Siebenreich - Die letzten Scherben. Michael Kothe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kothe
Издательство: Bookwire
Серия: Siebenreich
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752909401
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er der Länge nach im Gebüsch. Mike steckte die Waffen zurück und hob die Stricke auf. Er war stärker als der Spitzbube und zog ihn aus dem Gestrüpp zum Lagerplatz. Dort drückte er ihn zu Boden und band ihm die die Hände auf den Rücken, dann die Beine an den Knien und an den Knöcheln aneinander. Die jammernden Verletzten ließ er ungefesselt liegen, wo sie waren. Nachdem er ihnen die Messer abgenommen hatte, waren sie nicht mehr gefährlich.

      Mikes Verhör des vorgeblichen Seilers war intensiv. Er befragte ihn nicht nur nach seiner Herkunft und der seiner Kumpane. Es bestätigte sich, was Julia vermutet hatte: Die drei waren Sohn, Vater und Onkel, aber nicht von hier. Er wollte mehr wissen über die Gegend, über Ortschaften und ihre Bewohner. Waren Orks gesichtet worden, gab es außer dem Jungen und seinen Verwandten weitere Wegelagerer? In welchen Dörfern hielten sich Räuberbanden auf, welche waren frei davon? Welche Händler und Wirte in Königstein und auf dem Weg dorthin waren ehrlich, welche Schlitzohren? Sobald der Mann schwieg oder offensichtlich die Unwahrheit sagte, griff er ihm an die Gurgel und schüttelte ihn. Drei- oder viermal war das nötig, dann erzählte der Gepeinigte von sich aus, als wisse er die Fragen im Voraus. Seine Spießgesellen mischten sich nicht ein. Sie waren mit ihrem Schmerz beschäftigt und froh, momentan unbeachtet zu sein.

      Besonders schien Mike die Geschichte mit dem Spiegel zu interessieren.

      »Erzähl noch mal, wie euch dieser Räuber überfallen hat. Wo genau war das? Wie sah der Kerl aus, war an ihm etwas Besonderes?« Vor Überraschung stieß er einen Pfiff aus, als der Seiler von einem Mal am Handgelenk berichtete. »Ein Drachenkopf?«

      »So sah es aus.«

      »Erzähl mir mehr! Woher war der Strauchdieb? Hat er davon gesprochen, was er vorhatte, wo er hinwollte?«

      Er drängte mehrmals, gab aber auf, als der Gauner immer neue Versionen auftischte und sich in Widersprüche verwickelte. Stattdessen fragte er letztendlich das Räubertrio nach seinem Lagerplatz. Die hastig hervorgestoßene Antwort erhielt er von dem Alten mit dem verletzten Ellbogen, kaum als er sich vor ihn hinhockte und mit geöffneter Hand in Richtung seines Armgelenks griff.

      Mike stand auf, trat an die Wegelagerer heran und tastete jeden gründlich ab. Dabei nahm er Rücksicht auf ihre Verwundungen. Da er vorhin schon ihre Messer eingesammelt hatte, ließ er ihnen alles, was sie in ihren Taschen mit sich trugen, mit Ausnahme eines weiteren Messers mit kurzer Klinge. Einer der drei hatte es unsichtbar in einer Scheide unter seinem Hosenbein getragen.

      Mike prüfte vor ihrem Aufbruch die Fesseln des Seilers nochmals und flocht die losen Enden in die Büsche. Ein einfaches Wegziehen war nicht möglich. Die Verletzten hatte er so gelagert und lose gebunden, dass sie keine weiteren Schmerzen erlitten.

      Während Julia einfach froh war, den Überfall nur mit einem Schrecken überstanden zu haben, schien er Mike nicht zu belasten. Kaum, dass sie außer Hörweite waren, resümierte er in lockerem Ton.

      »Einen halben Tag werden sie sicherlich brauchen, um sich loszumachen und unseren Rastplatz zu verlassen. Das können sie nur gemeinsam vollbringen, was schwerfallen dürfte. Sie sind ja noch in unserem Beisein in Streit geraten und werfen sich nun gegenseitig die Schuld am Missraten des Überfalls vor.«

      10.

      Sie erreichten den höchsten Punkt des Weges. Mike bog in die Steppe ab und zog den Schlitten die Böschung hinauf. Auf ihrer Rückseite fand er, wie von dem Räuber beschrieben, die Senke mit dem Lagerplatz. Unter einem Gebüsch am Rand entdeckte er einige anscheinend hastig versteckte Stoff- und Lederbeutel und zusammengerollte Decken. Er zog alles hervor. Größere Bündel wurden anscheinend auf dem Rücken getragen, die kleineren eher an den Gürtel gehängt.

      Er durchsuchte sie gründlich. In zwei apfelgroßen Ledersäckchen fand er eine Handvoll Kupfermünzen und ein paar Silbertaler. Der Rest war Kram, den man nun mal so brauchte. Auch Proviant fand er. Das Brot war jedoch hart, das Fleisch nicht mehr frisch und das Wasser abgestanden. Er legte die Ledersäckchen mit dem Geld auf einen flachen Stein am Eingang zur Senke, alles andere steckte er wieder in die großen Beutel zurück.

      Endlich förderte er ein flaches Päckchen zutage. Als er den Stoff für einen Moment zurückschlug, so vorsichtig, als erwarte er, dass ihn etwas anspringe, sah Julia auf seinem Gesicht den schwachen Widerschein eines rötlichen Lichts. Zufrieden stopfte er seine Beute in eine Seitentasche des Tornisters. Ihrer Frage begegnete er mit einem resoluten Kopfschütteln.

      Auf dem steinigen Boden häufte er kleine verdorrte Sträucher an, die sich leicht aus dem Boden hatten ziehen lassen. Darauf stapelte er die Beutel und schob er dürre Zweige und trockenes Gras dazwischen. Das Ganze deckte er auch damit zu. Nun brachte er aus einer Westentasche ein Feuerzeug zum Vorschein. Ein schlankes Glasröhrchen, zum Schutz eingebettet in eine dünne Kupferhülse. Als er den Stopfen abzog, schlug eine grüne Flamme, heraus.

      Julia riss die Augen auf.

      »Ist das Magie?«

      »Diesmal nicht. Nur normale Chemie. Wenn der Inhalt des Röhrchens mit dem Luftsauerstoff in Berührung kommt, entzündet er sich. Das kennst du vielleicht noch vom Chemieunterricht, wenn euer Chemielehrer eine kleine Menge Phosphor aus seinem Behälter geholt und auf dem gefliesten Labortisch aufgehäuft hat.«

      Sie nickte.

      Mike hielt die grüne Flamme weit unten an das dürre Material und verkorkte das Fläschchen, sobald die ersten Flammen an dem Stapel züngelten. Als er es wieder in seiner Tasche verstaut und den Knebel geschlossen hatte, leckte das Feuer bereits an zwei Seiten. Ohne zu beobachten, wie weit sich die Flammen ins Gepäck fraßen, machte er kehrt und zog seinen Schlitten aus der Senke wieder auf den Weg.

      Julia sah ihn entgeistert an. Ihr Gesichtsausdruck war ein einziger Schrei der Entrüstung.

      »Was soll das?«

      »Das ist die Strafe für den Überfall«, rechtfertigte er sich, »außerdem erfährt so keiner, dass ich etwas mitgenommen habe.« Gerade steckte er auch die Ledersäckchen mit den Münzen ein. Er zuckte die Schultern.

      Ihre Augen blitzten zornig.

      »Was hast du? Das ist meine Beute, von so etwas lebe ich.«

      »Und ich?« Sie biss sich auf die Lippe, es war ihr herausgerutscht. Das hatte sie gewiss nicht sagen wollen. Worüber hatte sie sich eigentlich so aufgeregt? Wegen der Säckchen bestimmt nicht. Weil er Sachen verbrannt hatte, die vielleicht noch zu gebrauchen waren? Wegen der Räuber? Sie hätte es selbst nicht mehr sagen können.

      »Ach so! Hier, fang!« Er holte aus und warf ihr einen der Beutel zu.

      Instinktiv war Julia in ihrem Ärger einen Schritt zurückgewichen. Es wäre ihr aber töricht vorgekommen, das Säckchen fallenzulassen. Außerdem wollte sie ihm keineswegs den Triumph gönnen, sie für ungeschickt zu halten. Also beugte sie sie vor und streckte beide Hände aus. Den Beutel erhaschte sie gerade noch, geriet aber ins Straucheln. Ihren Sturz verhinderte sie mit Müh und Not durch einen Ausfallschritt.

      Er bemerkte es nicht. Er hatte sich schon umgedreht und folgte dem Weg ins Tal. Sie hatte das Säckchen geöffnet und ließ die Münzen durch die Finger gleiten. Reichlich Kupfer, ein wenig Silber. Sie zog die Schnur wieder fest und folgte ihm. Sie musste eine kurze Strecke rennen, um ihn einzuholen. Dass er die Galgenvögel hatte laufen lassen und sich mit einer Handvoll Münzen und einem handtellergroßen Spiegel zufriedengab, widerstrebte ihr. Sie wusste aber, er sah sich im Recht. Ihre Vorwürfe würden an ihm abperlen.

      »Wie viel ist das?« fragte sie stattdessen.

      »Gut zwei Wochen Gasthof mit drei Mahlzeiten täglich und abends einem Schoppen Apfelwein. In der Stadt. Auf dem Land langt es ungefähr doppelt so lange. Für einen Kleinwagen reicht es nicht gerade.«

      Sie schmollte, hatte sie doch seinen Sarkasmus nicht verdient.

      Nachdem der Lagerplatz außer Sichtweite war, besserte sich seine Laune. Sie ergriff die Gelegenheit, ihn endlich in Ruhe auf sein Verhalten gegenüber den Räubern anzusprechen.

      »Vom