An diesem wichtigen Tag hörten wir viele Reden, viel Militärmusik und anschließend folgte der Märchenball mit Ballkleid in Größe 36. Ohne Eltern!
Gab es für eine junge Frau, die in romantischen Träumen lebte, für eine Verlobung ein passenderes Ambiente als ein mittelalterliches Schloss?
Das weiße Pelz Cape, auf das ich so stolz war, fest um mich geschlungen und immer darauf bedacht, mein neues Kleid nicht zu ruinieren, wartete ich auf unsere Stunde. Ich war überglücklich und kam mir unglaublich wichtig vor. Bald würde ich mich einem Mann aus der Elite versprechen. Es war berauschend. All die feschen Offiziere um mich herum und meiner war ohne Zweifel der prächtigste.
Endlich erreichten wir ihn, unseren geheimen Höhepunkt.
Im Schlosspark unter dem Sternenhimmel mit Blick über die beleuchtete Stadt stand ich erwartungsvoll und mit überfließenden Gefühlen vor dem Mann in Galauniform, die er, um sie zu schonen, nur einmal im Leben trug.
Doch keine zärtliche Umarmung erwartete mich. Er zappelte umher, rieb pillendrehend Daumen und Zeigefinger aneinander und verkündete: „Zuerst will ich beichten, dafür ist jetzt der letzte Zeitpunkt.“
Ich spürte, wie es in meiner Brust eng wurde, aber es gelang mir, zu lächeln. Nach einer bedeutungsvollen Pause fuhr mein beinahe Verlobter fort: „Vor einigen Wochen traf ich zufällig eine ehemalige Schulkollegin, Barbara. Sie nebelte mich ein und zerrte mich in ein Hotel. Sie hatte so mächtige Brüste.“
Erleichtert atmete er aus und fügte hinzu, wobei er immer noch mit den Händen die Größe ihrer Brüste maß: „Jetzt fühle ich mich besser.“
Der Schmerz erfasste mich mit voller Wucht und die Romantik zersplitterte hörbar. Eine große Kraft drückte mich zu Boden, aber ich lächelte weiter. Der Ball hatte seinen Zauber verloren, nur Hugo strahlte noch.
Er log nicht, um eine Fehltat abzustreiten, sondern um eine aufzubauen. Die Blume mit dem Namen Narzisse war erblüht.
Wir heirateten und anfangs waren wir glücklich, lebten zufrieden unseren Alltag und blickten hoffnungsvoll in die Zukunft.
Hugo arbeite außerhalb, ich war für das Management innerhalb des Hauses zuständig. Dazu bekam ich Beratung. Wann und wo hätte ich bei meiner Herkunft auch putzen und kochen lernen sollen?
Hugo demonstrierte mir männliche Logik, an der es mir leider mangelte, und meine Schwiegermutter ließ sich lang und breit über die Wichtigkeit von Sauberkeit, Ordnung und das Führen eines Haushaltsbuches aus.
Damit ich auch verstand, wie ein Haushaltungsbuch in etwa aussehen sollte, kaufte sie mir ein Exemplar. Allerdings verlangte sie dessen Kosten zurück.
Nach drei Jahren kam unser Sohn Alexander zu uns. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht geplant gewesen, aber wir freuten uns umso mehr über ihn.
Eine Transformation fand statt und die Welt bestand nur noch aus drei Kilo 750 Gramm. Ich konnte mich mit einer Mischung aus Glückseligkeit und Furcht um ihn, die mich bis an mein Lebensende begleiten wird, nicht sattsehen an ihm. Immerzu wollte ich ihn aus der Wiege nehmen, ihn streicheln und beschnuppern. Nur nachts, da wollte ich nicht, da musste ich ihn aus der Wiege nehmen. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Unglaublich, wie ein so kleines Wesen einem Erwachsenen jede Kraft rauben kann.
Der letzte Rest meiner Fähigkeit, selbständig zu denken, wurde von Müttern mit Erfahrung niedergewalzt. Alles, was meinen Alltag hätte vereinfachen können, galt als tabu. Geregelte Zeiten für alles und jedes und nur zum Wohle des Kindes zählten noch. Dazu sind Mütter ja da: ausschließlich für die Zufriedenheit ihrer Kinder.
Ich machte alles falsch und war umgeben von erfolgreichen, gepflegten Müttern, deren Leben exakt so wundervoll war, wie sie es anstrebten, und die vor Glück strahlten, wenn ihr Baby nachts schrie.
Hugo entpuppte sich als liebevoller Vater und übernahm viele Pflichten. Nur auf einen ungestörten Schlaf bestand er, da er tagsüber alle Ressourcen für seine wichtige berufliche Position benötigte. Das verstand ich.
Wie es die Tradition verlangte, bauten wir uns ein Nest und schlugen den üblichen Weg ein. Haus mit Garten, Samstagsausflug zum Gartenmarkt, Grillieren auf der Terrasse, einen Hund und Erfolg im Beruf. Das Letztere ließ er so verlauten, und bezweifelte auch niemand, denn er strickte fleißig am Mythos seiner heroischen Person.
Aber ein strahlendes Bild zu erhalten benötigt viel Kraft. Je höher der Sockel wurde, auf den er sich stemmte, desto anstrengender wurde es für ihn, sich oben zu halten.
Unser zweiter Sohn Philipp war sechs Tage alt, als Hugo wiederum Barbara traf, und mit ihr im Hotel verschwand.
Wer weiß, was wirklich geschah. Ob ja oder nein ist nicht von Belang. Nur die Tatsache zählt, dass ich ihm glaubte.
Niemand ist so verletzlich wie die Mutter eines neugeborenen Kindes. Ihr Körper ist durch das Trauma der Niederkunft geschwächt, wild gewordene Hormone flitzen durcheinander und das Stillen rund um die Uhr erschöpft sie.
Abends kam Hugo von der Arbeit nach Hause und leerte einen Kübel Verachtung über mich. Mein Aussehen wurde bemängelt, darauf aufmerksam gemacht wie hässlich, wie wertlos ich war, dumm und dick, und wie schlecht mir meine Haushaltsführung sowie meine Kindererziehung gelang.
Anfangs wehrte ich mich, was unverzeihlich war, denn ein Narzisst braucht eine Partnerin, die ihn als göttliche Fügung ansieht. Er reagierte mit Drohungen und alles, was ich zu meiner Verteidigung vorbrachte, wurde überheblich abgeschmettert.
Ich war ihm klar unterlegen. Selbst als ich schon am Boden lag, trat er mich weiter mit Füssen. „Du kannst nichts“ und „Du bist nichts“ kannte ich schon seit meiner Kindheit. Er modifizierte lediglich die Formel. Im einen Augenblick konnte ich nichts richtig machen, im anderen überschüttete er mich mit Fürsorge und Zärtlichkeiten. Zuckerbrot und Peitsche.
Dann nur noch Peitsche.
Ich weiß nicht, warum ich mich nicht wehren konnte. Worte besitzen Macht, ich glaubte ihm. Die Botschaft war verinnerlicht: Ich war wertlos, dumm und dick.
Ängstlich lotete ich seine Stimmung aus und versuchte, ihm immer einen Schritt voraus zu sein, um Unheil abzuwenden, versuchte alle glücklich zu sehen außer mich, redete mir ein, dass wir alle glücklich würden, wenn nur er glücklich war. Wer war ich denn, dass ich mich meinem Ehemann entgegenstellen durfte? Er, beruflich erfolgreich, und ich, zu nichts imstande. Dumm und dick eben.
„Kannst du nicht wenigstens versuchen, ein wenig sauber zu machen, bevor ich nach Hause komme? Du erwartest doch nicht, dass ich das auch noch erledige! Meine schwerwiegende Arbeit erfordert bereits all meine Aufmerksamkeit und Kraft.“ Dabei hatte er einen verächtlichen Ausdruck im Gesicht, als wollte er mich noch ein letztes Mal verwarnen.
Unentwegt lag ich im Schatten seiner mentalen Angriffe. Nie wusste ich, wann der Nächste kam. Er brauchte keinen
Grund dazu. Schon ein unbewusster Blick, eine Geste, eine leise Freude meinerseits reichte dazu aus.
„Aha. Wie ich sehe, warst du schon wieder beim Friseur. Im Gegensatz zu dir habe ich dazu keine Zeit. Ich arbeite hart für euch, damit ihr ein schönes Leben habt. Das ist mein Ziel. Nicht meins ist wichtig, nur eures.“
Seine Verachtung war unübersehbar. Alles drehte sich nur noch darum, ihm zu gefallen. Er weidete sich an meiner Angst und ernährte sich davon. Je mehr ich davon zeigte, umso mehr begehrte er sie, und umso größer wähnte er sich. Sie half ihm, seine negativen Gefühle zu überwältigen. Einige tranken in seiner Situation, andere schlugen ihre Frauen, traten die Katze oder bewältigten den inneren Schmerz, indem sie die nächst Schwächeren psychisch misshandelten.
Ein schleichendes Gift breitete sich aus, nur konnte dieses Gas niemand riechen. Es war leicht, so zu tun, als existierte es nicht.
Er war doch ein guter Vater. Wie könnte ich die Kinder von dem wegreißen, was ihnen Stabilität gab. Wir verbrachten doch auch schöne Zeiten zusammen, diese würden bestimmt den Weg zurückfinden, das eine oder andere