Schon saß er bei ihr, stellte seinen Bierkrug bei ihnen auf den Tisch. „Meine Freunde nennen mich Dirk“, stellte er sich vor. „Weißt du noch…?“
Sie registrierte das Wappenbild, ein goldener Schild mit zwei roten Balken. Im Vordergrund glänzten matt zwei gekreuzte silberne Schlüssel. Ansonsten schimmerte das Hemd in der Bleiche eines Kohlweißlings und ließ sich durch Bänder enger schnüren, bei kühler Witterung. Als sie stumm blieb und vor Verlegenheit rot anlief, fragte er leise: „wie heißt du?“
„Ulrike“, brachte sie tonlos vor.
„Wie geht es deinem Vater?“
Sie musste überlegen, wo sie anfangen sollte… und wollte ihm von den vielen erzählen, die in den letzten Tagen Hab und Gut verloren, da lockten Fiedel und Sackpfeife mit frischer Kraft zum Tanz. Als die Laute einstimmte forderte er sie mit einem feurigen Blick auf, die Hemmungen über Bord zu werfen und sich zu beteiligen. Die Paare fanden sich gerade und Schwung kam auf, sie wirbelten im Kreis, dass die Röcke flogen, und Ulrike genoss es wie in einem Taumel, bis sie völlig außer Atem abbrach. Glücklich wieder am Tisch und völlig aus der Puste, wagte sie endlich, ihn offen anzuschauen. „Seid Ihr ein Ritter, Herr von Keyhusen?“
Er nickte bloß, für ihn schien es nichts, vor dem sie Ehrfurcht haben müsste. „Hör zu, Ulrike, ich bin letztlich ein Mensch wie du“, gab er zu verstehen, und sie griff schweratmend nach ihrer Bierschale und strahlte ihn vergnügt an, gespannt auf seine Geschichte.
„Meine Burg steht nahe Rastede, bei dem gleichnamigen Kloster, weißt du. Hast du schon vom Zwischenahner Meer gehört?“
Ulrike schüttelte den Kopf. Sein Gesicht gefiel ihr, und seine Wesensart zog sie an wie kein Mann vor ihm. Doch wie sollte sie es ihm zeigen? Ihn offen anzulächeln wäre aufdringlich bei einer ihres Standes. Abweisen wollte sie ihn auch nicht, und sie ahnte, wie verstockt sie auf den angenehmen Junker wirkte. Zum Glück hielt ihn ihre Schüchternheit nicht ab, gesprächig zu werden. „Ich bin mit einem Freund hier in Berne. Ein Waffenbruder aus früheren Tagen lud uns ein auf Burg Lechtenberg, doch geriet ich im Rittersaal mit Graf Moritz von Oldenburg aneinander. Er ist ein Welfe, und ich bin ein Staufer... und gut über Philipp von Schwaben zu reden, genügte einem selbstherrlichen Protz wie ihm, mich nicht länger zu mögen. Graf Moritz ekelte mich von der Burg, könnte man sagen. Ich sah keinen Anlass, mich deshalb dem Erntedankfest fern zu halten. Du brachtest mich ja derzeit im Gasthof Bunter Hahn unter, und die alte Absteige war noch frei.“
Sie seufzte. Endlich wagte sie vorsichtig zu fragen: „Woher kennt Ihr den Grafen von Oldenburg?“
Dirk rieb sich andächtig das Kinn und beschloss ehrlich zu sein. „Dieser Schweinehund ist seit einem halben Jahr mein Lehnsherr. Nach dem Fall Heinrichs des Löwen hielt man es für klug, das Lehen Sachsen zu beschneiden, und Moriz von Oldenburg war zur Stelle, um den Erzbischof zu umgarnen. Heinrich hätte ihm beinahe den Garaus gemacht, aber bei Hartwich scheint er gute Karten zu haben. Jedenfalls überließ ihm sein neuer Landherr aus dem ehemaligen sächsischen Lehen Zwischenahn und Stedingen, und ich habe das hinzunehmen.“ Er blickte ihr tief in die unruhigen Augen.
Sie wich ihm irritiert aus.
„Und… wenn wir uns so unterhalten“, flüsterte er über den Tisch. „Sag‘ bitte Du zu mir. Ich hasse Standesdünkel.“
Ulrike schmunzelte verlegen, wusste nicht mehr, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie rang sich zu einem Blinzeln durch, um ihn wenigstens zu ermuntern, es nicht aufzugeben. Warum, fragte sie sich befangen, vertiefte er das Gespräch so? Der Standesunterschied forderte, nach diesem Abend unterschiedliche Wege zu gehen…
Er schien sie ohne Worte zu verstehen. „Ich kenne Konrad von Burg Lechtenberg“, erklärte er. „Wir tranken auf einem Turnier in Lüneburg einige Maß Burgunder zusammen und schlossen Freundschaft. Er lud mich ein nach Berne, und nachdem Graf Moritz überraschend abgereist ist, wohne ich wieder bei ihm, auf Lechtenberg.“
Ulrike nickte zögernd.
„Du bist eine sehr stille, habe ich den Eindruck. “
„Warum?“
„Na, ich erzähle dir aus meinem Leben, und du guckst mich an, als hättest du deine Zunge verschluckt. Wortkarg ist gar kein Ausdruck dafür. Oder ist es, weil ich Graf Moritz von Oldenburg kenne?“
„Möglich“, gestand sie. Dann brach heraus, was sie für sich behalten wollte. „Mein Vater hat dem Grafen von Oldenburg öffentlich widersprochen, und es ist besser, dem nicht aufzufallen.“
„Das kommt nun etwas überraschend für mich“, gestand ihr der junge Ritter.
„Ja“, sagte Ulrike gedämpft. Ihr Vater würde ihr dazu den Spruch auftischen, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, und seine Freundlichkeit wunderte sie. Dirk ließ sich nicht beirren, schaute ihr aus ehrlichen Augen in das Gesicht, das ihn so seltsam anzog. Sie hob vorsorglich die Hand und fing damit seine Hand ab, die ihr zärtlich über die Schläfe streichen wollte, wie einem kleinen Mädchen, um dessen Vertrauen er kämpfte. „Bitte glaube mir, Ulrike, ich mag dich und will das Beste für dich.“
Ulrike presste die Lippen aufeinander wie unter Schmerzen, überlegte – und nickte ihm einverstanden zu. Nicht, weil ihr sein Gesicht gefiel, sondern weil seine Stimme angenehm klang und etwas in ihr bewegte.
„Warum hast du solche Angst vor dem Grafen von Oldenburg?“ Der Ton, in dem er fragte, klang vertraut, und sie erzählte ihm endlich, was ihr das Blut in Wallung brachte. „Ich frage mich, was muss das für ein Mensch sein, der so mit seinem Volk umspringt. Da beobachten die Bauern mit Argwohn das Wetter, um im richtigen Augenblick die Ernte in die Scheune zu holen, und ist es so weit, erklärt der Vogt, es gäbe wichtigeres und käme nun auf jeden Arm an, ganz schnell würden Unmengen an Holz benötigt. In meinen Augen ist das hundsgemein und schäbig, da beißt die Maus keinen Faden ab. Für ein Herrenhaus in Berne, heißt es…“
Dirk räusperte sich. „Hmmn“, brummte er. „Dazu kann ich dir was erzählen, das die Sache für dich verständlicher macht. Worum es dem Mann geht, ist nämlich für mich kein Geheimnis. Da ist zum einen ein Handelsweg… der verbindet Bremen mit Friesland und verläuft genau durch Berne. Die Bernebrücke ist der Knotenpunkt, an dem sich leicht ein ergiebiger Zoll erheben lässt. Begreifst du, Ulrike?“
Sie hob die Brauen. „Na und ob.“
Dirk lächelte, und er ahnte, wie heftig ihr das Herz schlug. „Zum anderen“, fuhr er fort, „besteht über die Olle eine Verbindung mit der Weser, und ein Herrenhaus, oder besser, eine Burg aus massivem Stein, wie es Graf Moritz vorschwebt, dient einem Zweck. Steht die, kontrolliert sie die Weser und wird von jeder Kogge, die nach Bremen will, Zoll verlangen. Der Witz ist, ein Teil davon fließt in die Kasse des Erzstifts, und er nimmt es den Bremer Kaufleuten ab.“
Ulrike stutzte. „Sagt ihr das jetzt, weil ihr das tätet?“
„Nein“, entgegnete er entschieden. „Ich musste mir nur anhören, er möchte zu Weihnachten seinen neuen Sitz in Berne beziehen… und Unmengen Geld aus diesem Land herausholen. Mir ist das zuwider. Jeder, der Zoll erhebt, treibt die Preise in die Höhe. Das trifft immer die Ärmsten.“
Ulrike fragte sich, ob er ernsthaft so denken könnte. Bolke von Bardenfleth wollte eigentlich Birte zum Tanz auffordern und ließ sich neugierig an ihrem Tisch nieder. „Und das erzählt Ihr hier ganz unverhohlen, Herr Ritter?“
Dirk hob lächelnd das Kinn. „Ich weiß nicht, wie Euch das geht, werter Herr. Ich rede über das, was mich empört, und es tut wenig zur Sache, ob ich ein Edelmann bin.“ Seine Gelassenheit sagte Bolke von Bardenfleth zu. „Ich auch“, raunte der. „Und doch werdet ihr nie und nimmer verstehen, was ein armer Bauer fühlt, wird der Nachbar über Nacht von seinem Hof vertrieben.“
Dirk nickte, ohne es als Angriff zu werten. „Und doch bin ich auf eurer Seite“, erwiderte er leise. „Ob Ihr mir