Die Ehre der Stedingerin. Eike Stern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eike Stern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039856
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vor zwei Monaten seine Frau. Und jetzt das… Das hat er nicht verdient“, raunte er. „Ach, was rede ich… Insgesamt 17 Bauern brachte es um Haus und Hof, was unser Graf da in Stedingen veranstaltet hat. Das ist eine Sauerei.“

      Ulrike bekreuzigte sich bei der Vorstellung, wie rasch man alles verlieren konnte. Sie widerstand nicht lange, der Freundin von ihrem ritterlichen Verehrer und einer fernen Burg bei Rastede zu berichten und flüsterte nicht leise genug. Offenbar hatte Eike sie beobachtet. Er biss sich auf die Lippe und sprang unvermittelt auf. Ein Blick aus anklagenden Augen, dann hob er hochmütig das Kinn, als habe er Besseres vor. In ihrem inneren Konflikt schaute Ulrike ihm nach und begegnete den heiteren Augen einer zierlichen Frau, ihr gegenüber am hochschlagenden Feuer, die sie für gleichaltrig einschätzte. Sie verbarg sich unter einer Decke aus Katzenfellen, die sie fröstelnd über Kopf und Schulter zog. Ein Gesicht mit Lachgrübchen, herzförmigen Lippen und hellen, forschenden Augen schaute unter der Felldecke vor, während das Mädchen knackend von einer Möhre abbiss und gedankenvoll kaute. Birte stellte sie vor. „Das ist Geldis, meine Freundin im Kreis unserer Mägde.“

      Ein Gefühl wie Eifersucht schlug bei Ulrike an, doch machte es Birte eher liebenswürdiger, pflegte sie eine freundschaftliche Beziehung zum Gesinde. Allerdings ergab sich keinerlei Unterhaltung mit Geldis, als ob für die andere Dinge zählten. Wie sie waren die meisten Menschen und wendeten scheu das Gesicht ab, begegnete man ihnen in Augenhöhe, oder sie brachen blinzelnd den Blick ab. Birte hingegen lachte die Welt an. In der Kirche hatte sie die Freundin beim Beten beobachtet. Die nahm das wichtig wie sie, und genau wie sie vergaß sie niemals ihr Gebet vor dem Einschlafen, als wären ihre Seelen aus einem Holz. Auch Birte überlegte nie lange, ehe sie antwortete, war offen, so wie Lüder, so wie sie. Kein Wunder, wenn sie sich zu ihr hingezogen fühlte. Sie erwog, Birte anzuvertrauen, wie schäbig sie sich wegen Eike fühlte, aber sie wusste genau, was die ihr dazu sagen würde. So wirkte Ulrike auf alle, als wäre sie einfach nicht zu einer Nacht am Feuer aufgelegt. Ihr ging Dirk nicht aus dem Kopf. Sie hätte sich nicht träumen lassen, ihn wiederzusehen... Während des Tanzes schlug ihr das Herz bis in den Hals, sie verspürte eine eigenartige Erregung in seinen Armen, die ihr noch fremd war. Wie er sehnsüchtig auf den Ausschnitt ihres Kleides äugte, ging ihr durch und durch. Nie fühlte sie sich einem Mann körperlich näher. Es weckte beunruhigende Fantasien. Und sie fragte sich, ob sie ihn bloß mochte oder sich verliebt hatte. Sie seufzte schwermütig, die Einsicht folgte, wie wenig das ihrem stolzen Vater gefiele. Dirk war ein Blaublütiger, und ihr Vater hasste alle Edelleute, Grafen und Ritter. Der hatte sich ja längst darauf versteift, Eike von Bardenfleth solle sein Schwiegersohn werden.

      3. Kapitel

      Jeden Sonntag läutete die Kirchenglocke, ob sie zur Predigt in Elsfleth rief oder zu Pfarrer Wilke Holms – es war immer so. Wer zu Haus blieb, bekam es daheim mit dem Gefühl zu tun, etwas unaufschiebbar Wichtiges zu versäumen. Fehlte tatsächlich jemand beim Gottesdienst, so gewöhnlich eine Frau, um auf den sonntäglichen Kohltopf aufzupassen.

      Die meisten Menschen strömten zu Fuß zum Gottesdienst. Die Familien der großen Höfe brachen am Sonntagmorgen nach dem Erntedankfest mit dem Fuhrwerk auf. So auch die Aumunds, und vorn auf den Kutschbock setzte sich breitbeinig Schorse, der Großknecht. Klaas, der zehnjährige Sohn des Hauses, trieb mit der Peitsche die beiden vorgespannten Ackergäule an. Wie ihre Schwestern und Geldis gab sich auch Ulrike mit einem Platz auf dem hinteren Leiterwagen zufrieden, denn zu laufen wäre mühsamer. Schließlich war sich auch Birte nicht zu gut dafür.

      Als die Huntebrücke eben hinter ihnen blieb, kaute Geldis in Gedanken versunken an einer Mohrrübe, da brach das Gefährt seitwärts aus und rammte mit dem Radlager eine einsame Birke. Ulrike wurde mit dem Schwung der jäh unterbrochenen Fahrt zu Birte und Geldis nach vorn geschleudert, und den alten Schorse überraschte der Unfall total. Er wurde vom Sitz katapultiert, überschlug sich in der Luft, und stürzte halsüberkopf auf die Deichsel. Dann erst krachte die Achse einseitig zu Boden und der Wagen kippte, während das Vorderrad in ein Eichgebüsch am Feldweg rollte.

      Birte, Geldis und Wibke hatten instinktiv Halt am Leiterrahmen gefunden und Wibke mit der freien Hand nach der kleinen Schwester gefasst, sonst wäre die in hohem Bogen auf die Binsenwiese am Fluss geworfen worden. Soweit kamen die Mädchen mit einem Schreck davon, aber Klaas, nach dem Tod des Knechts der einzige Mann in der Schar, sprang behände vom Sitz, da wurde er den verrenkt von der Deichsel hängenden Knecht gewahr. Die abgestürzte Achse hatte ein Stück weit die Grassoden umgepflügt, und sein langes Haar berührte soeben das Erdreich. Mit einem Schreckenslaut schauderte der Junge vor dem Verunglückten zurück, wurde blass und senkte erschüttert die Stirn. Ulrike vermied es, dem Mann ins Gesicht zu sehen und begutachtete mit Herzklopfen den Schaden.

      „Heute wird Wilke Holms auf uns vergeblich warten“, bemerkte sie halbwegs gefasst, als sie die Tragweite des Unfalls überschaute.

      Birte, die im ersten Schreck die Hand in den Ausschnitt des Kleides krallte, wirkte wie gelähmt und brachte so schnell kein Wort über die Lippen. Lediglich Ulrike bewahrte einen kühlen Kopf. „Niemand stiehlt eine Kutsche, der das Vorderrad fehlt, und für Schorse kommt eh jede Hilfe zu spät. Wir sollten langsam zu Fuß aufbrechen nach Berne. Irgendwer hilft uns schon weiter“, schlug sie vor.

      „Ja“, raunte Birte tonlos. Also schirrten sie die Gäule ab und machten sich mit denen im Geleit zu Fuß auf den Weg zur Kirche, in der Hoffnung, im Ort einen hilfreichen Mann zu treffen.

      Gewöhnlich verfügte Birte über ein lebhaftes Wesen, das Ulrike guttat, und es lag eine Leichtigkeit in ihren Schritten, als würde sie auf Wolken wandeln. Nach dem Unfall zog sie eine grantige Miene. „Tut mir leid, das hat Schorse verbockt“, rechtfertigte sie sich kleinlaut und bedachte den kaum noch zurechnungsfähigen kleinen Bruder mit einem stechenden Blick. Ulrike wunderte sich, verzichtete jedoch darauf, ihr auf die Nase zu binden, für wie überflüssig sie Schuldzuweisungen hielt, ist ohnehin nichts mehr zu retten.

      Durchhaltevermögen war der Freundin nicht in die Wiege gelegt, und sie ließ sich das ungehemmt anmerken, aber Ulrike sah es ihr nach, wenn sie der Umstand launisch machte. Birte gehörte zu denen, die ihre Gefühle auskosteten bis zur Neige, nicht nur die guten. Ein geringer Rückschlag genügte, sie in ein Stimmungstief zu stürzen, schnell und überraschend wie zuweilen das Wetter umschlägt. Ulrike mochte sie dennoch, ihres flatterhaften, lebensfrohen Gemüts wegen, das dem der blauen Schmetterlinge glich, die in Wolken aufstiegen, sobald man in den reifen Roggen eindrang und in die Hände klatschte, wo rot der Klatschmohn unter den Halmen blühte. An diesem Sonntag zeugte von dem wogenden Kornfeld, das vor einer Woche noch von der Anhöhe am Brookdeicher Holz überschaubar war, bloß noch ein abgeräumtes Stoppelfeld, und die Stämme der Birken schimmerten weiß im grellen Licht der Vormittagssonne. Als sich die fünf jungen Mädchen und ein zehnjähriger Knabe über den zerfurchten Feldweg näherten, marschierte Ulrike mit Birte voran und hielt plötzlich inne wie vom Donner gerührt. „Hört ihr das Getrappel?“ hielt sie die anderen mit erhobener Hand an. „Aus dem Wald kommen Pferde.“

      Birte hob das Kinn, die Hand hinter das Ohr gelegt. „Na du hast gute Ohren.“

      „So klingt es, nahen Reiter“, bekräftigte Ulrike beunruhigt.

      Auch Birte begann heftig das Herz zu klopfen. Der Gedanke an die hohen Herren, die zur Lechterburg gehörten, blitzte in ihr auf und weckte Ängste. Seit langem war davon die Rede, es sei von Seiten der Burgbesatzungen zu Übergriffen auf Frauen gekommen, und sie blickte ratlos in die Runde. Ulrike nickte alarmiert. „Los wir verschwinden ins Gehölz.“

      „So weit kommt es noch“, widersprach Birte, weil es dafür eigentlich zu spät war. „Ich bin die Tochter von Sibo Aumund. Das wollen wir mal sehen.“

      Ernüchtert fasste sich Ulrike an den Kopf. „Wie alt bist du, Birte?“ Sie erschrak selbst über den ungeduldigen Ton, den sie gegenüber der Freundin anschlug.

      Der Wortwechsel dauerte zu lange. Im gleichen Augenblick sprengten acht Reiter aus der Weglaube. Ein Ritter führte sie an, über seinen Knieplatten glänzten goldene Spangen, und sein Ross trug eine scharlachrote Schabracke mit dem rotgelben Burgwappen von Oldenburg. Er riss am Zügel und wäre fast