Siebenreich - Die letzten Scherben. Michael Kothe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kothe
Издательство: Bookwire
Серия: Siebenreich
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752909401
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das wäre schön, aber leider sind´s nur Kleidung, Decken und Dinge, die man unterwegs so braucht.«

      Die drei Rothaarigen tauschten vielsagende Blicke aus. Sie glaubten ihm kein Wort.

      Unruhig rutschte Julia hin und her. Mal mit der linken, dann wieder mit der rechten Hand stützte sie sich auf dem Boden auf. Die drei fragten sie richtiggehend aus, und Mike schien nichts zu argwöhnen. Auch auf ihre schüchternen Zeichen reagierte er nicht. Er hatte den Rest Apfelwein getrunken, da ihn sonst keiner wollte, und wurde immer redseliger. Bereitwillig gab er Auskunft.

      »Wir kommen aus dem Norden, aus einem kleinen Nest.« Er nannte einen Ortsnamen, von dem Julia nur »Dorf« verstand. »Dort vermisst uns gewiss niemand. In Königstein wollen wir das Eisen dort unter der Decke verkaufen.« Er zeigte auf seinen Schlitten. »In den letzten Dörfern gab es keinen Schmied und auch sonst keinen ordentlichen Käufer. Und die Ladung bringt in der Hauptstadt bestimmt einen besseren Preis ein.« Wie in Erwartung eines vorzüglichen Geschäfts rieb er sich nun die Hände. »Gute Waffen, gute Rüstungen.«

      Das Gesicht eines der Älteren erhellte sich. Er hatte einen Gedanken, wie er seinem Opfer weitere Informationen über seinen Besitz entlocken konnte Um ihn zum Weiterreden zu animieren, erzählte er im Gegenzug selbst eine Geschichte über einen einträglichen Fund. Obwohl ihm die beiden anderen erschrocken finstere Blicke zuwarfen und ihm durch Gestern zu verstehen gaben, er solle den Mund halten, redete er weiter.

      Mike tat, als habe er die Warnungen nicht bemerkt, und konzentrierte sich mit sichtbarer Anstrengung auf den Bericht.

      »Auf halbem Weg hierher hat uns ein Räuber überfallen. Und das, wo wir selbst nichts haben! Ha, aber wir haben den Spieß umgedreht! Ich stellte ihm ein Bein, als er mit dem Schwert auf uns einschlagen wollte. So haben wir unser Leben behalten. Wir haben ihn überwältigt und als Entschädigung für unseren Schrecken seine Sachen geplündert. Dabei ist uns ein Spiegel in die Hände gefallen, so groß.« Sein rechter Zeigefinger fuhr im Kreis um den Handteller seiner Linken. »Mit sechzehn Ecken. Das Glas ist uralt und fleckig. Wir haben ihn aus seinem Tuch gewickelt, und er hat zu glühen angefangen. Genauer gesagt rot zu leuchten, denn er ist kalt geblieben. Vor Schreck haben wir ihn fallen gelassen. Obwohl er auf einen Stein geprallt ist, blieb er unversehrt.«

      Mike wurde hellhörig.

      »Ein Glas, das leuchtet und das nicht zerbricht, wenn ihr es fallen lasst? Das muss etwas Besonderes sein. Wisst ihr, wo es herkommt? Habt ihr den Räuber gefragt?«

      »Natürlich, aber der Kerl hat uns sicherlich angelogen. Einem toten Wanderer habe er es abgenommen, den er am Wegrand gefunden hätte. Sicherlich hat er selbst den armen Wicht erschlagen! Diesen Schatz wollen wir nun verkaufen, wenn wir dann im Norden sind.« Er machte eine übertrieben lange Pause und strahlte Mike an. »Da kann ich mir gut vorstellen, dass ihr ihn vielleicht haben wollt. Ein Kleinod für eure hübsche Frau. Zwar seid ihr nicht so fein gekleidet wie die edlen Bürger aus der Stadt, aber auch eure Kleidung sieht nicht billig aus. Und wer solch wertvolle Waffen trägt …«

      Er rutschte näher an Mike heran, streckte ihm die Hand hin.

      »Zeigt mal euren Beutel, vielleicht reicht euer Geld ja für den Handel.«

      Verwundert beobachtete Julia, dass ihr Gefährte neugierig wurde. Ein Kleinod für seine hübsche Frau? Welchen Grund hätte er, ihr ein Geschenk zu machen? Schließlich wollte er sie ja loswerden, sobald sie Königstein erreicht hätten. Woher kam aber dann sein offensichtliches Interesse an dem Spiegel? Hatte er etwas mit seiner Vergangenheit zu tun, die er ihr zu verheimlichen trachtete?

      Mike sah dem Alten ins Gesicht und schüttelte den Kopf.

      »Das muss ich mir noch überlegen. Zeigt mir erst den Spiegel!«

      »Einen solchen Schatz tragen wir natürlich nicht mit uns rum. Wir haben ihn an einem sicheren Ort vergraben.«

      »Und warum gebt ihr dann vor, mit mir darüber Handel treiben zu wollen? Wir werden doch nicht stundenlang mit euch wandern und dann feststellen, dass er uns vielleicht nicht gefällt. Euer Ansinnen kommt mir doch recht seltsam vor.«

      Dem Jüngeren dämmerte, dass der Fremde wohl Lunte roch. Dem Gespräch wollte er eine Wendung geben, um doch noch herauszubekommen, wo er seine Barschaft versteckt hielt.

      »Auf eurer Wanderschaft braucht ihr doch sicherlich allerlei nützliche Dinge. Schnüre und Seile etwa, wenn ihr etwas festzubinden habt oder ein Hindernis überwinden wollt. Oder falls ihr in eine dieser Höhlen stürzt, wenn ihr einmal den Weg verlassen solltet.«

      Mike hakte nach.

      »Wie kommt ihr auf solche Gedanken?«

      »Ich bin Seilmacher«, gab der Rotschopf zur Antwort. »Vielleicht wollt ihr mir ja welche abkaufen. Und das könnt ihr ja erst, wenn ihr überhaupt wisst, dass ich welche feilbiete.«

      Nun wollte Mike alles über seine Seile wissen.

      Julia folgte dem Gespräch mit zunehmendem Interesse. Die Lethargie war von Mike abgefallen. Seine vorher weinselig klingende Stimme war schon bei der Unterhaltung über den seltsamen Spiegel wieder klar geworden. Und nun war er es plötzlich, der die Fragen stellte. Noch rätselhafter war ihr, dass dies außer ihr niemandem aufzufallen schien.

      Der Seilmacher lächelte gezwungen und musste nun wegen seines Angebots, auch wenn er es nur zögerlich tat, Auskunft erteilen. Plötzlich richtete er sich auf, seine Augen leuchteten. Er habe ein paar Beispiele seiner Handwerkskunst dabei, erklärte er mit übertrieben vorgetragenem Stolz und bemühte ein paar Stricke aus den Taschen seiner Beinkleider. Der Junge und einer der Älteren nahmen jeder einen in die Hand, standen auf und traten rechts und links neben Mike. Aus der Nähe könne er sie besser begutachten.

      Julia zitterte. Sie wollte Mike eine Warnung zurufen, brachte aber keinen Ton heraus. Sie war schweißgebadet. Ihr Gehirn arbeitete mit rasender Geschwindigkeit, alles vernahm sie wie in Zeitlupe. Einzelheiten drängten sich ihr auf, auf die sie sonst nie geachtet hätte. Unwillkürlich schloss sie vor der aufkommenden Gefahr die Augen. In ihrer Vorahnung sah sie den Älteren hinter ihrem Gefährten stehen. Sie sah ihn Mike den Strick um den Hals legen und mit einer schadenfrohen Grimasse die Schlinge zuziehen. Als Julia erschrocken die Augen aufriss, stand der Alte immer noch neben Mike, hatte beide Seilenden einfach in seinen Fäusten liegen. Er hatte sie nicht einmal um seine Hände gewickelt, um die Kraft fester auf das Seil übertragen zu können. Außerdem war es zu kurz, hätte nie um Mikes Hals gepasst, so konnte der Räuber ihn gar nicht erdrosseln. Sie kniff die Augen zu, schwenkte den Kopf ein paar Mal schnell hin und her, um ihre Verwirrung abschütteln.

      Ihre Furcht und Verwirrung kippten in blankes Entsetzen um, als der andere Alte aufstand und mit boshaftem Grinsen sein Messer zog. Breitbeinig baute er sich vor Mike auf, wobei er sie aus dem Augenwinkel im Blick behielt. Dessen war sich Julia sicher.

      Mike hatte während des Essens den Anschein eines redseligen Trinkers gegeben. Im Gegensatz dazu schien er nun hellwach. Wie ein Breakdancer ließ er sich in eine fast liegende Körperhaltung fallen und stützte sich nur auf der linken Ferse und der linken Hand auf. Blitzschnell drehte er seinen Körper im Kreis und schlug mit dem ausgestreckten rechten Bein dem Alten mit dem Seil beide Füße unter dem Körper weg. Der prallte der Länge nach mit seiner Flanke auf den Boden. Sein Ellbogen krachte auf den harten Untergrund. Julia hörte ein Knacken, unwillkürlich stellte sie sich vor, wie kleine Knochensplitter sich ins Fleisch drückten. Der Alte schrie auf vor Schreck und vor Schmerz. Er war außer Gefecht gesetzt.

      Mike sprang auf, sah dem Kerl mit dem Messer direkt in die Augen und fixierte dessen Blick. Abrupt drehte er sich um und zog gleichzeitig das rechte Bein an. Als er mit dem Rücken zu dem Galgenvogel stand, streckte er sich ruckartig und trat ihm so kräftig gegen sein Standbein, dass er ihm die Kniescheibe brach. Der Verletzte schrie auf und ließ sich auf den Rücken fallen. Er rollte sich hin und her und hielt das Knie zwischen beiden Händen.

      Zwischenzeitlich hatte Mike seine Schwerter gezogen und sich umgesehen. Der Seiler war als