Als sie zu den Giraffen kamen, die in der prallen Vormittagssonne standen, bemerkte der Detektiv einen Mann, einen Schwarzen, der eine dunkelblaue Hose, ein hellblaues Hemd und eine modische Sonnenbrille trug.
Der Mann hatte einen schwarzen Aktenkoffer, in dem eine ganze Menge Akten Platz haben musste, zwischen seine Füße gestellt und schien auf jemanden oder etwas zu warten. Cords Anspannung stieg.
Als der Bulgare sich ihm näherte, nahm der Mann die Sonnenbrille ab; der Papst hielt abrupt an und sprach ihn an, worauf der Schwarze etwas erwiderte; beides konnte Cord aufgrund der Entfernung nicht verstehen, aber das war auch nicht sein Job. Immerhin musste der Mann der angekündigte Kardinal sein.
Cord griff nach seiner Kamera, spielte am Zoom und gab vor, eine der Giraffen ins Visier zu nehmen. Es galt nun, den Augenblick abzupassen, der ihm die Gelegenheit zum Schießen der verlangten Fotos bot.
Aber dann war die Gelegenheit wieder vorbei, denn die beiden Männer bewegten sich jetzt in den hinteren Teil des Parks, wo es ein paar schattige Flecken und einige Holzbänke gab. Der Schwarze war nervöser als der Papst, er drehte sich alle paar Schritte um und schien das Gelände nach Verdächtigem abzusuchen.
Sie unterhielten sich gestenreich, und der Bulgare hatte ein Notebook aus seinem Rucksack genommen, startete es und zeigte dem anderen Mann offenbar etwas von dessen Interesse. Dieser schien Fragen zu stellen, deren Beantwortung ihn nicht zufriedenstellte. Immer wieder zeigte er auf den Bildschirm, zückte zuletzt entnervt sein Smartphone und begann, einzelne Seiten abzufotografieren, was eine volle Minute in Anspruch nahm.
Endlich schien er einverstanden zu sein mit dem, was er gesehen hatte, und er bückte sich, um dem Bulgaren den Koffer zu überreichen.
Zum Unmut des Detektives, der immer noch auf seinen Schnappschuss wartete, bewegte sich jetzt eine Schulklasse auf diese Ecke des Zoos zu, und binnen kurzer Zeit hatten sich die Kinder zwischen ihn und die beiden Männer gedrängt. Ihre Lehrerin holte aus zu einem Vortrag, während sie einen Halbkreis um sie bildeten.
Cord musste sich hinter die Gruppe manövrieren, um an seinen Objekten dranzubleiben. Als er wieder freie Sicht hatte, erhoben sich die beiden Männer gerade und wollten offenbar gehen. Cord war viel zu nahe dran, um unbemerkt fotografieren zu können.
Und plötzlich brach die Hölle los!
Schüsse fielen, drei, vier, vielleicht mehr, und aus höchstens fünfzig Metern Entfernung abgefeuert. Die Lehrerin schrie auf, und Cord konnte sehen, wie der Kardinal in die Knie ging, während ein Schwall Blut aus seiner Kehle schoss. Danach war Cord der Blick durch einige der in Panik geratenen Kinder versperrt. Instinktiv rannte er los und drängte sich zwischen den schreienden Schülern hindurch, um zu der Stelle zu gelangen, wo die beiden Männer eben noch gestanden hatten.
Den Bulgaren hatten zwei Schüsse in den Rücken niedergestreckt, der Afrikaner war im Genick getroffen worden, wobei die Kugel am Hals wieder ausgetreten war; ein zweiter Schuss war nicht nötig gewesen. Beide rührten sich nicht mehr, auch der Papst war höchstwahrscheinlich tot; Koffer und Notebook lagen zwischen den beiden Ermordeten, der Koffer war blutverschmiert.
Ohne zu wissen, was er tat, hob er die beiden Gegenstände auf und rannte in Richtung Ausgang. Dass diese impulsive Entscheidung den Schlusspunkt des Lebens bedeutete, welches er kannte, sollte ihm im Laufe der nächsten Stunden noch dämmern.
Er rannte tief gebückt los, denn irgendwo musste der Heckenschütze sein, und Cord wusste nicht, ob die Schüsse nicht auch ihm gegolten hatten. Er musste es annehmen.
Er erreichte das Drehkreuz am Ausgang, wo sich seine noch geöffnete Kameratasche verfing und seine teure Kamera auf den Beton aufschlug, wobei mehrere Splitter abbrachen. Weil sie ohnehin seine Bewegungsfreiheit einschränkte, ließ er sie zurück. Er konnte vielleicht später nach ihr sehen, wenn dieses Chaos vorbei war.
Cord zwängte sich mitsamt seines neuen Gepäcks nach draußen und rannte weiter in Richtung Zentrum, bis seine Lungenflügel sich anfühlten, als ob sie in Flammen stünden. Unterwegs drehte er sich ein paarmal um, und erst, als er mehr als hundert Meter zurückgelegt hatte, sah er, wie zwei Männer ebenfalls den Zoo verließen und es offenbar ebenso eilig hatten wie er. Vor ihm lag eine große Einkaufsstraße, und wenn er es bis dorthin schaffte, wäre er zunächst einmal sicher, denn er würde in eine große Menschenmenge eintauchen und sich unsichtbar machen können. Dort angelangt verlangsamte er sein Tempo und versuchte eine vernünftige Entscheidung darüber zu treffen, was er als Nächstes zu tun hatte.
Er passierte den Eingang eines Kinocenters, kehrte um und kaufte eine Eintrittskarte für einen Abenteuerfilm, der in den nächsten Minuten beginnen sollte.
Drinnen im Saal war es angenehm kühl und beinahe dunkel, der Vorfilm lief schon, als er sich vor eine Gruppe von Jugendlichen setzte, die ihn dem oberflächlichen Blick möglicher Verfolger entziehen würde. Sein Herz schlug bis hinauf in die Schläfen, er zitterte am ganzen Leib und beruhigte sich erst dann ein wenig, als der Hauptfilm begonnen hatte, ohne dass noch jemand den Saal betreten hatte.
Er hatte sie offenbar abgeschüttelt, auch wenn er nicht darauf wetten würde. Waren es Profis? Die tödliche Präzision der Schüsse legte es nahe, die stümperhafte Verfolgung sprach dagegen.
Nach einer halben Stunde schlich er sich aus der Vorstellung und verließ das Kino, wobei er zunächst ein paar Schritte in die eine Richtung ging, dann stehen blieb und so tat, als habe er etwas vergessen, während er über den breiten Strom der Fußgänger blickte, um zu sehen, ob ihm jemand auffiel. Das war nicht der Fall.
Würden sie zuhause auf ihn warten? Kannten sie seine Identität und seine Adresse? Er hatte keine Ahnung, konnte es aber nicht ausschließen. Schließlich wusste der Albino, wo er zu finden war. Es war also besser, nicht sofort nach Hause zu gehen, sondern vorher ein wenig Zeit verstreichen zu lassen. Er kannte eine Kneipe in einem Gässchen, das parallel zu dieser Straße verlief. Es waren kaum mehr als fünf Minuten Fußweg dorthin.
Das Lokal war im vorderen Teil gut belegt, ein paar Rentner nahmen ihr flüssiges Frühstück am Tresen ein und würfelten lautstark um die Rechnung. Aber im Hintergrund des Schankraumes, der in gnädiges Schummerlicht getaucht war, saß er beinahe für sich allein. Er stellte den Koffer und das Notebook ab, und als die Kellnerin kam, bestellte er ein großes Glas Bier und einen doppelten Wodka, denn er brauchte etwas zur Beruhigung seiner gemarterten Nerven.
Was um alles in der Welt hatte ihn geritten?
Er hatte einen klaren Auftrag gehabt: „Machen Sie ein paar brauchbare Fotos vom Kardinal, wenn dieser sich mit dem Papst trifft!“ Präziser konnte eine Jobausschreibung nicht formuliert werden.
Es waren keine Extraleistungen vereinbart worden. Er hatte völlig ohne Not Kopf und Kragen riskiert, um etwas an sich zu bringen, das ihm nicht gehörte und das ihn auch nichts anging.
Nach dem zweiten Bier war er soweit, sich des Aktenkoffers anzunehmen, der zwar ein Zahlenschloss besaß, aber unverschlossen war. Sein Besitzer hatte keine Zeit mehr gehabt, ihn abzuschließen.
Neugier ist der Katze Tod!
Er stellte ihn vor sich auf den Tisch, ignorierte das inzwischen geronnene Blut, klappte ihn auf und erstarrte. Seine Kopfhaut kribbelte mit einem Mal, die Härchen auf seinem Unterarm stellten sich steil auf. Er schluckte trocken.
Das Erste, was er sah, war Geld, viel Geld; Geld in mindestens drei Währungen, die großen Scheine jeweils gebündelt zu dicken Paketen. Er konnte kaum abschätzen, um wie viel es sich handelte, aber es mussten zigtausende Euro, Dollar und Schweizer Franken sein. Mehr, als er je auf einem Haufen gesehen hatte.
Er wandte sich den Papieren zu, die in zwei dicken Stapeln den Großteil des Kofferinhalts ausmachten. Auf den ersten Dokumenten sah er den Betrag von zehntausend US-Dollar aufgedruckt, das Papier war von einer bekannten amerikanischen Bank ausgegeben worden und durfte – wenn er den Sinn des Aufdrucks richtig deutete – in jeder Filiale des betreffenden Institutes eingelöst werden. Diese Dokumente trugen keinen Inhabernamen, wer sie vorlegte, galt als ihr Besitzer.
Er