Die Ehre der Stedingerin. Eike Stern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eike Stern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039856
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Bildfläche verschwunden. Zeugen gab es nicht. Wem er begegnete, der endete ja in der Ochtum. Der Drängler zieht und drängt sein Opfer unbarmherzig zum Wasser, und wen es trifft, der fühlt sich entsetzlich beengt, wie mit schweren Ketten umschlungen. Vergebens klammert das Opfer sich an Baum und Strauch, wehrt und sträubt sich. Ein Rangeln auf Leben und Tod wird daraus, ehe die Kraft schwindet und das grässliche Wesen den Erschöpften ersäuft. Was der Graf ihrem Vater antat, lief auf das Selbe hinaus, er brach seinen Lebensmut und trieb ihn in die Verzweiflung.

      Nach dem überfälligen Wolkenbruch kam die Sonne wieder durch, da erschienen die vier Mädchen auf der Rodung am Hemmelskamper Wald. Die hübsche Birte Aumund sorgte für Pfiffe und anzügliche Sprüche unter den Männern.

      „Das ist die Tochter von Sibo“, tuschelte einer der breitschultrigen Burschen, die sich um Eike von Bardenfleth scharten.

      „Heda, Rike“, rief Eike sie an, und Ulrike hob das Kinn. Sie ahnte, was ihm das Herz schwermachte und wandte sich Birte zu, als sei sie anderswo gefordert, da stemmte er enttäuscht die Arme in die Hüften.

      Überall lagen Birkenstämme im Heidekraut, und fleißige Hände befreiten sie von den Zweigen. Während Ulrike mit Wibke und Timke darüber hinweg stelzte und Birte Ausschau nach ihrem Vater hielt, klang wieder das Hämmern der Äxte über die Heidefläche an dem immer ansehnlicher werdenden Kahlschlag am Birkenwald. Sibo reckte lächelnd den Kopf und ließ die Axt sinken. Seine Tochter und drei junge Mädchen steuerten ihn an. Der Mann, der einen der zwanzig reichsten Höfe im Stedinger Land besaß, ähnelte oberflächlich Birtes kleinem Bruder Klaas, doch das Leben hatte ihn gezeichnet, sein Haar war schon grau und schütter wie das Seggegras am Weserstrand. Eine kurze Erklärung genügte, ihm Einblick in den Sachverhalt zu vermitteln. Er schlug Ulrike vor: „An deines Vaters Stelle würde ich das Angebot des Grafen annehmen. Auf einer Burg sind ständig Pferde zu beschlagen und Rüstungen auszubessern.“

      „Er will das ums Verrecken nicht“, beteuerte Ulrike hastig.

      Davon wollte Sibo Aumund nichts hören und redete gelassen weiter. „Bestelle ihm einen gut gemeinten Gruß. Ich bin gewillt, euch und auch Lüder unterzubringen, und ich helfe gern. Aber ihr müsst einsehen, ich kann euch nicht auf Dauer umsonst durchfüttern. Darum werdet ihr euch nützlich machen auf dem Hof. Unser Großknecht wird euch einweisen. Und Lüder soll mir, so oft die Schmiede etwas abwirft, ein paar Silberpfennige abgeben, das ist billig.“

      „Ich will es ausrichten“, versprach Ulrike erleichtert, aber sie wusste um den Starrsinn des Vaters.

      „Gut Mädchen. Und mach‘ ihm klar: Andernfalls wird Graf Moritz einen fremden Schmied auf die Burg holen, und der wird fett werden im Dienst des Oldenburgers. Er aber wird als zweiter Schmied von Berne leben wie ein Bettelmann. Es ist ein Gebot der Klugheit, solch ein Angebot nicht abzulehnen.“

      Erleichtert nickte Ulrike. Nun lag an Lüder wie es weiterging mit ihnen… und ihr selbst mangelte es nicht an der nötigen Einsicht.

      Wibke entgegnete für sie: „Er braucht doch bloß seinen Männerstolz einmal hintenan zu stellen. Meine Güte, für uns, uns zu Liebe. Das wird er sich von mir zumindest anhören müssen.“

      „Von mir auch“, fügte die Kleine bei, und Sibo stimmte es vergnügt. Seine Worte fielen bei den Mädchen auf fruchtbaren Boden, und ihr Vater war alt genug, zu begreifen, er konnte sich bei drei aufgeweckten Töchtern nicht einfach in Schweigen hüllen.

      Aber ihr Vater tat sich schwer, eine Entscheidung zu fällen. Wenigstens zeigte er sich so weit einsichtig, Ulrike nahe zu legen, sie sei alt genug, aus dem Haus zu gehen. Den alten Hausstand zu räumen wollte er sich nicht durchringen. Lüder stellte es Wibke und Timke frei, ob sie bis zum letzten Tag in der Schmiede wohnen wollten, oder es vorzogen, sich mit seiner Ältesten bei den Aumunds einzuquartieren.

      So ergab es sich, dass Birte die Freundin nach dem gemeinsamen Mittagstisch zu sich winkte und einlud, in ihr kleines Gemach neben der Diele. Ulrike offenbarte sich eine ihr bisher fremd gebliebene Welt. Sie fühlte verunsichert über die Oberkante der fein gedrechselten Kommode. Ein ebenso vorzüglich gearbeiteter, turmartiger Schrank nahm die Ecke an der Tür ein. Sie konnte den Blick gar nicht wieder davon losreißen; hinter kleinen Glastürchen schimmerte feines, blau marmoriertes Geschirr, und obendrauf eine Elfenbeindose mit einer zierlichen Gravur um den Deckel.

      „Sag‘ mal Rike“, fragte Birte sie unter vier Augen, „hast du schon eine Vorstellung, was du anziehst, morgen nach dem Kirchgang, wenn der Festplatz geschmückt wird?“

      Überrascht blinzelte Ulrike. „Warum fragst du? Na den Kittel hier.“

      Die Freundin betrachtete sie kopfschüttelnd und zeigte auf eine runde Eichenholzscheibe, die zum Backen diente und auf der Kommode stand. „Nimm dir. Es ist gewöhnlicher Butterkuchen, aber aus unserem eigenen Backofen, ich bin stolz darauf.“

      Das ließ sich Ulrike nicht zweimal sagen. Butterkuchen bot sich sonst bloß auf Hochzeiten oder Beerdigungen. Ungehemmt langte sie zu und merkte, Birte musterte sie von oben bis unten.

      „Also so nehme ich dich nicht mit zum Tanz morgen“, gab ihr die schon ein wenig vertraute Freundin fassungslos zu verstehen.

      Ulrike verzog trotzig die Stirn. „Was hast du denn?“

      „Guck dich doch mal an“, empfahl ihr die Freundin und verschränkte nachdrücklich die Arme. „Du kannst doch nicht mit diesem lumpigen Kittel zu einer Feier gehen, wo auch Burschen sind. Also ich würde mir in so einem Zottel vorkommen wie eine Gänsemagd. Du bist erstaunlich, da fehlen mir ja die Worte.“

      Es stimmte Ulrike betroffen. Eben noch mit vollen Backen kauend, stand ihr Mund ernüchtert still. „Du bist gemein. Ich habe‘ doch nur diesen Kittel.“

      „Gemein ist, dich so losziehen zu lassen auf ein Fest, zu dem sich jede andere in deinem Alter fesch herausputzt.“

      Was Birte meinte, war Ulrike durchaus bewusst. Ihr Kittel wirkte schäbig und fleckig, auch wenn sie das nicht störte. Oft wischte sie beim Kochen die Finger daran ab. Sie nahm sich ein zweites Stück vom Butterkuchen, biss ab und kaute wieder. Aus dem Gefühl, sich wehren zu müssen, brachte sie undeutlich hervor: „Ich weiß gar nicht, was du hast...“

      „Zunächst - rede nicht, so lang du noch kaust, Rike, sonst hält dich jeder brauchbare Mann für ein Trampel.“

      Ulrike schluckte. „Ja? Weißt du, auf so etwas habe ich nie geachtet“, entfuhr ihr, aber Birte überging es und als sie ihren Kleiderschrank aus hellem Buchenholz aufschlug, war das schon nicht mehr wichtig. Angesichts ihrer Kleidersammlung staunte Ulrike sie überwältigt an. Da hing eine tiefblaue Surkotte, die sie allenfalls in ihrem Zimmer anziehen durfte. So etwas zu tragen, blieb den Hofdamen von Adel vorbehalten; ein wenig erwachte bei Ulrike der Neid. Birte hatte selbst für derart eitle Anwandlungen genügend Geld.

      Doch Birte ging es um sie. Die zeigte ihr ein friesisches Trachtenkleid, mit zierlicher Stickerei längs des Ärmels und der Säume. „Das ist von meiner Muhme. So laufen sie im Wangerland herum. Aber hat doch was, oder?“

      Obendrein boten sich in Birtes Sammlung einige dezent bestickte Röcke und Kleider in hellblau, weiß und violett, jedes Stück aus weichem Linnen. Alles war gefällig und erweckte einen gepflegteren Eindruck als das, was sie am Leib trug, und Birte schob alles beiseite und empfahl ihr ein blütenweißes Sommerkleid. „Wir sind etwa gleich groß. Probiere es einfach an.“

      Sie riss sich ihr abgetragenes Kleid über den Kopf, warf es auf Birtes Bett und zog sich das Sommerkleid über, strich es um sich glatt. Nie trug sie etwas Vergleichbares. Weich und sehr leicht und luftig fühlte es sich an, war nicht aus kratziger Wolle gewebt, sondern bestand aus feinstem Linnen. Auch einen passenden Gürtel in hellem Blau reichte ihr Birte, der die Taille unter ihren Busen verlagerte und sie gertenschlang machte, als sie den mit einer Schleife zuband.

      „Na schau mal an“, lobte Birte und nickte zufrieden. „So kannst du dich sehen lassen, Rike.“

      Sie waren unter sich in Birtes Kammer. Also stopfte sich Ulrike ungeniert den letzten Bissen ihres Butterkuchens in den Mund, und nachsichtig