Einwohner werden verdrängt. Wir weigern uns, diese Stadt in Marketing-Kategorien pressen zu lassen. Wir glauben: Eure ,Wachsende Stadt‘ ist in Wahrheit eine segredierende Stadt, wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb. Wir fordern: Bezahlbarer Wohnraum für alle! Wir stellen die Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der ,Wachsenden Stadt‘ gehören. Denn die ,Wachsende Stadt‘ ist eine untergehende Stadt. Wir wollen leben! In Ottensen, St. Georg, im Gängeviertel und anderswo! Sonst ist bald jeder Tag ein 1. Mai!“

      Der subtile Umgang mit der Gewaltfrage gefiel Siebzehn. Das hatten sie früher ungeschickter gehandhabt.

      „Der nächste Mietspiegel kommt bestimmt“, laß er weiter. „Aber wir wissen, wo eure Fettautos stehen. Haut lieber ab.“

      Eine klare Ansage. Erfrischend, dass es es so etwas heute noch gab. Ein schlankes Mangamädchen mit viel Kajalschwarz um die Augen und einem makellosen Gesicht wie mit Fotoshop gemeiselt trat auf ihn zu. „Hallo“, sagte sie einladend lächelnd. „Wohnst du hier in der Gegend?“

      War das eine Anmache? „Wieso, du nicht?“, fragte er zurück. In Gedanken ertappte er sich bei einer Männerphantasie, die er in keinster Weise brüderlte.

      „Nee“, sagte Kajalauge. „Bin nur eingeteilt. Aber wenn du im Viertel wohnst, darfst du unterschreiben.“

      Sie schob ihm einen Klemmblock zu, auf dem eine schon zu zwei Dritteln ausgefüllten Unterschriftenliste im Wind flatterte. Überschrift: „Miethaie raus aus Ottensen!“ Daneben ein schlecht gemalter Hai, der mehr aussah wie eine Forelle mit Piranhazähnen und mit dem Kopf in einer Guillotine steckte.

      Für dadaistische Kunst hatte Siebzehn etwas übrig. „Aber nur zu gern“, sagte Siebzehn und schnappte sich den Block. Er trug fein säuberlich ein „Karl-Heinz Bredstedt, Eulenstraße 55, 22765 Altona“ ein. Nur bei der Sparte „Beruf“ zögerte er kurz. War das datenrechtlich erlaubt? Aber er wollte die Zeile vollkriegen, deswegen schrieb er „Kunstwissenschaftler“ hin. Atomingenieur hätte zu angeberisch geklungen.

      Die kleine Manga-Göre ließ ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen. „‘Ne coole Jacke hast du da an“, sagte sie, als Siebzehn ihr den Klemmblock zurückreichte. „Dreh dich mal um.“

      Den Gefallen tat ihr Siebzehn nur zu gern. Im richtigen Moment zog er den Hintern ein, kaum merklich.

      „Cool,“, sagte Kajalauge beim Anblick des Büffel-Totenschädels unter dem Western-Schriftzug DAKOTA. „Wie die Fahne von St. Pauli.“

      „Nur mit anderen Knochen.“ Siebzehn drehte sich wieder um und sonnte sich in der ungeteilten Aufmerksamkeit der Manga-Queen. „Ist ein Einzelstück“, sagte er, ohne angeben zu wollen. Was sogar stimmte, denn auf dem Flohmarkt der Altonale hatte es im letzten Jahr nur diese einzige Dakota-Jacke gegeben und er hatte sie für zehn Euro geschossen. „Jeder Knochen ist handgenäht. Gibt auf der ganzen Welt keine zwei Dakota-Jacken, die gleich aussehen.“

      Das hatte er zwar gerade erfunden, tat der Bewunderung des Manga-Mädchens aber keinen Abbruch. „Echt cool. So eine hätte ich auch gern. Aber - ist die nicht zu warm für‘n Sommer?“

      Siebzehn wiegte bedächtig den Kopf, denn gerade in der heißen Jahreszeit hatte er ganz und gar nichts gegen dünne Blusen. „Die merkst du kaum. Trägt sich wie...“ Er überlegte. „...wie gar nichts.“ Was auch nicht ganz stimmte, denn gerade jetzt war es ihm verteufelt heiß (hatte wohl nicht ganz geklappt mit der Männerphantasie).

      Kajalauge merkte davon zum Glück nichts. Zumindest tat sie so. „Super“, sagte sie in Abweichung ihrer sonstigen Terminologie. Sie griff unter den Tisch, zog etwas Weißes, Rundes hervor und ratschte eine Klebefolie weg. „Dann schenke ich dir das. Damit man dich auch von vorne erkennt.“ Mit diesen Worten klatschte sie ihm den Aufkleber auf die Brust. „Miethaue raus aus Ottensen“, stand darauf. Ohne Forellenhai.

      Siebzehn war gerade im Begriff, die vermeintliche persönliche Adelung als Ausdruck einer außergewöhnlichen Wertschätzung zu inhalieren, als sich ein zitterrütteliger Renter mit Rollator neben ihn schob. Kajalauge sprang sofort auf ihn zu: „Hallo. Wohnst du hier in der Gegend?“

      So astrophysikalisch schnell konnte eine weibliche Aufmerksamkeitsspanne sich auf ein neues Ziel ausrichten. Nicht dass Siebzehn diese Erfahrung zum ersten Mal gemacht hätte. Es wunderte ihn nur immer wieder, dass Frauen offenbar über ein Gen pragmatischer Effizienz verfügten, wo Männer einen blinden Fleck hatten. Für das Manga-Mädchen war er Geschichte und eine Unterschrift auf einem Zettel. Die Männerphantasie ging nach Hause (leicht gekränkt). Den Aufkleber ließ er trotzdem dran, rein aus Trotz. Scheißmangas.

      Er trottete weiter und betrat das Mercado, das Ottenser Einkaufszentrum mit schicken Geschäften von Gucci und Flutschi und Elektronikgeräten von der letzten Weltraumaustellung. Als der riesige Geschäftsklotz 1992 eröffnet wurde, regte sich der Protest der Gutbürger, denn auf dem Baugelände befanden sich die Überreste eines jüdischen Friedhofs, der einst von den Nazis zerstört und zubetoniert wurde. Nach langen Verhandlungen brachten die Betreiber eine Gedenktafel im Untergeschoss an, was die moralischen Bedenken der konsumwilligen Ottenser schlagartig zerstäubte. Heute nahm keine Sau mehr Notiz von den historischen Totenplatten, an denen man vorbei musste, wenn man im Budni Badewannen-Ex oder Pfirsichshampoo erwerben wollte. Gelungene Integration, leicht gemacht.

      Im Mercado gab es nichts, was Siebzehns Kaufinteresse hätte wecken können. Überall dieselben Teenie-Läden und „Sale, sale“-Schickiboutiquen. Aber sie hatten eine sehr gute Pizza im Mercado. Grazzianos italienischer Imbiss befand sich inmitten der Obst-Gemüse-und-Blumen-Wandelhalle, die dem Einkaufszentrum seinen Namen gegeben hatte, eingeklemmt zwischen einem unverschämt teuren Weinhöker und einem Sushi-Stand für den gehobenen Rollmops-Ästheten. Die Pizza von Big G war weit und breit die Beste, ohne viel Schnickschnack, dünn, saftig, gut gewürzt, was wollte man mehr. Siebzehn war gern zu Gast am Pizzaofen, vor allem wenn Grazzianos bildhübsche