Der siebte Skarabäus. Ursula Arn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Arn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752922622
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samtig, Citrus- und Feigenbäume tragen reiche Ernte. Im Garten, der sich über weitläufige Terrassen bis zum Meeresspiegel erstreckt, warten unter Pinienbäumen alte Steintische mit Bänken auf mich, Springbrunnen plätschern, und über eine steinerne Balustrade blicke ich aufs Meer. Für diesen Garten fällt mir nur ein Synonym ein: unglaublich schön.

      Vor zwei Stunden bin ich mit arrogantem Schritt durch die Hotellobby stolziert und habe dabei kopfnickend irgendwelche Unbekannten gegrüßt, die unsicher zurück lächelten. Mein Plan ist aufgegangen. Kein Angestellter hat mich aufgehalten.

      Hätte ich damals auf Fräulein gehört und gelernt, anstatt meine Zeit mit Träumen zu verbringen, könnte ich mir dieses Feriendomizil auch leisten. Vielleicht.

      Manchmal überlege ich, für welchen Studiengang ich mich entschieden hätte. Je nach Lebenssituation verändern sich meine Interessen. Nur etwas bleibt konstant. Sprachen wären es mit Sicherheit nicht geworden. Wenn ich einmal mein Buch des Lebens Petrus übergebe und er mit gerunzelter Stirn ausruft: „Oje. Ach. Was hast du dir bloß dabei gedacht! Jetzt bleibt mir keine andere Wahl mehr, als dich mit einer besonders heißen Hölle zu bestrafen. 500 Jahre Sprachlabor!“, dann, ja dann, hat er mich unerträglich gebüßt.

      Doch im Moment besitze ich kein Recht, hier zu sein. Trotzdem habe ich mich in die Zeit versetzt, als meine Großmutter in ihrer Kindheit in diesem Hotel ein paar Tage verbracht hat.

      Mit ihren Augen habe ich den Park betrachtet, sie beobachtet, wie sie sittsam hinter ihrer Mutter her trippelt, die stets darauf bedacht ist, den Schatten nicht zu verlassen. Kein Flecken nackte Haut ist von ihrer Mama zu sehen. Sex ist tabu, jegliche Freude verboten, Kinder gelten nicht mehr als ein Statussymbol. Sie nicht hören, nicht sehen, nicht verhätscheln, ist die Erziehungsvorgabe, aber meine Großmutter hat trotzdem gemault. „Die gute alte Zeit“ war nie in ihre Erzählungen eingewoben. Von ihr hörten wir: „Als es noch keine Antibiotika gab und man an Zahnschmerzen starb. Als eine Krankheit nicht nur die Alten und Schwachen dahinraffte, sondern halb Europa. Als man von der Schulbank direkt auf die eheliche Matratze geworfen wurde. Was soll denn damals gut gewesen sein?“

      Jede Bank habe ich getestet, auf jedem lauschigen Platz von der Vergangenheit geträumt. Und ich habe Liebespaare gesehen. In der Hauptsache Liebespaare. Hand in Hand oder eng umschlungen schlendern sie umher, küssen einander und vergessen die Welt.

      Ich denke an den Mann, der mein Leben so süß gemacht hat. Süß trotz seiner Härte. Neben ihm fühlte ich mich stark, fühlte mich verrückt, das Leben knisterte vor Spannung. „Und was machen wir in Kroatien?“, fragte ich ihn.

      „Uns lieben, bis wir die Augen für immer schließen. Auf einem Schaukelstuhl sitzen und uns erzählen, was für eine wundervolle Zeit wir zusammen hatten. Manchmal etwas turbulent. Ja. Aber schön war`s.“

      Verzweiflung senkt sich über mich.

      Jetzt habe ich mich bis zur Terrasse auf Meereshöhe vorgewagt. Augenblicklich erscheint ein beflissener Angestellter aus dem Nichts und bietet mir einen Liegestuhl mit Badetuch an. Warum nicht?

      „Auf welche Zimmernummer darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“

      „Im Moment bezahle ich.“ Er bekommt ein großzügiges Trinkgeld. Während eine Meeresbrise durch mein Haar fährt, lasse ich mich müde in die Vergangenheit treiben.

      Die Herrscherin, Karte III der Heldenreise

       Als die Karten aufgezeichnet wurden, sahen wir auf ein anderes Weltbild.

       Damals herrschte sie, die Mutter Erde.

       Die Herrscherin verkörpert das Natürliche, der Herrscher das von Menschenhand Geschaffene.

       Sie stellt die blühende Naturwiese dar; Er den Englischen Garten.

       Sie ist der runde Zyklus, die Fruchtbarkeit; Er das Lineare, das Handeln.

       Sie gibt Wärme durch Liebe; Er Schutz durch Stärke.

       Sind beide Kräfte harmonisch miteinander verbunden, lebt der Mensch geschützt, geborgen und versorgt.

       Die negative Herrscherin vermittelt falsche Schuldgefühle. Alle Lebensfreude wird im Keim erstickt, nur Verbitterung wird gefördert. Durch mütterliche Tyrannei sorgt sie für einen brodelnden Stau aus kranken Energien, der eines Tages wie ein Vulkan ausbricht.

       ***

       Hugo

      Das Buch des Lebens wird von deinen Eltern geschrieben.

      Alles, woran wir glauben oder wie wir denken, wird durch sie geprägt. Wie wir unseren Hackbraten lieben oder uns bei schlechtem Wetter verhalten, haben wir von ihnen übernommen. Sie lehren uns zu lieben, zu lachen, und zu laufen.

      Ihre Autorität kann übermächtig sein. Wem es in der Pubertät nicht gelingt, sich daraus zu befreien, verliert den Halt, sobald er als Erwachsener versucht, die Abspaltung aufzuarbeiten.

      Hugo wurde von seiner Mutter zu einem Narzissten kultiviert. Manchmal, wenn alles zusammenbricht, wenn sein von ihm erschaffenes Selbstbild durchschaut wird, versucht er, aus dem Käfig zu entfliehen. Doch bisher gelang ihm immer nur, den Käfig zu wechseln.

      Das Dilemma eines Narzissten ist die Angst vor Nähe und die Sehnsucht danach. Er sucht die Sicherheit und Geborgenheit eines warmen Nestes, um es danach zu zerstören. Das Leid zu sehen, dass er anderen zufügt, liebt er. Zu verletzen erregt ihn. Die Gefühle seiner Mitmenschen erkennt er nicht. Er vernichtet alles und am Ende sich selbst.

      Der Narzisst hat hundert Masken, nur kein Gesicht. Er ist ein Unmensch und trägt doch keine Verantwortung dafür.

      Wer einmal eine Partnerschaft mit einem Narzissten gelebt hat, weiß, dass es auch andere Formen der Gewalt gibt als körperliche. Da der Narzisst sich niemals zu erkennen gibt und hervorragend täuschen kann, wird dir die alleinige Schuld an der schwierigen Beziehung zugewiesen, und mit der Zeit zweifelst selbst du nicht mehr daran.

      Ich war 19 Jahre alt, als ich Hugo begegnete. Freunde benötigten eine weitere Mitreisende für ihre Skiferien, denn die Konstellation aus zwei Paaren und einer Einzelperson musste geändert werden. Ich wurde verkuppelt, allerdings willig. Ständig auf der Suche nach meinem schwarzhaarigen Helden sehnte ich mich nach einer Partnerschaft, nach realer Wärme und Liebe.

      Zum ersten Mal trafen wir uns bei Hugo zu Hause. Er war groß gewachsen, schlank, gutaussehend und sportlich, ohne dazu etwas beizutragen, und seiner Meinung nach war er erfolgreich. Was ich sah, gefiel mir gut, gefiel mir außerordentlich gut. Und er war blond!

      Schon nach fünf Minuten Präsenz ahnte ich, dass diese Familie ein eigenes Verhalten an den Tag legte.

      Das Treffen bestand aus uns ferienfreudigen Kollegen. Hugos Vater thronte am Kopfende des Tisches und übernahm ungebeten den Vorsitz. Von Beruf Militär Instruktor, hatte er sich einen Kasernenton angeeignet, den er auch zu Hause anwendete. Da er in der Befehlsgeberkette stecken geblieben war, jagte er dafür privat jeden im Kreis herum, der greifbar war. „Aber tiptop!“, war sein bevorzugter Befehl. Doch im Herzen war er ein lieber Kerl.

      Auch seine Geschichte schrieben einst die Eltern. Ab und zu las er daraus vor, und seine Stimme klang dabei so traurig, dass auch wir es wurden.

      Vaters Stiefmutter machte dem Klischee alle Ehre. Er hungerte, aber nicht aus Armut, sondern weil die Stiefmutter den Küchenschrank für ihre angeheirateten Kinder verschlossen hielt.

      Hugos Großvater wiederum wurde als Verdingbub verkauft und empfand jede andere Kindheit geradezu als paradiesisch. Damit lag er sicher nicht falsch.

      Hugos Vater brüllte zwar, aber er liebte uns.

      Unseren Marschbefehl begann er mit den Worten: „Ich war gegen dieses Treffen. Aber Hugos Mutter hat mich mit ihrer grenzenlosen Liebe dazu überredet, es