Siebenreich - Die letzten Scherben. Michael Kothe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kothe
Издательство: Bookwire
Серия: Siebenreich
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752909401
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jeder mit regelrechten Schätzen an der Tracht? Ein bestickter Ledergürtel, die Kappe mit einem silbernen Knopf, lederne Armbänder mit bunten Stickereien, ohnehin unpraktisch für die Feldarbeit. Und jeder hat ein Messer, für das ein Landsknecht morden würde. All das passte nicht zu ihrer einfachen Kleidung. Andersrum wird ein Schuh draus! Erst die Klamotte, dann die Accessoires.«

      Er hatte sich in Schwung geredet.

      »Es war deutlich, dass sie uns ausfragten, während sie wirklich nichts von sich preisgaben. Ihre Beschreibungen waren falsch. Wir sind eine Stunde vom nächsten Dorf weg. Liegt etwa Lohfelden ostwärts von Königstein? Warum erzählen sie uns von Begebenheiten wie von dem Feuer vor ein paar Jahren? Und nach Norden gehen, um den Schatz zu verkaufen? In Königstein wäre der Erlös dreimal so hoch. Und hier gäbe es Heilkräuter, die im Norden nicht wachsen? Kein einziges! Dann der Seiler, der so wenig über seinen Beruf wusste, dass er höchstens mal mit einem Galgenstrick Bekanntschaft machen dürfte! Daher meine Redseligkeit. Ich wollte, dass wir als leichte Beute erscheinen, und sie damit aus der Reserve locken.«

      »Das hast du ja geschafft«, stimmte sie zu, »aber was war das für eine Geschichte mit dem Spiegel? Du bist ja voll drauf abgefahren!«

      »Eigentlich besser, du weißt nichts davon«, zog er sich wieder in sich zurück.

      Sie sah, dass es ihm ernst war, ihre Neugier auch diesmal nicht zu befriedigen. Sie beschloss, auf eine spätere Gelegenheit zu warten. Er war jetzt schon nicht mehr so abweisend wie vorhin, als er den Spiegel an sich genommen hatte.

      »Warum hast du diese Halsabschneider so glimpflich davonkommen lassen? Die gehören vor ein Gericht«, unterbrach Julia die aufkommende Stille. »Sie gehören eingesperrt, damit sie nicht nochmal jemanden überfallen. Und als Strafe für ihre früheren Missetaten.«

      »Prinzipiell hast du Recht«, pflichtete er ihr bei, »aber Gerichte gibt es nicht in jedem Dorf. Außerdem, denke ich, sind sie gestraft genug. Die Älteren sind verletzt und werden keine Überfälle mehr durchführen. Jeder halbwüchsige Bäckerbursche würde sie so vertrimmen, dass sie nicht mehr wüssten, ob sie Männlein oder Weiblein wären. Auch der Junge hat noch lang genug daran zu knabbern. Die Alten sind Vater und Onkel, er wird sich also um sie kümmern müssen. Das Wichtigste ist aber, dass ich glaube, sie sind Räuber, keine Mörder. Sie wollten uns binden und ausrauben. Sie hätten uns lebend liegengelassen. Gefesselt, während sie sich aus dem Staub gemacht hätten. Hätten sie uns wirklich umbringen wollen, hätten sie mehrmals die Gelegenheit dazu gehabt. Meinen Kampfzauber mal außer Acht gelassen, aber von dem wussten sie ja nichts.«

      Das mit dem Kampfzauber war für Julia immer noch ein Märchen, aber dem Rest seiner Bewertung pflichtete sie bei.

      Fast schweigend legten sie bis zum frühen Nachmittag noch ein paar Meilen zurück. Seit dem versuchten Überfall wanderten sie Feldwege entlang, nicht mehr nur Furchen durch Steppengras. Sie marschierten zwischen Getreidefeldern, die von häufig genutzten Fahrspuren durchschnitten waren. Sie waren in Richtung auf verschiedene Ziele mit Absicht angelegt worden. Am besten ausgebaut und erhalten war der letzte, der breiteste Weg. Er führte nach Südwesten und schien in der Ferne am Fuße eines bebauten Hügels zu enden: Königstein.

      11.

      Das Dorf überraschte sie. Hinter einer nicht einsehbaren Waldecke versteckte sich eine Wegekreuzung, der Wegweiser zeigte sich als Bretter, die an einen Baum genagelt waren. Kaum hatten sie die Ortsnamen auf den verwitterten Brettern entziffert und waren um die Ecke gebogen, standen sie schon vor den Palisaden. Das Tor stand offen. Die zwei Kerle, die Wache standen, musterten sie argwöhnisch. Fragen stellten sie aber keine. In ihren Augen wurde Mikes wildes Aussehen anscheinend durch die Begleitung einer Frau ausgeglichen.

      Mike wiederum fand an ihnen keine Anzeichen dafür, dass sich die Siedlung in den Händen von Räubern befände. Offenbar hatte der vorgebliche Seiler bei seinem Verhör die Wahrheit gesagt.

      Das Dorf beherbergte eine Wirtschaft. Zum Truthahn. Die Mittagszeit war längst vorüber, und die wenigen verbliebenen Gäste sprachen nur noch dem Apfelwein zu oder genossen den nahe der Hauptstadt und weiter im Süden angebauten Wein. Trotzdem bekamen Mike und Julia noch eine reichhaltige Mahlzeit. Die freundliche Wirtin meinte es gut mit ihnen. Sie wies ihnen einen Platz draußen in der Herbstsonne zu an einem kleinen Tisch mit zwei leeren Bänken. Ein roter Ahorn stand seitlich davon, sein Laub nahm ihnen aber nicht die Sonne.

      Die Wirtin hatte zwei Mägde beauftragt zu bedienen. Die eine brachte zwei tönerne Schalen, etwas flacher als Halbkugeln, eine gute Handspanne im Durchmesser, dazu zwei Löffel und zwei Becher aus Zinn. Sie verschwand und kehrte kurz darauf mit einem Krug Rotwein und einem Teller voll fingerdicker Scheiben eines hellen Brotes zurück. Während sie alles vor Mike und Julia aufbaute, erschien die zweite Magd mit einem dampfenden Topf, aus dem der Stiel einer Kelle ragte. Sie stellte den Topf zwischen sie und füllte die Schalen bis knapp unter den Rand.

      Die Wirtin blieb neben dem Tisch stehen und beaufsichtigte alles.

      Erschrocken zuckten Mike und Julia zusammen. Auch die Magd wusste nicht, wie ihr geschah.

      »Schamloses Gör!« Die Schelte der Wirtin kam aus heiterem Himmel. »Wie bedienst du meine Gäste? Du bist eine Schande für den Truthahn. Lauf sofort ins Haus und nimm dir ein frisches Fürtuch!«

      »Aber Herrin, das Huhn hat noch so geblutet, als ich es ausgenommen …«

      Ihre Verteidigung konnte die Magd nur im Ansatz vorbringen. Schon hatte die Wirtin sie am Ohr gepackt und zog sie in gebückter Haltung ins Gasthaus.

      »Sofort, hatte ich gesagt!«

      Mike kicherte verhalten.

      Julia hingegen hatte die Szene sprachlos verfolgt.

      »Ein frisches Fürtuch?« Sie war baff.

      Er lachte.

      »Du solltest Althochdeutsch lernen, zumindest Mittelhochdeutsch. Das Fürtuch, auch Vortuch genannt, ist eine Schürze.«

      Nun stimmte sie in das Lachen ein. Ein Vortuch. Logisch!

      Es war ein schmackhafter Gemüseeintopf. Karotten, in fingerdicke Stifte geschnittene Rüben, Zwiebeln und reichlich Lauch in breiten Ringen, etwas Grünzeug. Der großzügige Einsatz von Kräutern aus dem ans Haus angrenzenden Garten gab eine kräftige Würze. Die daumengroßen Fleischstücke waren erfreulich zahlreich. So viele Fettaugen teilten sich die Oberfläche, dass sie aneinanderstießen.

      »Ich hätte Kartoffeln mitgekocht. Und die Gewürze sind auch seltsam«, kommentierte Julia.

      »Tja, da hast du Pech«, war die schelmische Antwort, »Kartoffeln gibt´s nicht. Amerika wurde noch nicht entdeckt.« Er wurde wieder ernst. »Und Gewürze - naja, nicht die, die wir von zu Hause her kennen. Salz vielleicht, aber man würzt mit Kräutern. Das macht das Essen herzhaft und gesund.«

      Er sah ihr direkt in die Augen. Sie hob den Blick, als sie es bemerkte.

      »Siebenreich ist eben anders als Freiburg. Du hast schon gemerkt, dass hier niemand raucht. Tabak ist ebenso unbekannt wie Kaffee, Kartoffeln, Tomaten und vieles andere. Ich könnte dir stundenlang aufzählen, was es hier nicht gibt. Aber, wer will, weiß sich zu helfen. Es gibt für fast alles eine Alternative. Und was der Bauer nicht hat, isst er nicht. Oder so ähnlich.« Seine Erklärung begleitete er mit einem verhaltenen Lachen. »Je näher man an die Städte kommt, desto besser wird das Essen. Es wird eben mit Küchenkräutern, Beeren und Wurzeln verfeinert.«

      Die Suppe war heiß, dennoch mussten sie sich mit dem Essen beeilen. Anderenfalls hätte sich der Talg als dicke Schicht am Rand ihrer Schalen, an den Löffeln und am Gaumen abgesetzt.

      Nachdem sie aus der Küche zurückgekehrt war, setzte sich die Wirtin zu den beiden auf die Bank und wollte wissen, wen sie vor sich hatte. Sie war nicht aufdringlich und gab ihrerseits bereitwillig Auskunft auf alle ihr gestellten Fragen. Nach Königstein, dem Weg dorthin, Herbergen dort, und nach dem Dorf, in dem sie sich gerade befanden.

      »Ihr