Die Leute brüllten vor Lachen.
Sie wurden vom Magier als seine Gehilfen vorgestellt. Wieder die Fernbedienung gezückt, die Kabine klappte nach zwei Seiten auf. Ein langes Ah und Oh: nichts war zu sehen, die Bären waren verschwunden.
Und dann ging es Schlag auf Schlag. Die Diener steckten ihre Arme oder Beine in einen Schlitz der Kabine. Beim Herausziehen waren es Adlerschwingen oder Haifischflossen. Einmal wedelte der Lange statt mit Armen mit Fliederzweigen, an denen violette Blütendolden hingen, und der Dicke stakste zur Gaudi der Zuschauer auf Storchenbeinen über die Bühne.
Der Höhepunkt war, als der Magier „Ciba!“ rief. Kläffend schoss aus den Kulissen ein Labrador und flitzte geradewegs in die Kabine, Kabine zu und als sie wieder aufging, sprang ein Panther heraus, an der Rampe fauchte er ins Publikum. Die Leute schrien. Ein kurzes Kommando des Magiers, der Panther verschwand in der Kabine und die Bühnenbeleuchtung erlosch.
Nach der Pause rief der Magier Freiwillige auf die Bühne. Es kamen mehr als genug, einen nach dem anderen schickte er in die Kabine und das Publikum sollte rufen, zu welchem Tier er sie verwandeln sollte.. Und so kamen sie heraus: von der Gans bis zum Känguru. Zurück in die Kabine und wieder heraus als Mensch. Der Magier fragte sie, ob sie sich an etwas erinnern könnten. Wieso, sagten sie, sie seien ja nur ins Dunkel getreten und gleich wieder herausgekommen. Als sie sich aber auf der Videoleinwand als Tier sahen, wollten sie es nicht glauben.
Minutenlanger Beifall am Schluss. Keine Zugabe. Lächelnd verbeugte sich der junge Mann und trat ab, während die Diener Kratzfüße und der Hund Männchen machten. Das wirkte nach der grandiosen Vorstellung derart putzig, dass alles im Gelächter endete.
Ehrlich, ich war ziemlich verwirrt. Einerseits „zauberte“ der Mann mit einer Maschinentechnik, was keine große Kunst ist, gerechterweise gebührt dem Erfinder der Technik der Applaus, nicht dem Zauberer.
Andererseits kam es zu der Verwandlung von Beinen und Armen und dann sogar von ganzen Menschen, das war technisch nicht zu erklären.
Na schön. Es gibt ja so was wie Suggestion, wir waren wahrscheinlich einer Illusion aufgesessen.
Als ich mir abends das Buch vornahm und im Anhang des Romans die Biographie des Autors las, wurde die Sache nicht besser, im Gegenteil: der Russe hatte den Roman in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts geschrieben, als Stalin in seinem Land herrschte. Ich wollte den Roman noch lesen, aber ich war zu müde und schlief ein.
Am nächsten Morgen holte ich mir vom Bäcker ein paar Schrippen und eine Zeitung vom Kiosk. Der Aufmacher: BZ-Journalist brutal ermordet.
Ich las den Artikel während des Frühstücks. Die Polizei tappe noch im Dunkeln, hieß es. Die aufgerissene Kehle stamme nicht von einem Messer, eher von einem Raubtierbiss. Der Zeitungsschreiber faselte von einem Luchs. Diese Wildkatze sei im Land Brandenburg schon gesehen worden, möglicherweise hätte sich eine in die Stadt verirrt wie schon Füchse und Wildschweine.
Blödsinn, dachte ich. Die Wunde war zu groß und das Tier zu klein.
Ich rief Lohmeyer an, ob man schon Näheres wüsste. Er antwortete unwirsch. Es handelte sich tatsächlich um einen Raubtierbiss. Das Tier müsse sich in Privatbesitz befunden haben, denn weder im Zoo noch im Tierpark Friedrichsfelde werde ein Raubtier vermisst. Die Polizei sei alarmiert und suche nach dem Tier.
Worauf die Berliner den Tiergarten sofort in ‚Raubtiergarten‘ umtauften.
Gut, dachte ich. Da haben wir die Tötungsart und den Täter, ein Raubtier.
Von den Anrufen und dem Taschenbuch hatte ich Lohmeyer nichts gesagt. Wie schnell wird aus einem Zeugen ein Verdächtiger. Möglicherweise versuchte mich jemand mit dem Mord in Verbindung zu bringen. Warum sonst hatte man mich zur Leiche gelockt? Vielleicht wollte sich jemand an mir rächen, den ich in den Knast gebracht hatte? Da half nur eins: Ich musste den Fall noch vor meinen Kollegen lösen.
Ich prüfte im Buch die handschriftlichen Unterstreichungen und Ausrufungszeichen. Und dann war ich mitten drin und las den Roman in einem durch.
Der Inhalt: Ein Magier bringt mit seinen zwei Gehilfen durch seine Zaubereien ganz Moskau durcheinander. Das macht er grausam, zynisch, und doch besitzt der Mann so etwas wie Moral, zeigt sogar Menschenliebe. In Wirklichkeit scheint es sich um den Teufel zu halten, was die ganze Geschichte noch verwirrender macht.
Und jetzt sah ich den Dr. Fürst mit den Augen des Journalisten. Da gab es deutliche Ähnlichkeiten mit der Romanfigur. Kannte der Dr. Fürst das Buch und nahm es als Vorlage für seine Vorstellungen? Aber warum? Das hatte er doch gar nicht nötig.
Da war noch der Termin des Journalisten bei einem Doktor. Hatte er sich mit Dr. Fürst verabredet? Dazu müsste ich den Magier befragen.
Warum nicht. Ich hatte ja nichts zu tun.
Zuvor googelte ich den Mann. Über 12000 Eintragungen.
32 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in England, die Mutter starb bei der Geburt, Sohn von Prof. Dr. Dr. Johannes Fürst, Genetik-Wissenschaftler, Gründer eines Institutes für Genetik und Molekularbiologie mit angeschlossenem Unternehmen für Anti-Aging-Stoffe. Englisches Internat, Studium in Cambridge, Doktor der Philosophie. Nach dem tödlichen Badeunfall des Vaters in der Karibik (Leiche nie gefunden) erbte er Institut und Unternehmen, letzteres verkaufte er an einen internationalen Konzern, das Institut behielt er. Seit drei Jahren zieht er als Illusionskünstler mit einer eigenen Show von Bühne zu Bühne.
Ein interessanter Mann.
Um 11 betrat ich das Hotel. Zu Kaiser-Wilhelm-Zeiten war es die Absteige für Adlige, Reiche und Politiker. Im zweiten Weltkrieg zerstört, wurde es wie der Admiralspalast nach alten Plänen neu aufgebaut. Es hat nicht nur das frühere Aussehen, sondern auch wieder die alte Klientel: die Reichen und Mächtigen, eben Leute, für die man einen roten Teppich ausrollt. Der hier begann schon vor dem Eingang. Diese Leute, dachte ich, brauchen offenbar einen besonders langen Fußabtreter.
Als ich mich an der Rezeption nach Dr. Fürst erkundigte, verlangte man erst mal meinen Namen. Ich wollte mich als Kommissar ausweisen, rechtzeitig fiel mir ein, das war ich mal. Ich nannte meinen Namen und sofort dachte ich: wieso sollte mich der weltberühmte Magier zu sich lassen? Ich war ja ein Nichts gegen ihn. Doch dann kam aus den gedämpften Lobbygeräuschen eine Stimme: „Sie werden erwartet.“
Erwartet? Konnte der Mann auch in die Zukunft sehen?
Der Magier hatte eine ganze Suite gemietet. Auf mein Klopfen öffnete sein langer Gehilfe die Tür. In seinem knochigen Gesicht waren eisgraue, wimpernlose Augen. Er hörte sich ungerührt an, was ich sagte, und führte mich stumm in einen Raum mit bis auf den Teppichboden reichenden Fenstern, lautlos verschwand er. Im Zimmer roch es nach Jasmin. Der Magier stand mit dem Rücken zu mir vor einem Fenster und sah auf den Pariser Platz.
Ich räusperte mich, er drehte sich langsam um, wobei die Gardine, wie mir schien, vor ihm einen leichten Knicks machte.
Gekleidet war er in eine schwarze Bluse mit gewelltem Brustbesatz und eine seidig glänzende Pluderhose, dazu schwarze Stoffschuhe. Auch seine Augen waren schwarz, ebenso die Brauen, und da die Gesichtshaut sehr weiß war, tippte ich auf Schminke. Er lächelte. Ein warmes Lächeln, ich konnte nicht anders, ich lächelte zurück.
„Geben Sie mir Ihren Mantel.“
Er hängte ihn an einen Garderobenständer, der um das Zehnfache kostbarer war als mein Mantel, dann bot er mir einen Sessel an, ich versank darin.
Tatsächlich wirkte es so, als hätte er mich erwartet. Ich machte ein Gesicht, wie ich es bei gut betuchten Leuten beobachtet hatte, höflich, aber doch ziemlich gelangweilt. In der Zimmermitte stand die Zauberkabine. Offenbar hielt er sie stets in seiner Nähe, damit keiner hinter seine Tricks kam. Nun hatte ich sie dicht vor Augen, ich betrachtete sie, aber ich fand