Der siebte Skarabäus. Ursula Arn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Arn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752922622
Скачать книгу
sich für euch und arbeitet hart. Bedankt Euch!“

      Irritiert befolgten wir den Befehl. Hugo nickte inbrünstig. Seiner Mutter wurde Respekt gezollt.

      Der Vater meckerte den gesamten Abend oder lachte ein wenig zu laut über unsere Entscheidungen, und die Mutter stand sprungbereit im Türrahmen, falls wir etwas benötigen sollten.

      Die Luft war zum Schneiden dick und draußen regnete es waagrecht. Unter dem Lichtschein der Laternen tanzten wirbelnde Blätter und der Wind peitschte eisig gegen die Scheiben. Mutter bereitete das Sorgen, denn sie hatte sie eben erst gereinigt.

      Es war kein geeignetes Wetter, um sich sonnige Skiferien vorzustellen, aber passend zu diesem seltsamen Haus.

      Letztendlich erfüllten Hugo und ich die Erwartungen unserer Kollegen und wurden ein Paar. Ich hatte mich in ihn verliebte. Und er? Er verliebte sich in das Geld, das er in meiner Familie vermutete. Ein Narzisst ist nicht zu Gefühlen fähig. Um an sein Ziel zu gelangen, kann er charmant, freundlich und emotional wirken. Er ist hochgradig funktionsfähig, manipulativ und ohne jegliches Schuldgefühl. Verfügt er dazu noch über kriminelle Energie, wird der Narzisst hochexplosiv.

      Hugo verlangte von mir, mich um eine Kleidergröße herunter zu hungern. Ich gab ihm Recht. Meine Figur war nicht vorzeigbar, nicht vergleichbar mit der eines jungen Rehs.

      Beide standen wir vor dem 20. Geburtstag, trotzdem wurde uns nur einmal die Woche ein kurzes Treffen nach der Schule erlaubt. Nach vielen Drohungen meinerseits gestatteten ihm seine Eltern jeden zweiten Samstag Freigang. Als wir das erste Mal miteinander ausgingen, begleiteten sie uns sicherheitshalber noch.

      Ab und zu besuchte ich ihn am Sonntag, aber nie, wenn seine Eltern abwesend waren. Dann hatte ich Hausverbot. Ich weiß nicht, ob sie sich mehr um Hugos Tugend sorgten oder befürchteten, ich könnte ihnen ihr Brotmesser klauen.

      Sämtliche Besuche verliefen identisch. Vater referierte über die wunderbare, sich aufopfernde Mutter, wobei alle bestätigend nickten. Anschließend betitelte er mich als Prinzessin, die vom Leben keine Ahnung hat. Erneut nickte Hugo inbrünstig, was ihn aber nicht davon abhielt, mit meiner Herkunft zu prahlen. Ich staunte nicht schlecht, als ich von Kollegen erfuhr, wie reich meine Familie angeblich ist.

      Um auch einmal zu fühlen, was es heißt, bei einer „gewöhnlichen“ Familie am Tisch zu sitzen, musste ich das sonntägliche Würstchen mit seinem kleinen Bruder teilen. Mir war das egal, aber dem Bruder vielleicht nicht.

      Erwischte mich Hugos Mutter alleine, offenbarte sie mir: „Der letzte Sonntag war so friedlich. Niemand störte uns.“

      Zu erwähnen, wer als Störfaktor galt, brauchte sie nicht. Kinn vorgerückt und Wangen eingezogen durchbohrte sie mich mit Blicken. Auf mich wirkte sie wie eine harte, unversöhnliche Frau, die ihr Haus in tadellosem Zustand hielt und nie Freude über irgendetwas empfand, aber keinesfalls als aufopfernde Mutter.

      Manchmal präsentierte sie mir ihr Silberbesteck oder sie legte mir ihr fein säuberlich geführtes Haushaltungsbuch vor. Schlich sich ausnahmsweise eine Differenz ein, korrigierte sie diese mit: „Taschengeld Ulrich“, denn verantwortlich waren nur die Anderen.

      Wie ein Ehrenabzeichen trug sie ihre eingebildete Lebensmüh auf der Brust. Beständig darauf bedacht auf den Schultern ihrer Familie getragen zu werden, benutzte sie für den Kampf um Beachtung ihre eigenen Söhne.

      Das kleinste Vergehen ihrer Kinder sah sie als persönliche Quälerei an und wurde abends als Beweis für ihre Strapazen dem Vater berichtet, der dann abstrafte.

      Wem kann ein Kind noch vertrauen, wenn es von der eigenen Mutter verraten wird?

      Im Frühherbst wurde ich volljährig, und damit stand mir ein Tag bevor, den wir lange im Vorfeld geplant hatten. Meine Mutter nähte mir für diesen Ehrentag ein Kleid aus blauer Seide. Viel Stoff benötigte sie nicht, da es für das damalige Modediktat nicht kurz genug sein konnte.

      Unsere Geburtstage feierten wir immer im Kreis einer großen Anzahl von Freunden. Selbstverständlich sollte Hugo dabei sein. Da ihm allerdings der Gedanke, dass noch andere Gäste anwesend sein würden, nicht passte, lästerte er solange über meine Freunde, bis ich eingeschüchtert darauf verzichtete, sie einzuladen.

      Der Morgen des großen Tages begann vielversprechend. Ein wundervoller Spätsommertag, warm und doch erfrischend, kündigte sich an. Ich liebte Geburtstage. Mit gutem Gewissen auf der faulen Haut zu liegen, und dabei Gratulationen und Geschenke entgegenzunehmen, versetzte mich in Höchstform.

      Früh verzog sich meine Mutter in die Küche, um mein Lieblingsessen zu kochen, wobei sie sich ein wenig verhalten über die geringe Anzahl der Anwesenden äußerte.

      Endlich volljährig! Die Freude war groß, obwohl ich nicht so genau wusste, welche Besserung ich mir davon versprach. In unserem Zuhause waren wir nie eingeschränkt, uns wurden selten Vorschriften gemacht. Vater liebte zwar den Satz: „Solange ich bezahle, habe ich das Sagen“, aber trotzdem bezahlte er problemlos, murrte selten.

      Im neuen Kleidchen saß ich strahlend da, ließ mir gratulieren und öffnete meine Geschenke. Aus der Küche roch es vielversprechend, als mir Hugo um elf Uhr am Telefon mitteilte: „Ich komme nicht. Mutter erlaubt es nicht.“

      Der Tag, an dem ich volljährig wurde, war der einzige Geburtstag, den ich ohne Gäste feierte und an dem ich weinte.

      Leider wurde ich nur voll an Jahren und nicht an Verstand. Die negative Herrscherin hatte gesiegt.

      Dubrovnik, 4. Oktober

      Heute habe ich mir einen Ruhetag verschrieben und demütig warte ich, bis der Tag vorüber zieht. In gleicher Weise wie ich es auch die nächsten Jahre halten werde, da mein Leben ohne Aram so flach und überblickbar geworden ist, dass ich bis zu meinem Grabstein sehen kann.

      Die Hotelanlage mag sich nicht verändert haben, ich hingegen bin nicht mehr dieselbe. Meine alte Identität habe ich wie eine Schlangenhaut abgestreift. Heute leiste ich mir schon mal einen Kaffee, falls ich Lust dazu verspüre, was jetzt der Fall ist.

      Armer reicher Hugo. In der Hoffnung, die Wände seines Gefängnisses würden durch ein gefülltes Bankkonto zurückweichen, spaltet er jeden Franken.

      Wie trostlos muss es für einen Narzissten sein, wenn das Umfeld ihn durchschaut hat und der Sockel zusammenbricht, auf den er sich mühsam gewuchtet hat.

      Dass dies eines Tages geschehen wird, gehört leider nicht zu seiner Gedankenwelt. Bis jetzt fühlt er sich immer noch als Gottes Geschenk an die Frauen. Doch irgendwann wird auch sein Alter zum Problem. Dann wird’s teuer.

      „Du stehst am äußersten Rand der Klippe und von dort gibt es bald nur noch eine Richtung“, warnte ich ihn. „Du wirst doch nicht annehmen, dass dir noch irgendjemand deine Lügen abnimmt, dass du immer mit allem durchkommst.“

      Aber er arbeitet weiterhin an seinem Lügennetz. Es ist schwer, mit einem Narzissten zu argumentieren.

       Narcissus, der göttergleiche Sohn eines Flussgottes und der Nymphe Liriope, wurde von allen geliebt. Doch ihn rührte keine Schönheit, sein Ohr blieb taub für die Seufzer der Mädchen. Seine Aufmerksamkeit galt allein seiner Person. Er wollte nur lauschen, wie vollendet, wie unerreichbar er war. Die Liebe der Nymphe Echo erhörte er nicht. Narcissus, der ihr niemals Komplimente überbrachte, die sie wiederholen konnte, verlor bald sein Interesse an ihr.

       Vor Kummer über ihre unerwiderte Liebe starb die Nymphe Echo. Aus Mitleid verwandelten die Götter sie in einen Felsen und bestraften den Kaltsinn des Narcissus.

       Eines Tages beugte er sich vom Jagen erhitzt an einer kristallklaren Quelle vor. Im See sah er ein Bild von unendlicher Schönheit und sein Herz wurde entzündet. Er wollte die Gestalt küssen, sie umfassen, doch sie verschwand. Dann sah er sie wieder und sie erwiderte seine zärtlichen Blicke, sein Lächeln. Sie winkte wie er, breitete die Arme aus wie er. Von namenloser Sehnsucht ergriffen, die nie gestillt werden konnte, verschmachtete