Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heiko Rosner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037302
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das mit dem Penner will ich mal überhört haben“, grollte er, während er sich blassgrünen Aleteschleim von der Schulter flitschte. „Sonst ist bald ganz schnell das Betreuungsgeld futsch.“

      Die Gabi Zenckers verstummten schockiert, als würde der Verlust ihrer Goetz-Kundenkarten auf dem Spiel stehen. Nur die Obelix-Frau blieb misstrauisch: „Das haben Sie doch nicht zu bestimmen“, sagte sie mit in den Hüften gestemmten Oberschenkelarmen. „Soll ich Ihnen was sagen? Sie sind überhaupt kein Polizist. Und Sie reden auch nur mit Ihrem Ärmel, aber da ist gar keiner drin. Ich glaube, ich rufe jetzt die Polizei.“

      „Nur zu“, ermunterte Siebzehn die Dicke. „Wenn die Kollegen kommen, wird es allerdings offiziell. Das heißt für alle eine Nacht im Hotel zur gesiebten Aussicht. Viel Vergnügen.“ Er ratterte die Sätze roboterhaft herunter, als wäre es ihm völlig egal, in welchem Knast die Mehrfachmuttis in der nächsten Nacht versauerten.

      Das saß. Paris Hilton drängelte sich vor und schob die Obelixfrau zur Seite. „Bitte, Herr Hauptkommissar“, flüsterte sie beschwörend und teuer odorierend. „Sie meint das nicht so. Können wir das nicht gütlich regeln?“ Sie überraschte ihn mit einem Zaubertrick. Wie aus dem Nichts hielt sie einen 200-Euro-Schein in der Hand. „Das alles ist ein schreckliches Missverständniss. Wir können die Sache doch sicher anders aus der Welt schaffen – oder, Herr Hauptkommissar?“

      Siebzehn war eigentlich unbestechlich. Obwohl, diese Augen, dieser Mund, die waren fast mehr wert als 200 Euro. Ganz kurz überlegte er, wie es wohl wäre sie zu küssen. Eine schwachsinnige Idee. Aber sie erinnerte ihn etwas an... an... ach, den Namen hatte vergessen. Außerdem musste er einkalkulieren, dass der Gemüsestandtyp die Bullen rief, und bei denen würde er mit einer Polizeimarke aus der „Dirty Harry“-Special-DVD-Kollektion garantiert kaum Eindruck schinden.

      Siebzehn griff zu. Die Menschen sollten sich schließlich auf ihre Polizei verlassen können. „Alles klar, Siebenacht, hat sich erledigt“, sagte er in seinen Ärmel. Mit der anderen Hand ließ er den gelben Merkeldollar in seiner Jacke verschwinden. A. hieß sie, jetzt fiel es ihm wieder ein. A. Und wenn schon. Das waren Erinnerungen, die es nicht mehr gab.

      „Okay, meine Damen.“ Er rückte von der Blonden ab, denn er kam sich vor wie in einem Parfum-Tornado. „Dann will ich es ausnahmsweise einer Verwarnung bewenden lassen“, sagte er mit gebieterischer Stimme. „Ich muss sie trotzdem auffordern, den Platz zu räumen. Es gehen Ermittlungen vor sich. Wenn ich Sie also freundlich bitten dürfte...“

      Er durfte. Zum Abschied legte er eine Hand an die nicht vorhandene Schirmmütze und hinterließ eine Paris Hilton, die ihren Freundinnen noch tagelang von diesem merkwürdigen Polizisten mit der Rastafrisur und der speckigen Lederjacke erzählte. Der Mütterknoten löste sich auf und rackelte schwatzend und gestikulierend Richtung Douglas-Stänkerei, wo es weniger Drogensüchtige gab. Nur Madame Obelix warf Siebzehn einen verdrießlichen Blick zu, den der Hauptkommissar mit einer Kusshand quittierte. Höflichkeit im Dienst zahlt sich aus, alte Beamtenregel.

      Um einen unverhofften Geldregen von 200 Euro reicher, setzte Hauptkommissar Siebzehn seinen Weg zu Jimmy’s fort. Jimmy’s – eigentlich ein blöder Name für einen italienischen Schnellimbiss, zumal keiner in der Familie von Big G ein einziges Wort Englisch sprach. Aber Grazziano war der Meinung, ein internationaler Name wäre besser fürs Geschäft, weil die Deutschen den Italienern den Duce und Ballotelli übel nahmen, und der Umsatz gab ihm Recht. Jimmy’s war eine Goldgrube. Auch an diesem Tag brummte der Laden, fast alle Hocker waren besetzt, aber Siebzehn erspähte einen freien Platz in der Südkurve, neben zwei älteren Damen, die eben im Begriff waren, zu zahlen. Den enterte er und griff sich die Speisekarte, die er zwar auswendig kannte, aber zur Feier des Tages wollte er heute etwas Ausgefallenes bestellen, schließlich konnte er sich ein gastronomisches Upgrade mit den 200 Kujambels locker leisten.

      Grazziano begrüßte den Stammgast mit überschwenglicher Geste, so wie Italiener das in Coppola-Filmen tun oder Makler, wenn sie ganz exklusive Dachgeschosswohnungen mit Blick auf die Punks vom Spritzenplatz anboten. „Dottore!“ Eine fleischige Pranke umschlang Siebzehns Hand und ließ für quälende Sekunden nicht los. „Lange nicht gesehen. Was kann ich für dich tun?“

      „Ein Frühstücksbier wär schon mal nicht schlecht.“ Unauffällig forschte sein Blick nach Letitia. Hatte sie etwa einen freien Tag? „Essen überleg‘ ich mir noch. Kannst du was empfehlen?“

      „Alles ist gut bei mir. Weißt du doch. Bestes Pizza von Hamburg.“

      „Nee, auf Pizza steh ich heute nicht so. Aber sag mal, wo ist eigentlich Letitia?“

      „Macht sich schön für dich.“ Der kleine, dicke Italiener lächelte unergründlich. „Will sie aber nicht, dass ich sage. Hat dich kommen sehen, und zack weg.“

      Siebzehn war sich nicht ganz sicher, ob Grazziano damit ausdrücken wollte, dass es besser wäre, die Finger von seiner Tochter zu lassen oder ob er nur einen Scherz unter Männern machte (Männer, die fast gleichaltrig waren und mehr als zwanzig Jahre älter als Letitia, Sportsfreunde eben). Daher ließ er es mit einem ironischen Nicken bewenden: „Hat eben einen guten Geschmack, deine Tochter“, sagte er, ohne einer Lüge zu nahe zu kommen. „Ganz der Vater.“

      „Liegt in Familie, bleibt in Familie. So soll sein.“ Der kleine, dicke Italiener lachte gutmütig. „Hab übrigens Tipp für dich. Falls du Interesse hast.“ Die letzten Worte sagte er mit vertrauensvoll gesenkter Stimme.

      „Immer“, sagte Siebzehn, der eine Renditeoptimierung aus berufenem Mund niemals ausschlug. „Um was geht’s?“

      „Nachher. Wenn leerer ist“, raunte Grazziano. „Ist gutes Geschäft. Viel Gewinn.“

      „Klingt gut,“ sagte Siebzehn. „Merk uns vor.“

      Als hätte Grazziano nichts anderes erwartet, wischte er sich geschäftig die wurstigen Finger an der Schürze ab und gab Siebzehn eine High-Five. „Bene“, sagte er und grinste wie der offene Schlitz eines Portemonnaies. „Sehn uns, mi Amigo.“

      Mit diesen Worten flutschte trotz seiner Leibesfülle wie eine Billardkugel weg, um seiner Frau und Nichtennichten beim Bedienen der zahlreichen Gäste zu helfen. Dabei brauchte ihn zwar niemand, aber als Grüßonkel richtete er keinen Schaden an und erfreute die Stammgäste mit seinen Coppola-Honneurs.

      Siebzehn war kein Menschenfeind, jedenfalls meistens, aber Grazziano hatte er vom ersten Moment ins Herz geschlossen. Wahrscheinlich weil sie ähnlich herrschaftsfrei tickten und an ein Modell des reinen Marktes glaubten. Den sie zugebenermaßen unterschiedlich auslegten. Siebzehn handelte im weitesten Sinn mit Gebrauchwaren, Grazziano mit – Beihilfe und Empfehlungen. Insofern ergänzten sich beide ideal.

      Hinzu kam die dumme Sache mit der Axt. Hätte übel ausgehen können, aber Big G vermittelte dem Richter glaubhaft, dass Siebzehn ein „grundsätzlich friedfertiges Wesen“ sei und niemals grundlos auf wildfremde Menschen losgehen würde. Obwohl der Mercedes-Lutscher angeblich Todesängste ausstand und ein Gutachter etwas von Schockzuständen und chronischer Schlaflosigkeit faselte. Big G kannte einen anderen Gutachter. Freispruch. Geht nichts über gute Connections.

      Wie lange war das her? Drei Jahre. Die Bild-Zeitung machte daraus eine große Geschichte: „Die Axt von Altona.“ In fetten Zehnzentimeter-Buchstaben auf der ersten Seite, daneben ein unverpixeltes Bild von Siebzehn, das ihn mit geschulterter Axt beim Verlassen des Gerichtsgebäudes zeigte. „Schlappe Hamburger Justiz: So etwas läuft in Hamburg frei herum“, brüllte es aus der Textzeile unter dem Foto. Und dazu die bange Frage: „Wann schlägt er wieder zu?“

      Nun, das dauerte nicht lange, das passierte gleich am nächsten Morgen vor dem Kaffeeautomat der Lokalredaktion. Siebzehns Gegendarstellung dauerte eine zehn Sekunden. Der karrieregeile Jungschreibler hatte entweder nicht gewusst, dass die Axt von Altona einen Hausausweis besitzt oder die anderen hatten ihn absichtlich nicht gewarnt, jedenfalls ging sein Nasenknorpel auf Wanderschaft und einige seiner Schneidezähne sorgten für eine bessere Belüftung des Gehirns.

      Das war seine letzte Amtshandlung im Hause Springer. Seitdem verlief