Interstate. Robert Lang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Lang
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753184258
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mussten sie keine heruntergekommenen Herbergen nehmen, sondern konnten nach anderen Kriterien auswählen.

      Lag das Motel günstig zur nächsten Autobahnauffahrt, sodass sie bei Bedarf schnell entkommen und unter mehreren Fluchtwegen die passende auswählen konnten?

      Wohin sie am Ende überhaupt wollten, wussten sie noch nicht. Sie fuhren auf Sicht, beide mochten den einsamen Westen mehr als den dicht besiedelten Osten, aber das war auch schon alles.

      Heute Abend ging es um mehr als nur eine Übernachtung. Die Schussverletzung an seiner Schulter hatte in Oklahoma zu eitern begonnen, er hatte in den ersten beiden Tagen hohes Fieber gehabt, und die Schmerzen, obschon tagsüber erträglich, hinderten ihn daran, nachts mehr als eine oder zwei Stunden durchzuschlafen, was sich zuletzt als wachsende Erschöpfung von Körper und Geist bemerkbar machte. Es wurde höchste Zeit für eine Pause, er war heute zweimal beinahe am Steuer eingeschlafen, und er hatte in mehreren Verkehrssituationen unangemessen reagiert. Aber immerhin hatten die Antibiotika, die Lisa ihm besorgt hatte, begonnen zu wirken, seit heute Morgen war seine Temperatur stetig gesunken.

      Sie hatten auf der heutigen Fahrt besprochen, dass sie sich ein Versteck suchen würden, in dem sie für einige Zeit untertauchen und ihre Batterien aufladen konnten.

      Genügend Schlaf und gutes Essen würden ein Übriges dazu beitragen, dass er wieder zu Kräften kam.

      „Colorado oder Wyoming?“

      „Egal, Hauptsache, weit abseits vom Schuss. Irgendetwas, womit sie nicht rechnen.“ Das war kaum mehr als ein frommer Wunsch, das hatten sie schon zweimal zu spüren bekommen, in Louisiana ebenso wie zwei Tage später in Texas.

      Sie hatten sein Notebook in die Bettmitte gestellt und begannen mit Objekten von Maklern in Wyoming. Die Auswahl war enorm, von spartanisch bis luxuriös wurde buchstäblich alles angeboten. Aber wenn man die entsprechenden Filter eingab, wurde das Angebot überschaubar. Sie wollten weg von den geschäftigen Interstates, um auf kleineren Straßen möglichst weit in die Berge hinaufzukommen, am liebsten in eine bequeme Hütte oder Lodge, in der sie sich selbst versorgen konnten. Sie schwiegen für eine Weile und gaben abwechselnd ihre Ideen ein.

      „Zwölfhundert Dollar für eine Woche am Eingang zur Absaroka Range? Zwei Schlafzimmer, drei Bäder, Whirlpool und voll ausgestattete Küche. Außerdem eine Doppelgarage, wir kriegen also den Wagen runter von der Straße.“

      „Zwölfhundert? Zu billig“, spottete er, aber sie googelten den Ort und seine Umgebung, um dann schnell festzustellen, dass die Gegend im Ernstfall keine Fluchtmöglichkeiten bot. Die Lodge lag am Ende einer Sackgasse, und das kam für sie nicht infrage.

      Sie probierten es mit Colorado, wo die Auswahl noch größer war, und bei einigen Orten war es auch der Preis, vor allem dort, wo man ins im Winter schneesichere Hochgebirge kam.

      „Darf ich es mal versuchen?“ fragte sie. „Ich war in dieser Gegend einmal mit meinem, äh… baldigen Ex-Mann. Er hatte auf einem Betriebsfest bei einer Tombola eine Reise nach Aspen gewonnen, zum Ende des Jahres, in dem wir geheiratet hatten. Die Gegend ist verdammt teuer, aber dafür auch wunderschön.“

      Cord gefiel die Idee. Lisa und ihr Mann hatten kurz nach Weihnachten dort in einem Luxushotel gewohnt, mitten in der Stadt. Das wollte Cord nicht, weil man dort leicht den Überblick verlieren konnte, wenn man nach möglichen Verfolgern ausschaute. Also suchten sie nach voll eingerichteten Lodges und Ferienhäusern außerhalb der Stadt.

      „Oh, schau mal! Chalet nennt ihr Europäer das, oder?“ Sie zeigte ihm Fotos von einem massiven, zweistöckigen Palast aus Holz, Glas und Naturstein, mit einer gigantischen Frontscheibe („Die musste man mit einem Hubschrauber anliefern“, sollte der Immobilienmakler wenig später am Telefon so stolz verkünden, als hätte er den Helikopter selbst geflogen.).

      Das Haus schmiegte sich an die steilen Wände eines kleinen Canyons, man hatte einen weiten Blick ins Tal bis hinunter auf die Stadt. Und – man konnte die Garage nach zwei Seiten verlassen, weil ein Wirtschaftsweg vom Haus aus den Wald hinauf führte, breit genug für eine Limousine wie die ihre. Anderthalb Meilen weiter oben kam man auf eine kleine Kreisstraße, auf der man nach Westen oder Osten entkommen konnte, wenn es nötig war.

      Das ganze Anwesen war stark gesichert, was ein weiterer Pluspunkt war. Im Angebot wurde ein Verwalter unten in Aspen genannt, der neue Mieter im Haus erwartete, die Schlüssel übergab und ihnen die Elektrik des Hauses, den Ofen, die moderne Küche und das raffinierte Alarmsystem erklären würde. Der Kasten war sicherer als Fort Knox.

      „Sieben Schlafzimmer, eines für jede Nacht“, scherzte Lisa, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ihre Augen leuchteten. Nun gut, dann war die Sache entschieden.

      Schön, dass er sie ein wenig verwöhnen konnte, sie hatte es verdient, denn die letzten Tage waren alles andere als ein Vergnügen gewesen. Eine Woche dort oben würde nicht nur seine Verletzung auskurieren, sondern auch den Frust und den Stress auflösen, dem sie beide zuletzt ausgesetzt gewesen waren.

      „Es ist schon halb zehn, ob wir den Makler noch anrufen können, ohne unhöflich zu sein?“ Sie taten es, und wie zu erwarten, erreichten sie nur den Anrufbeantworter, der ihnen mitteilte, dass sie sich am nächsten Morgen ab acht Uhr wieder melden konnten. Sie hinterließen ihr Anliegen und kündigten an, wieder anzurufen.

      „Man fährt etwa sechs Stunden“, sagte Cord, „und wir müssten durch Außenbezirke von Denver fahren, eine gute Gelegenheit, um Vorräte und warme Kleidung zu kaufen. Falls wir dann noch Geld dafür haben.“ Er lächelte. Fast viertausend Dollar für eine Woche, das war schon beinahe unsittlich. Aber egal, es gab Wichtigeres, und wenn sie nicht gut auf sich achteten, würden sie ohnehin keine Gelegenheit mehr haben, sein nicht unbeträchtliches Vermögen auszugeben.

      Sie liebten sich, auf die unbequeme und vorsichtige Art, auf die sie es tun mussten, seit die Kugel eines Killers seine rechte Schulter gestreift und die Wunde sich wenig später entzündet hatte.

       Was hat er noch an dir kaputt gemacht außer deinem Rücken, Lisa?

      Die Frage blieb offen. Und als sich ihre Körper voneinander gelöst und sie sich gegenseitig die letzte Zigarette des Abends angezündet hatten, war sie einmal mehr für einen Tag verdrängt worden.

       Haben wir eine gemeinsame Zukunft?

      Es gab eine Zeit, um Fragen zu stellen, und es gab eine Zeit, um Antworten zu geben. Aber beides rückte angesichts ihres Überlebenskampfes, dessen Ende völlig offen war, in den Hintergrund.

      Es hatte alles in Frankfurt begonnen, an einem heißen Tag Ende August, und es schien nicht zwei Wochen, sondern sechs Monate her zu sein. Frankfurt, der Frankfurter Zoo, dachte er noch, bevor ihn der Schlaf endgültig mit sich nahm.

      4 Frankfurt am Main

      Mit einer privaten Detektei, die nur zwei Mitarbeiter beschäftigte, wurde man nicht reich, aber das hatte Cord Hennings von Beginn an gewusst und in Kauf genommen. Zuvor hatte er sieben Jahre lang als Disponent einer Zeitarbeitsfirma geschuftet, gutes Geld verdient, war aber am Ende so ausgelaugt und abgestumpft gewesen, dass er dort kündigte und diese unsichere Art des Broterwerbs einer weiteren Karriere in der Tretmühle vorgezogen hatte.

      „Wenn es dazu ausreicht, uns und die Kinder zu ernähren, bin ich zufrieden.“ Seine Ex-Frau hatte seinen fehlenden Ehrgeiz mit einem verständnislosen Kopfschütteln honoriert. Ihr war das zu wenig.

      Aber da er noch kaum einen Namen in der Branche besaß, musste er sich mit dem begnügen, was der umkämpfte Markt an Brotkrumen für ihn übrig ließ.

      Und das waren Scheidungsfälle, mickrige Betrugsdelikte im Versicherungsbereich, mit geringen Schadenssummen und deshalb auch nur niedrigen Honoraren. Es war ein ruhigerer Job, nicht selten interessant, aber von Zeit zu Zeit auch deprimierend, besonders am Monatsende, wenn die Rechnungen hereinkamen und seine Honorare schneller pulverisierten als er neue Aufträge an Land ziehen konnte.

      Seine Frau hatte eines Tages die Nase voll gehabt von sich türmenden