Die letzten Tage des Kommissars. Dieter Lenz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Lenz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737565257
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besonders stark und während ich ihn trank, dachte ich kurz an „meinen Mordfall“. Er war für mich erledigt. Ich wusste, was auf der Welt kein anderer wusste und ich hatte meine Pflicht getan. Wenn die Welt zugrunde geht, ich habe keine Schuld daran.

      Na, sie wird schon nicht zugrunde gehen.

      Da klingelte es an der Wohnungstür.

      Eine Vietnamesin. Ich hatte die Absicht, wortlos die Tür zu schließen, weil ich glaubte, sie wolle mir Zigaretten verkaufen, denn ich bin Nichtraucher. Da sagte sie leise: „Putzhilfe?“ Und ihr Gesicht zeigte eine so rührende Ergebenheit, dass ich innehielt. Und damit war ich verloren.

      Meine Schwäche für Asiatinnen! Meine Kollegen zogen mich damit auf, aber ich mag nun mal diese sanften Gesichter, diese zarten Stimmen, diese weichen, schmiegsamen Körper.

      Ich ließ sie herein. Nach wenigen Worten wurden wir uns einig. Sie könne auch gut kochen, sagte sie, und da ich für mittags noch nichts geplant hatte, schlug ich vor, es mir doch gleich zu zeigen.

      Von Minute zu Minute wuchs zwischen uns ein stillschweigendes Einverständnis. Sie bat um Geld zum Kauf der Zutaten, sie wolle mir ein Gericht aus ihrer Heimat zubereiten. Ich gab ihr 50 Euro. Blieb sie weg, gut. Kam sie zurück, umso besser.

      Kurz vor Mittag war sie wieder da mit zwei gefüllten Plastiktaschen. Für den Tisch verlangte sie eine weiße Tischdecke, um die Teller legte sie einen Kranz gelber Blumen und in die Tischmitte stellte sie zwei Kerzen. Das Essen, ein Fischgericht, war großartig. Ich spendierte eine Flasche Weißwein.

      Später… Ich hatte in mir gegen Frauen einige Hindernisse aufgebaut. Vielleicht waren es auch Schutzwälle. Jedenfalls war seit München keine Frau in mein Innerstes eingedrungen. Aber sie schaffte es schon am ersten Tag. Wir verstanden uns ohne Worte, wir lachten über dieselben Sachen.

      Den letzten Rest Misstrauen verlor ich, als wir uns liebten.

      Es war ein langer auf- und abschwellender Genuss und mir war klar – zum zweiten Mal im Leben – ich wollte diese Frau bei mir halten. Wenn Behaltenwollen ein Teil echter Liebe ist, dann liebte ich diese Frau und zwar gleich am ersten Tag. Jetzt frage ich mich, ob sie mir nicht etwas in den Wein getan hatte.

      Abends, um halb acht, verließ sie mich. Wir vereinbarten, dass sie jeden Tag für mich kochen sollte. Sie wollte kein Geld. Nicht jetzt, sagte sie.

      In der Nacht schlief ich traumlos und tief.

      Die Zeit drängt, meine Herren, ich weiß, meine Kollegen fahnden nach mir, und manchmal höre ich Geräusche an der Tür, das schreckt mich auf.

      Ich will es kurz machen.

      Fünf Tage später erwürgte ich sie. Aber von einem Mord kann hier nicht die Rede sein.

      Ich will es erklären.

      Ich hatte volles Vertrauen zu ihr. Aber es gab einiges, das irritierte mich. Als sie mir ihren Namen nannte, es klang wie Ti-Ma, wollte ich die genaue Schreibweise wissen, am einfachsten durch einen Blick in ihren Ausweis. Sie hatte keinen bei sich. Und als ich sie fragte, wo sie wohne, drückte sie mir ihren Zeigefinger auf den Mund. Auf mein Angebot, bei mir zu übernachten, ging sie nicht ein. Das könne sie nicht, nie könne sie das.

      Jedes Mal verließ sie mich Punkt 19.30. Meine mehrfache Bitte, sie begleiten zu dürfen, lehnte sie ab.

      Nach etwa einer Woche kontrollierte ich heimlich ihre Tasche. Ich fand weder einen Ausweis, noch sonst einen Hinweis auf ihre Adresse. Nicht mal einen Wohnungsschlüssel konnte ich finden.

      Als sie mich eines Abends verließ, folgte ich ihr. Sie nahm die U-Bahn, stieg am Bahnhof Friedrichstraße aus und eilte auf geradem Weg zum Admiralspalast. Dort nahm sie einen Seiteneingang und verschwand im Aufenthaltsbereich der Künstler hinter einer Tür, ohne vorher anzuklopfen.

      Ich versteckte mich. Im Hintergrund hörte ich, wie sich der Zuschauerraum füllte. Um 19.45 öffnete sich die Tür und die Gehilfen des Magiers rollten die Verwandlungskabine in Richtung Bühne. Etwa zwei Minuten später kam Dr. Fürst mit seinem Hund heraus und ging ebenfalls in Richtung Bühne.

      Ich wartete. Dann prasselte fern im großen Saal Beifall auf.

      Das Türschloss war schnell geöffnet. Ich trat in eine Künstlergarderobe. Spiegel, Schminktisch, davor ein Drehstuhl, Kleiderschrank, eine Kommode mit einer Vase, darin weiße, halb verwelkte Rosen, ein runder Tisch mit einer Wasserkaraffe und drei Gläsern. Zwei Stühle, eine Ledercouch.

      Es gab keinen zweiten Ausgang, auch nicht in der Toilette mit der Duschecke.

      Ob Ti-Ma hier als Putze arbeitete? Aber wo war sie?

      Ich flüsterte ihren Namen. Sagte ihn laut. Rief ihn. Nichts.

      Und dann fand ich im Schrank ihr fliederfarbenes Kleid.

      Mein Herz krampfte sich, ich setzte mich.

      So saß ich vielleicht ein paar Minuten, dann gab ich mir einen Ruck und ging aus dem Zimmer.

      Ich habe gelernt, jedes Gefühl beim Tatort zurückzulassen und meine nächsten Schritte genau zu überlegen. So war es auch diesmal.

      Sorgfältig schloss ich die Tür.

      Auf der Friedrichstraße war ich schon so weit, mir vorzustellen, die Sache sei einem anderen passiert. Und ich dachte: Einen Hund in eine Frau verwandeln, damit sich ein anderer in sie verliebt – und ihm dann zeigen, was er da liebt: einen Hund.

      Denn er wollte, dass ich es entdecke.

      Das ist kein Mensch, das ist ein Ungeheuer.

      Und ich beschloss, dem ein Ende zu machen. Ich wusste auch schon wie. Was dabei an Grausamkeit nötig war, wollte ich schnell tun.

      Und das geschah am nächsten Tag. Alles lief ab wie gewöhnlich. Ti-Ma kochte, wir aßen, wir gingen ins Bett. Sie umarmte mich, ich blickte in ihre braunen Augen, sah ihre kleinen Ohrmuscheln, atmete die Wärme ihres Nackens, und plötzlich konnte ich es nicht tun.

      Doch dann trafen sich unsere Zungen.

      Und da erwürgte ich sie. Sie wehrte sich nicht. Sonderbar, nicht wahr?

      Das Geräusch, das sie von sich gab, war kein Röcheln. Es war ein Winseln.

      Oder bildete ich mir das ein?

      Ich bitte festzuhalten: Sie war kein Mensch, sie war ein Hund, in der Gestalt eines Menschen. Eine Hündin, eine Hündin! Ich hatte eine Hündin geliebt. Ich tötete eine Hündin, nichts anderes.

      Mir war jemand etwas schuldig. Ich rief ihn an. Eine halbe Stunde später legten zwei Möbelpacker die Leiche in eine Truhe. In einem Kleinlaster wurde sie wegtransportiert. Ich stand am Fenster und sah zu.

      Am Abend ging ich zur Vorstellung von Dr. Fürst, ich saß ziemlich weit vorne. Als er mit den Eisbären auf der Bühne erschien und einen Labrador an der Seite hatte, war ich verwirrt, aber nur kurz, selbstverständlich hatte er sich sofort einen neuen Labrador zugelegt. Wahrscheinlich aus einer Apfelsine gemacht oder aus sonst was.

      Kurz vor der Pause bemerkte ich zwei Männer am rechten Bühnenrand. Am gekrümmten Rücken und dem leicht geneigten Kopf des einen erkannte ich Lohmeyer. Demnach war, wie vereinbart, die Polizei alarmiert worden. Gut so. Offensichtlich hatte man die Leiche schon in der Garderobe des Magiers gefunden.

      In der Pause verließ ich die Vorstellung. Ich wusste den Magier in guten Händen.

      Während des Frühstückes am nächsten Morgen hörte ich die Nachrichten. Gleich zu Beginn berichtete der Nachrichtensprecher vom Fund einer Leiche in der Künstlergarderobe des Magiers Dr. Fürst. Ein anonymer Anrufer habe die Polizei alarmiert. Bei der Leiche handele es sich um eine erwürgte Frau. Zurzeit werde der Magier vernommen, er bestreite, die Tote gekannt oder sie jemals gesehen zu haben.

      In den Mittagsnachrichten hieß es plötzlich, der Magier sei außer Verdacht. Das Video einer Überwachungskamera zeige zwei Männer, wie sie den Künstlereingang mit einer Truhe betreten.