Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heiko Rosner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037302
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wurde. Schon gar nicht von so einer Katholikenfluse. „Ich nehme keine Werbung“, beschied er der Zahnspange kurz angebunden.

      „Das ist keine Werbung“, lächelte der Blaujüngling das vermeintliche Missverständnis beiseite. „Es ist das Evangelium unseres Herrn: Liebet einander, wie ich euch geliebt habe. Das ist die Quelle des Glücks, die in jedem Menschen verborgen ist. Danach sollten wir streben. Einander lieben. Einander helfen. Einander vertrauen. Dann wird uns das Himmelreich sein.“

      Siebzehn spürte deutlich, dass es ihm nach etwas ganz anderem strebte. Nur war der dressierte Klosterbello leider noch ein halbes Kind. Der rote Riss wurde trotzdem größer. „Von mir aus kannst du lieben, wenn du willst, aber nicht mich,“ schlug er einen unmissverständlicheren Tonfall an. „Und jetzt schieb ab und geh woanders beten.“ Damit war wohl alles gesagt. Dachte er.

      Den Saruman-Prospekt warf er hinter sich.

      Nur hatte er die Hartnäckigkeit des Kühlergrill-Missionars unterschätzt. „Sie sollten tief bereuen“, sagte der Bläuling und diesmal schob sich ein Tonfall wirklich enttäuschter Dinglichkeit in seine Kindergartenstimme. „Es gibt keine Freiheit ohne Gott. Nicht in diesem Leben und in keinem anderen.“ Er hob den weggeworfenen Flyer auf und säuberte ihn sorgfältig mit den Händen. „Wer wie ein Blinder tappt im Dunkeln, wird auf seinem Weg kein Glück finden. Und er wird Gewalt und Unrecht leiden müssen ein Leben lang.“

      Konnte das wahr sein? Jetzt drohte ihm der Knülch auch noch. Was für eine gottverdammte Gehirnwäsche hatten sie diesem Bengel bloß verpasst?

      Siebzehn versuchte es ein letztes Mal im Guten: „Hör zu, du Äffchen“, sagte er musterte den Jesusjunior mit dem Ausdruck kühler Verachtung. „Du störst mich beim Essen. Du laberst mich voll. Deine Sekte ist ein Haufen gequirlter Scheiße.“ Um seinen Worten den nötigen Überzeugungsgehalt zu verleihen, tippte er bei jedem dieser Sätze fest und immer fester auf das spindeldürre Jochbein des Zwergkatholiken, der seltsamerweise sein zinsloses Lächeln nicht einstellte (als wäre er illuminiert vom himmlischen Liebeslicht). „Wenn du klug bist, ziehst du daraus die nötigen Schlüsse, sonst erlebst du das nächste Halloween nicht mehr. Cappice?“

      Der Junge betrachtete Siebzehn mit einem eindrucksvollen Stirnrunzeln, wirkte aber weder verängstigt, noch schockiert. Im Gegenteil, es sah eher so aus, als hätte er in Siebzehn Finstermiene etwas entdeckt, das ihm vorher nicht aufgefallen war, aus welchen Gründen auch immer.

      „Sie sind ein guter Mensch, Sie wissen es bloß noch nicht“, sagte als hätte eine obskure Energie von ihm Besitz ergriffen. „Der Herr ist mit Ihnen. Ja, jetzt sehe ich es, der Herr ist mit Ihnen.“

      Spätestens da platzte der rote Riss endgültig, da hätte auch keine fromme Musik mehr geholfen. „GEH MIR MIT DEINEM KACKJESUS WEG UND SCHER DICH ZUM TEUFEL, DU FICKFEHLER!“, röhrte Siebzehn so laut, dass in der nahe Douglas-Parfümerie fast die Pröbchen umfielen. „DEIN HERR KANN MIR DEN BUCKER RUNTERRUTSCHEN, UND DU GLEICH MIT. UND JETZT SUBTRAHIER DICH, SONST WANDELT GLEICH JEMAND GANZ ANDERES IN EWIGER DUNKELHEIT! JEHOVA!“

      Das musste mal gesagt werden, an so einem – Letitia-Tag. Warum Siebzehn „Jehova“ brüllte, wusste er übrigens selbst nicht so genau, das kannte er aus einem alten Monty-Phyton-Film.

      „JEHOVA! JEHOVA!“

      Verrückt, was? Das dachte wohl auch Big G, der seinen Wettpartner noch nie so wütend erlebt hatte, selbst wenn irgendwo in Südamerika in letzter Minute ein nicht abgesprochenes Tor gefallen war. Der Italiener beruhigte

      Doch so schnell wie Siebzehn an die Decke gegangen war, so schnell beruhigte er sich auch wieder. Während sich der Bläuling respektvoll verzog, musterten die ie Umstehenden den zotteligen Rasta mit skeptischer Distanz, denn was hatte der kleine Junge dem alten Mann denn getan, aber einer Rentner mit Hut meinte, es sei wirklich eine Unverschämtheit, dass die rumänischen Bettler jetzt schon ihre Kinder vorschickten, obwohl der Kleine ja wirklich sehr süß ausgesehen habe. Worauf eine mittelalte Brünette im beigen Bürokostüm über ihrer Pizza Hawaii einwarf, dass sei kein Rumäne gewesen, sondern ein anständiger deutscher Christ vom Kirchentag, an dem sich alle ein Beispiel nehmen sollte. Ob der Kirchentag denn ein Feiertag sei, wollte darauf einer aus der Laptop-Fraktion wissen. Was die Brünette mit einem vernichtenden Blick zu Siebzehn ignorierte, als wolle sie sagen: Da können Sie sehen, was Sie angerichtet haben, Sie Schnösel.

      Siebzehn kümmerte sich nicht um das Gequatsche und vertilgte die Reste seines Terra-Mare-Tellers. Damit die Fische etwas zum schwimmen bekamen, bestellte er zum Nachspülen einen doppelten Grappa, den Big G weit über dem Eichstrich einschenkte. „Besser trinken“, lautet der Tipp des Italieners, der sich geradezu rührend um Siebzehn kümmerte, fast wie ein Schwiegervater.

      Eine halbe Stunde und zwei Stonsdorfer später hatten sich die Reihen der Gäste gelichtet. Die Spülmaschine rotierte, der Pizzakoch säuberte die Bleche, es kehrte Siesta ein im kleinen italienischen Familienbetrieb. Letitia raffte eilig ihre Handtasche, angeblich ein Termin beim Friseur. Zum Abschied schickte sie ihm einen Handkuss, den er an sich vorbeifliegen ließ.

      Gar nicht drüber nachdenken, nahm sich Siebzehn vor. Vorbei, vergessen, erledigt. Sollte die blöde Ganz doch glücklich werden mit ihrem Froschprinz, den Oma für sie ausgelost hatte. Bestimmt sah er todschick aus, hatte Syphillis im Endstadium und erbte einmal den ganzen Hühnerhof. Wenn das keine Perspektiven waren. Und was hatte sie eigentlich gegen seine Jacke? Wie würde die aussehen? Verwest? Hatte sie wirklich verwest gesagt? Wie borniert war das denn? Aber selbst im Bitchfummel rumrennen, na danke. Nein, er regte sich nicht auf. Er hatte die Dinge im Griff. Wie immer.

      Nach dem dritten Stonsdorfer.

      Grazziano setzte sich neben ihn und schlug Siebzehn aufmunternd auf die Schulter: „Du nicht ärgern wegen Christenkind. Sind alle wusch im Kopf. Habe viel Besseres. Gibt Geld aus dem Himmel. Viele Geld sogar.“

      Einen ganz kurzen Moment überlegte Siebzehn, ob er Big G fragen sollte, was ihm dabei einfiel, seine Tochter in die Hände eines italienischen Geflügelgrappschers mit Schuppenflechten am Rohr zu geben, aber diese Blöße wollte er sich dann doch nicht geben. Außerdem mischte er Privates nie mit Geschäftlichem: „Viele Geld hört sich gut an“, sagte er. „Wie viele ganz genau?“

      Der stämmige Italiener lächelte vieldeutig. „Genug. Willst du erst einen Schnaps?“

      Die Frage hätte er nicht zu stellen brauchen.

      Der Einfachheit halber goß Big G gleich zwei an und stieß mit Siebzehn auf das Geld aus dem Himmel an, wie man in Italien überraschende Kontobewegungen nannte. „Aber du weißt wie immer nicht von mir.“

      „Iwo“, sagte Siebzehn und rückte noch etwas dichter an Grazziano. „Manche Dinge fallen einfach aus dem Himmel, weil der liebe Gott es so will.“

      Grazziano bekreuzigte sich: „Si“, stimmte er begeistert zu. „Fallen aus Himmel. Wie Zufall. Kann Bombe sein, kann Fortuna sein.“

      Grazziano war wie fast alle Italiener ein Fußballdoktor, der leidenschaftlich gern wettete. Und Bomben und Fortuna konnte er gut unterscheiden.

      „Also?“, fragte Siebzehn.

      „Udine“, sagte Big G. mit gesenkter Stimme, obwohl sich niemand in Hörweite befand. „Undine gegen Lazio Rom. Tipp auf 1 mit zwei Toren Abstand. Ist hundertprozentig.“

      Siebzehn runzelte die Stirn. „Wieso spielt Udine gegen Lazio? Die Meisterschaft ist doch längst vorbei?“

      „Ist irgendein neuer Cup. Hat sich Uefa-Mafia ausgedacht zum Geldmachen. Coppa Mediterraneo. Völlig diffuso.“

      „Und da gewinnt der Absteiger gegen den Tabellendritten?“, meldete Siebzehn zaghafte Zweifel an.

      „Si. Italienisch Wunder. Kommt vor.“

      „Klingt nach einem ziemlich unwahrscheinlichen Wunder.“

      Grazziano rollte lustvoll mit den Augen. „Deswegen ist ja molto prima. Zwischen Spielzeiten alles kann passieren. Die eine Mannschaft