Die letzte Seele. Lars Burkart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lars Burkart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753185972
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haben? Schließlich würde die Frau nie erfahren, wozu er sie missbraucht hatte.

      „Was? Was hast du gesagt?“

      „Ich wollte nur wissen, ob wir uns noch mal an die Teufelspisse wagen wollen.“

      Paul überlegte kurz und fand die Idee genial. Also watschelten sie zu Jerome, damit er ihnen das Gesöff mixte.

      Mittlerweile war es nach Mitternacht. Ein Großteil der Gäste war schon längst verschwunden, und so wurde es im Haus immer ruhiger. Paul und Vincent waren nur noch damit beschäftigt, einen Drink nach dem anderen zu kippen. Auch ihr Gastgeber hatte Mühe, gerade zu stehen.

      „Männers“, lallte er, „einer geht noch!“

      Die Luft roch nach Tabak und Alkohol und erinnerte an eine Hafenkneipe. Auf den Fliesen lagen zertretene Kippen, umgekipptes Bier trocknete neben Schnapsgläsern, und dazwischen pennte eine Schnapsleiche. Leise dudelte die Stereoanlage. Irgendein Schund. Kuschelrock, die Zweimillionste, vermutete Paul.

      Sie saßen auf den Fliesen einander gegenüber, bliesen Qualm in die Luft und hatten Mühe, aufrecht zu sitzen. Die Musik stimmte Paul plötzlich traurig. Sie führte ihm die Ereignisse der letzten Tage in Erinnerung. Nun bedauerte er, was geschehen war. Zum ersten Mal bedauerte er es richtig. Er wünschte, es wäre nie so weit gekommen. Er war zwar schon vorher todtraurig gewesen, aber erst jetzt wurde ihm die Veränderung bewusst. Nichts würde mehr so sein, wie es gewesen war. Ihre Wege hatten sich getrennt; Jeannine ging in die eine und er in die andere Richtung. Der Unterschied war nur: Sie hatte diesen Weg gewählt. Seiner war ihm aufgezwungen worden. Und sie hatte die Kinder. Und was hatte er? Nichts. Scheiß auf das große Haus und scheiß auch auf den Porsche. Auf das Geld erst recht, davon bekommt sie ohnehin noch die Hälfte. Das ist alles Mist, die Familie war viel wichtiger. Nur schade, dass er das erst jetzt kapiert hatte. Jetzt, da er sie verloren hatte. Oh, wie wünschte er, das alles wäre nie geschehen!

      „Paulchen, was ist mit dir? Ist was nicht in Ordnung?“ Jerome sah vom Glas auf, in seinen Augen stand Sorge. Vielleicht gab das ja den letzten Stoß. Jedenfalls konnte Paul sich nicht mehr beherrschen. Es brach aus ihm heraus.

      „Sie hat mich verlassen.“

      Die Worte kamen schnell über seine Lippen. Viel schneller, als er es gedacht hätte. Sie waren schon gesagt, ehe sein Mund den Befehl dazu hatte geben können.

      Jerome war entsetzt. Er sah ihn fassungslos an und schien seinen Ohren nicht trauen zu wollen.

      „Was? … Was? Was redest du da? Das ist doch unmöglich!“

      „Ich wünschte, es wäre so. Du kannst dir nicht vorstellen, wie. Aber leider ist es die traurige Wahrheit. Sie ist weg und wird nie wiederkommen.“

      „Ich glaub das einfach nicht! Ihr seid doch immer ein so gutes Team gewesen. Du willst mich verarschen, oder?“ Er sah ihn fragend an, aber der Blick, der ihn traf, verriet ihm, dass dies keineswegs der Fall war. Verlegen rutschte er hin und her und sah, dass es auch Vincent nicht wohl in seiner Haut war. Wie sollten sie sich ihm gegenüber verhalten? Vincent hatte Jeannine weder kennengelernt noch je gesehen. Er wollte etwas sagen, ihn aufmuntern. Aber wie sollte er das tun, was sollte er sagen? In einer solchen Situation war alles falsch und nichts richtig.

      Ein paar Sekunden lang schwiegen die Männer.

      Jerome musste das erst einmal verdauen. Sie hat ihn verlassen, ich kann es nicht fassen! Was war geschehen? Was trieb sie dazu? Warum hatte sie das nur getan? Mit Grausen malte er sich aus, wie er reagieren würde, wenn seine Frau ihn verlassen würde. Eine Welt würde zusammenbrechen, es wäre…

      Paul riss ihn aus den Gedanken.

      „Ich gehe. Ich hätte das nicht sagen sollen. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe.“

      „Wo willst du hin?“, fragten Jerome und Vincent wie aus einem Mund.

      „Wie, wo will ich hin? Was soll die Frage? Nach Hause natürlich! Wohin denn sonst?“

      „In deinem Zustand fährst du keinen Meter mehr! Nur damit das von vornherein klar ist!“

      „Ja, das wäre Wahnsinn“, stimmte Vincent ihm zu, „glatter Selbstmord, wenn du mich fragst!“

      „Tue ich aber nicht.“ Paul war erregt und zornig. Mit welchem Recht verbieten die mir eigentlich, heimzufahren? Ich kenne den Weg wie meine Westentasche! Ich könnte ihn blind fahren! Er machte Anstalten sich aufzurichten, aber Jerome war schneller und drückte ihn wieder zu Boden.

      „He, was soll das? Lasst mich gefälligst!“ Paul war verdutzt, aber noch mehr verärgert. Jerome ließ sich davon nicht beeindrucken.

      „Du fährst nirgendwohin, basta!“

      „Und warum nicht?“ Paul war immer ein Trotzkopf gewesen.

      „Warum nicht?“ Jerome äffte ihn nach. „Was für eine blöde Frage! Weil du sternhagelvoll bist, deshalb! Du bist so voll, dass du kaum noch gerade sitzen kannst, von Fahren mal ganz zu schweigen!“

      „Na und?“ Paul benahm sich wie ein kleines Kind, das etwas will, es aber nicht bekommt. Kurz gesagt: Er wurde bockig.

      „Ich sag es noch mal: Du bleibst hier. Basta.“

      „Genau.“ Auch Vincent ließ wieder einen Kommentar los. Es ging ihm auf den Wecker, dass die beiden sich fast in den Haaren lagen. So sollte der Abend nicht enden. „He, Jungs“, fuhr er sie an, „haltet den Ball flach, ja? Es bringt doch nichts, wenn ihr euch die Köpfe einschlagt! Damit ist niemandem geholfen. Lasst uns lieber noch ein Weilchen hier sitzen, noch einen oder zwei heben und wieder freundlich zueinander sein. Später sucht sich dann jeder einen Platz für die Nacht. Ich für meinen Teil bin dann bestimmt so blau, dass ich sogar im Stehen penne. Was haltet ihr davon?“

      Sie dachten darüber nach.

      Und entschlossen sich schließlich, seinem Vorschlag zu folgen.

      Jerome mixte noch ein paar Drinks, und unterdessen suchte Paul einen anderen Radiosender, der nicht alle naselang Trauermärsche spielte.

      Nach dieser kleinen Meinungsverschiedenheit war die Stimmung nicht mehr die alte. Sie saßen einander gegenüber, diesmal jeder auf einem Sessel, denn auf den Fliesen war es kalt geworden. Rings um sie lagen Schnapsleichen, die so laut schnarchten wie Ochsen und gelegentlich irgendetwas lallten.

      Jerome dachte mit Schaudern an den Müll, der hier rumlag und an die Stunden, die es dauern würde, diesen Saustall wieder in Ordnung zu bringen. Vincent freute sich tierisch auf den nächsten Abstecher ins Bordell. Er konnte es kaum noch erwarten. Er war schon so etwas wie ein Stammgast dort. Mehrmals in der Woche stattete er seinem Lieblingsetablissement einen Besuch ab und ließ jedes Mal nicht eben wenig Geld dort. Darum tat es ihm nicht leid. Was ihm aber leid tat (obwohl er natürlich Spaß hatte) war, dass nie Liebe mit im Spiel war. Nicht ein Funke. Es war nur ein Geschäft, einzig und allein ein Geschäft. Und das schmerzte ihn.

      Paul, der mit Abstand am meisten gebechert hatte, hatte damit zu tun, nicht vom Sessel zu rutschen. Er bereute es jetzt, dass er es erzählt hatte.

      „He, Paul!“

      Es dauerte eine Weile, ehe die Worte sein umnebeltes Gehirn erreichten.

      „Was ist los, Kleiner?“

      Vincent blickte unschlüssig drein. Er überlegte, ob es böse gemeint war, entschied sich dann, dass es das nicht war und suchte nach passenden Worten. Wieder vergingen Sekunden, und dann meldete Vincent sich wieder – allerdings anders als erwartet. Statt etwas zu sagen, schnarchte er lautstark.

      Paul lachte. Diese Jugend, dachte er, halten nichts mehr aus, die jungen Burschen! Mit einem fröhlichen Pfeifen zog er an seiner Kippe. Seine gute Laune war schlagartig wieder da. Er drehte sich in Jeromes Richtung und lachte.

      „Ist das denn die Möglichkeit? Der pennt wie ein Murmeltier!“

      Jerome hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt. Auf den ersten Blick schien es unmöglich, so verdreht dazusitzen und dabei auch