Als Kind hatte mich einmal ein Schäferhund angefallen, seitdem habe ich eine Hundephobie, auch wenn ich das zu verbergen weiß. Der Mann musste was gemerkt haben, ein kurzer Befehl, die Kabine ging auf und der Hund verschwand darin. Ich dachte, da bliebe er jetzt, doch sie öffnete sie gleich wieder. Na, was kommt jetzt heraus? Es kam nichts.
Ich blickte den Magier an, der gab seinem feisten Diener einen Wink. Und dieser holte aus der Kabine einen Rosenbusch mit roten Blüten, den er in ein Gefäß setzte. Da er die Kabinentür offen ließ, konnte ich das Innere sehen. Sie war leer.
„Doktor Fürst, wo ist der Hund?“ sagte ich.
Er zeigte auf den Busch.
Ich lachte höflich und fragte ihn, ob ich mir die Rückseite der Kabine ansehen dürfe.
„Bitte“, sagte er, „tun Sie sich keinen Zwang an.“
Ich umkreiste die Kabine. Nichts. Die Kabine hatte weder einen Anbau noch einen Hinterausgang. Aber irgendwo musste der Labrador schließlich sein. Ich bat, das Zimmer absuchen zu dürfen. Er nickte. Nirgendwo ein Hund. Und so kapitulierte ich.
„Wo, zum Teufel, haben Sie den Hund versteckt?“ fragte ich.
„Sie sehen und glauben immer noch nicht? Alex! Stell den Rosenstock zurück!!“
Der dicke Gehilfe stellte den Rosenstock in die Kabine, die Tür schloss sich und als sie sich wieder öffnete, zeigte sich ein Pantherkopf. Das Tier witterte, dann lief es gemächlich zum Doktor, hockte sich auf die Hinterbeine und gähnte mit prachtvollem Gebiss.
Ich hatte mich hinter meinem Sessel in Sicherheit gebracht.
In diesem Augenblick glitt in der hinteren Zimmerwand eine Schiebetür auf. Erst dachte ich, das kann doch nicht wahr sein, eine so aufgedonnerte junge Frau – stark geschminkt, in hautengem schwarzem Leder – passte einfach nicht in das gediegene Hotel. Als sie mich mit großen blauen Augen anblickte, zuckte ich zusammen. Diese Frau sah aus wie Katrin, meine erste und große Liebe, und sie war genau in dem Alter von damals: um die zwanzig. Aber die hier war in Leder gekleidet, und ihre Körpersprache war eindeutig die einer Nutte.
Sie wandte sich an den Magier und bei ihrer Stimme verschlug es mir den Atem, ich hatte sie seit 40 Jahren nicht mehr gehört: „Hast du es ihm denn nicht gesagt?“
Von irgendwo tauchte der lange Gehilfe auf, hielt mir auf einem Tablett ein Glas unter die Nase, ich leerte es mit einem Zug und starrte wieder auf die Frau.
Wie aus der Ferne kam die Stimme des Doktors zu mir.
Es sei seine Frau. Ja, und es sei Katrin, meine Katrin aus der Zeit vor vierzig Jahren in München, das würde ich doch wohl sehen.
Nein, das sähe ich nicht, murmelte ich.
„Und hören Sie auf mit Ihren Tricks!“
Doch, sie sei es, fuhr er fort. Sie habe sich verjüngen lassen. Ob ich nicht endlich akzeptieren könnte, er sei zu dergleichen fähig? Denn alles, was ich bis jetzt gesehen hätte, sei kein Trick, keine Illusion. (Seine Stimme hatte einen ärgerlichen Unterton.) Und er sei auch kein Illusionskünstler, er sei Wissenschaftler, und Katrin habe ihn gebeten, den Kontakt mit mir herzustellen, und nun erwarte sie von mir, dass ich mich wie sie verjüngen lasse, denn sie wünsche sich (und da zog er eine Grimasse) eine Liebesnacht mit mir, die, wenn er das richtig verstanden hätte, damals nicht zustande gekommen sei. Er hätte nichts dagegen.
„Sie können jetzt eine dumme Sache aus Ihrer Vergangenheit reparieren. Was halten Sie davon?“
Erwartungsvoll sahen mich beide an.
Was ich davon hielt? Mag er ein Magier sein oder ein Wissenschaftler oder gar der Teufel in Person: Das alles war absurd! Selbst wenn es meine Katrin war und er sie auf unerklärliche Weise verjüngt hatte, so musste sie doch wie ich vier Jahrzehnte gelebt haben. Wie kann man dann noch eine erste Liebesnacht erleben?
Ja, könnte man ein völlig neuer Mensch sein. Und das Leben wäre so neu wie am ersten Tag …
Ich schüttelte den Kopf.
Zwischenbemerkung. Ich weiß, was Sie jetzt von mir denken. Man hätte mich hypnotisiert, ich hätte mir das alles nur eingebildet. Der Jasmingeruch sei wahrscheinlich der von Haschisch gewesen...
Nichts davon, meine Herren! Lesen Sie nur weiter.
Auf mein Kopfschütteln schwiegen sie. Besonders sie, die ich einmal haben wollte, wie ein Mann eine Frau haben will (aber damals war ich noch kein Mann, ich wollte durch sie einer werden), die sah mich sprachlos an.
Ich hielt noch das Glas in der Hand. Jetzt sah ich, es war ein sehr feines Glas, ein Kognakglas. Ganz vorsichtig stellte ich es auf einen kleinen runden Beistelltisch, dann bewegte ich mich lässig zum Garderobenständer, nahm Hut und Mantel und ging.
Und sie standen wie Bühnenfiguren, wenn der Vorhang fällt.
Das gefiel mir.
Ja, auch ich kann eine Schau abziehen.
Durch einen Rempler erkannte ich, ich war auf der Friedrichstraße. Ein Pulk bayrischer Touristen zog an mir vorbei. Plötzlich hatte ich Heißhunger. Ich ging ins nächste Restaurant.
Die Stille dort, die weiß gedeckten Tische mit den Kerzen, die feierlich gekleideten Damen sowie Herren, die wie im Gebet ihre Köpfe über die Tische neigten und ab und zu Seufzer oder Gemurmel von sich gaben, das wirkte auf mich wie eine Kirchenmesse.
Ja, mir war nach Beten, nach Beten mit Messer und Gabel und Kauen und Trinken. Denn in meinem Schädel jagte ein irrer Gedanke den nächsten.
Ich bestellte bei dem leise herantretenden Hochwürden eine profane Andacht aus Gänsebraten mit Klößen und Rotkohl, dazu Rheinwein. Und dann ließ ich den Gedanken freien Lauf, nach meiner Erfahrung, die beste Art, sie in Reih und Glied zu bringen.
Dieses nuttige Ding mit dem Gesicht von Katrin! Wie war der Kerl an ihr Gesicht gekommen? Überhaupt: Woher wusste er von meiner Vergangenheit? Und besonders von der – wie sagte er? – „nicht zustande gekommenen Liebesnacht“?
Von wegen Liebesnacht. Beinahe hätte ich in dieser Nacht eine Frau vergewaltigt.
Das war in München, Anfang der 60er, Katrin studierte als einzige Frau Volkswirtschaft, ich Jura. Wir kannten uns seit einem halben Jahr, und an einem Samstagabend hatten wir uns verabredet, ich sollte sie vom Hauptbahnhof abholen, und dann wollte ich sie mit auf mein Zimmer nehmen, denn diesmal würde es nicht beim Händchenhalten bleiben. Ich war 22 und hatte noch keine Frau berührt.
Meine Herren, Sie sind vielleicht jünger als ich, und darum will ich es erklären. Heute ist es kein Problem, aber damals war Sex außerhalb der Ehe kriminell, nicht einmal küssen durfte man sich in der Öffentlichkeit, und vor 22 Uhr hatte man die Wohnung seiner Freundin zu verlassen, wenn deren Eltern nicht riskieren wollten, der Kuppelei angeklagt zu werden.
Ja, und darum wartete ich ziemlich hippelig am Bahnhofseingang. Ich wartete und wartete, sie kam nicht. Ich schwitzte und ich fror, erst konnte ich es nicht glauben, dann war ich verstört und endlich bis ins Blut getroffen, und da wollte ich, nein musste ich, schon meiner Selbstachtung wegen, etwas tun. Ich sprach eine junge Frau an, bat sie um ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee. Sie lief sofort weg, aber ich wollte nicht schon wieder von einer Frau verschmäht werden, also lief ich neben ihr her, flüsternd, flehend um ein Date. Der Mond.. Dieser Mond! Seitdem hasse ich ihn. Er war ein riesiges gelbes Auge, es folgte uns über den Dächern, uns fortwährend beobachtend. Plötzlich machte die Frau kehrt und rannte zum Bahnhof zurück, wo sie, wie ich aus der Ferne sehen konnte, zwei Männer um Hilfe bat. Da hatte ich schon aufgegeben und saß mit zitternden Knien in der Straßenbahn, ich wollte nach Haus.
Drei Tage später war ich in West-Berlin und bewarb mich um einen Ausbildungsplatz bei der Polizei.