Der Anrufer schwieg einen Moment, und als er wieder sprach, konnte man den Widerwillen aus seiner Stimme hören.
„Er wird ein Interesse daran haben, dich am Leben zu halten, denn nur dann kann er dich weiterhin melken.“ Jetzt schwang Ekel in seiner Stimme mit. „Pass, auf! Ich leihe dir das Geld, ein allerletztes Mal, das muss dir klar sein. Wenn du auffliegst, dann bin vermutlich auch ich geliefert, und nur deshalb helfe ich dir.“ Er fluchte. „Komm mit diesem Hurenbock ins Reine, egal wie, es kann so nicht weitergehen.“
„Danke, Bill, tausend Dank! Ich kümmere mich darum, versprochen.“
Obwohl die Klimaanlage in seinem Arbeitszimmer auf Hochtouren lief, floss ihm der Schweiß in Sturzbächen aus dem schütteren Haar, und er atmete schwer. „Wo soll ich das Geld abholen? Bei dir zuhause?“
„Gott bewahre! Ich will öffentlich nichts mit dir zu tun haben, bis dieses Ding in trockenen Tüchern ist. Ach was, genau genommen will ich es danach genauso wenig. Seit du angefangen hast, Kinder zu ficken, bist für mich gestorben. Ich schicke dir einen Boten nach Hause, sagen wir, morgen früh, bevor du zur Arbeit fährst.“
„Ich habe morgen Vormittag erst um elf Uhr einen Termin im Oval Office. Der Trottel schläft zum Glück lange. Ich muss gegen neun hier weg.“
„Ich telefoniere wegen des Geldes morgen Abend mit Europa, danach weiß ich mehr. Bis dann.“ Der Anrufer legte auf, ohne auf eine Antwort zu warten.
Michael K. Ashbourne ging zum Fenster. Fünf Prozent Anteil an sechzig Millionen Dollar waren eine Menge Geld. Damit würde er die über ihm aufgezogenen Schatten vertreiben können.
Man konnte sagen: Der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika hatte ein Problem. Oder besser, er hatte mehr als nur ein Problem.
Dass sein einziger Vorgesetzter, der derzeitige Präsident, ein irrlichtender Narr war - geschenkt. Präsidenten kamen und gingen, und er hatte schon drei von ihnen, bis auf ein paar Beulen und Kratzer, unbeschadet überstanden. Alle hatten sie ihre Eigenheiten gehabt. Der eine hatte zum Wohle des Volkes seine sämtlichen Sekretärinnen vernascht, ein anderer hatte ihn sieben Tage die Woche rund um die Uhr auf Trab gehalten, weil er sowjetische Verschwörungen sah wie ein Alkoholiker weiße Mäuse.
Er selbst sah sich als Kalten Krieger alten Schlages, aber ihm war auch ein gewisser Realismus eigen, mit dem er gegebenenfalls verhindern konnte, dass sein Präsident leichtfertige Dinge sagte oder tat, die man später wieder einfangen musste. Er war als hart, aber maßvoll bekannt, und man achtete ihn als das, was er war.
Man hatte ihn geachtet, denn damit würde es bald zu Ende sein, wenn er keine Lösung für seine Probleme fand.
Er ging zu seiner verspiegelten Hausbar, schnitt seinem Gegenüber eine humorlose Grimasse (die dieser erwiderte), und mixte sich einen für die frühe Nachmittagsstunde großzügig bemessenen Drink.
Egal, wie er es drehte, er würde keinem Richter erzählen können, dass er gegen gute Bezahlung minderjährige Mädchen sexuell missbrauchte, und dass er das nur deshalb tat, weil seine Gattin eine frigide alte Kuh war. So etwas zählte nicht in den Augen des Gesetzes.
Sein Gespür für Macht und ihr Gespür für hungrige Talente hatten ihn von ganz weit unten bis ins Weiße Haus getragen, und sie wurde nicht müde zu betonen, welche Rolle sie dabei gespielt hatte.
Ashbourne war jetzt selbst zu einem Problem für die Sicherheit des Landes geworden. Er hatte sich erpressbar gemacht, und seit einiger Zeit wurde er tatsächlich erpresst.
Vor etwa sechs Monaten hatte er in der morgendlichen Post einen braunen Umschlag gefunden, ohne Absender, aber mit ein paar gestochen scharfen Fotos, die ihn mit buchstäblich heruntergelassener Hose über einem nackten Mädchen zeigte, das ganz offensichtlich noch keine fünfzehn Jahre alt war, und das vor Angst oder Schmerzen oder vor beidem weinte.
Und als ob das nicht reichte:
Das Mädchen war dunkelhäutig!
Und das gab dem ganzen Fall noch eine weitere pikante Note, denn er war der breiten Öffentlichkeit als – wenn auch milder - Rassist bekannt.
Flucht ins Ausland, in ein Land ohne Auslieferungsabkommen mit den USA? Nein, er hatte sich im Laufe der letzten Jahrzehnte an einen Status und an einen Lebensstil gewöhnt, der teuer war und der ihm fehlen würde, weil er ihn nicht würde finanzieren können.
Die Presse würde jubeln, wenn sie Wind von dieser Sache bekam. Diese lausigen Lohnschreiber mit ihren vergifteten Griffeln würden sich ein Loch in den Bauch freuen, während sie ihn aus dem Amt heraus (und in den Knast hinein) schrieben.
Nach dieser Story würde man ihn teeren, federn und dann so tief unter Washingtoner Erde vergraben, dass er niemals wieder das Tageslicht erblicken würde.
Er war immer stolz auf seinen kühlen Kopf gewesen, auf seine brillante Fähigkeit zur Analyse komplexer politischer Sachverhalte, auf die sich bereits der vierte Präsident des Landes blind verließ.
Aber hier, in seiner privaten, verzweifelten Lage versagte sein messerscharfer Verstand, die Gedanken daran, wie er aus dieser persönlichen Hölle entkommen konnte, drehten sich immerzu im Kreis, und die Angst fiel in Wellen über ihn her, wann immer sie Lust dazu bekam.
Er würde warten müssen und hoffen, dass er mit einem einzigen schmutzigen Deal seiner selbstverschuldeten Krise entkam. Warten. Untätig warten.
Das war die schlimmste aller Strafen, glaubte er, weil er es noch nicht besser wusste.
3 Chugwater, Wyoming
Sie kam aus dem Bad und warf sich neben ihn auf das übergroße Doppelbett. In den ersten Nächten hatte sie es stets vermieden, sich komplett vor ihm zu entblößen, hatte – ob zum Schlafen oder beim Sex – ein Shirt oder ein Hemd anbehalten. Das war ihm seltsam erschienen, denn er war sicher, dass sie nichts zu verstecken hatte. Sie war im Gegenteil eine bildschöne Frau. Prüderie schied ebenfalls aus, davon hatte er sich schnell überzeugen können.
Anfangs hielt er es nur für eine Marotte und hatte es schon beinahe wieder vergessen. Aber vor drei Tagen hatte er sie umarmt und dabei hatte er durch den Stoff ihrer Bluse eine ganze Reihe von anscheinend verschorften oder vernarbten Stellen auf ihrem Rücken ertastet.
Als er sie erschrocken danach fragte, wich sie aus und murmelte nur halb verständlich etwas davon, dass er das besser ihren Gatten fragen solle, der habe ein ziemlich ungewöhnliches Verständnis von Zärtlichkeiten im Ehebett.
Weiter heran kam er nicht, sie wurde verschlossen und reizbar, als er nachzuhaken versuchte. Eines Tages, sagte sie, wenn sie dann noch zusammen wären, würde sie es ihm erzählen - wenn er es dann noch wissen wollte. Gewarnt von ihrer plötzlichen Schroffheit hatte er aufgegeben, aber die Frage blieb in dem bis heute noch weiten Raum zwischen ihnen stehen.
Immerhin zeigte sie sich ihm inzwischen ganz unbekleidet und er wertete es als gestiegenes Vertrauen. Ihr Rücken wies eine große Zahl an kleineren Brandverletzungen in unterschiedlichen Stadien der Abheilung auf, und man brauchte kein Mediziner zu sein um zu erraten, dass jemand ihren Rücken wiederholt als Aschenbecher benutzt hatte.
Was für ein krankes Stück Scheiße musste man sein, um so etwas erregend zu finden? Und wie verängstigt und mutlos, um es über einen längeren Zeitraum zu ertragen?
Er kannte die Antwort nicht, aber er würde ihr aufmerksam zuhören, wenn sie es ihm eines Tages erklären wollte.
Es war zu einem abendlichen Ritual geworden, zusammen auf dem Bett zu liegen und im Straßenatlas von Rand McNally zu blättern, das nächste Tagesziel festzulegen und dort ein Zimmer in einem Motel zu buchen.
In einem Nest wie Chugwater war das keine große Sache gewesen, dort gab es im Umkreis von zwanzig Meilen nur dieses eine Motel, in dem sie heute abgestiegen waren.
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