Interstate. Robert Lang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Lang
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753184258
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Jahren auf See nicht einen einzigen Cent für seinen Ruhestand zur Seite gelegt hatte. Und das würde sich jetzt auch nicht mehr ändern lassen.

      Sein Arzt hatte ihn bei der letzten Untersuchung skeptisch angeblickt und gesagt, er solle Schluss machen mit dieser Arbeit, dann würde er vielleicht, mit der Hilfe von starken Medikamenten, noch zwei oder drei halbwegs angenehme Jahre haben. Wenn nicht… er musste diesen Satz nicht vollenden.

      Es hatte aus diesem Grund auch nur geringer Überzeugungsarbeit bedurft, ihn dazu zu bewegen, sich auf ein solch krummes Geschäft einzulassen. Er schätzte aus Erfahrung, dass er eine siebzigprozentige Chance hatte, diesen Auftrag erfolgreich auszuführen, und das war Argument genug. Wenn sie ihn erwischten, konnte er zwar im Gefängnis landen; aber angesichts seiner schweren Erkrankung konnte ein guter Anwalt vielleicht Haftverschonung für ihn herausholen. Wo also gab es ein Risiko?

      Er würde für diese Fahrt zweihunderttausend Euro erhalten, und er hatte die Hälfte dieser Summe als Vorauszahlung verlangt, für den Fall, dass etwas ohne sein Verschulden schief ging. Dieses Geld lag jetzt je zur Hälfte in einem Schuhkarton im Keller seines Häuschens und bei einem seiner Cousins in Athen. Letztere Summe war als letzte Heuer und als Abfindung für seine Crew gedacht, und es war wenig genug für die jahrelange schlecht bezahlte Plackerei auf hoher See.

      Nach Varna in Bulgarien waren es etwa neunzig Seemeilen, und da die alte Vanessa nicht mehr als vierzehn Knoten machte, waren es etwa sechseinhalb Stunden Fahrt dorthin.

      Dort, im Schutze der Dunkelheit, würde er das Herzstück seiner Fracht an Bord nehmen, zigtausende Maschinengewehre mit mindestens anderthalb Millionen Schuss Munition, alter Kram aus ausgemusterten Beständen der Armee, wie seine Auftraggeber ihm gesagt hatten. Ihn hatte es zuerst gegruselt bei dieser Vorstellung, aber sie sagten ihm Friss oder Stirb! …und er hatte sich fürs Fressen entschieden. Sterben würde er bald genug.

      Seine Mannschaft bestand aus sechs Filipinos, zwei Griechen und einem senegalesischen Koch.

      Wenn Jannis auf die eine oder andere Art ausschied, würden auch sie sich einen neuen Job suchen müssen. Sein Reeder jammerte seit Jahren darüber, dass dieser alte Kahn ihn nur Geld koste und dass er ihn bald stilllegen müsse. Das war in auffälliger Weise immer nur dann ein Thema, wenn Jannis wegen einer höheren Bezahlung für sich und die Crew vorstellig wurde.

      Dieser blöde Hund hatte fünf Schiffe im Mittelmeer herumschippern, und die sahen allesamt nicht besser aus als seine Vanessa. Aber ihm gehörten eine halbe Ägäis-Insel, zwei Häuser, eine luxuriöse Wohnung mitten in Athen, und er und seine Frau fuhren Porsche und Mercedes. Wahrlich ein armer Teufel!

      Um neun Uhr ablegen, um vier Uhr morgens mit dem Beladen in Varna beginnen; dies würde gut drei Stunden dauern. Er konnte also kurz nach Sonnenaufgang schon wieder auf hoher See sein. Das klang gut, allerdings stand dem noch der bulgarische Zoll im Wege. Er kannte die dortigen Jungs, sie waren noch ein wenig gieriger als die in Rumänien, sie mussten allerdings dieses Mal auch noch gründlicher wegsehen als sonst. Es würde teuer werden.

      Er würde falsche Papiere für diese Ladung mitführen, aber die würden keiner echten Überprüfung standhalten. Sie waren auch nur als Provisorium gedacht, damit er es bis nach Italien schaffte. Dort, vor der Küste Siziliens, würde ein Schnellboot zu ihm hinauskommen und ihn mit den endgültigen Dokumenten ausstatten; mit echten amerikanischen Frachtbriefen, ausgestellt von der Behörde eines Außenhandelsbeauftragten und mit vielen schönen Stempeln versehen, die dem Inhaber der Papiere nahezu freie Fahrt auf allen Weltmeeren und mit welcher Ladung auch immer ermöglichten. Außerdem sollte er ein Sternenbanner erhalten, mit dem er nach Durchfahren der Straße von Gibraltar unter neuer Flagge fahren würde.

      Der Kapitän wollte zunächst weiter hinaus auf den Atlantik fahren als es aus navigatorischen Gründen nötig war. Je weiter er von der Küste weg blieb, desto unwahrscheinlicher war es, dass er angehalten und kontrolliert wurde. Auch die amerikanische Beflaggung war sinnvoll. Sein Schiff war damit amerikanisches Hoheitsgebiet und jeder mögliche Kontrolleur tat besser daran, dies zur Kenntnis zu nehmen. Die Amis waren schnell verschnupft, wenn ihre Schiffe belästigt wurden. Jeder wusste das und deshalb geschah es auch selten. Er würde trotzdem zur Sicherheit seine Ortungssysteme ausschalten, sobald er auf dem Atlantik war.

      Der Kapitän stellte sein Geschirr in den Abguss und kletterte die Treppe hinauf zur Brücke. Selbst das war schwer genug. Es war Zeit, der Wahrheit ins Auge zu sehen und nach dieser Fahrt endgültig das Handtuch zu werfen. Er hatte genug von alledem, und sein hinfälliger Körper verzieh ihm buchstäblich nichts mehr.

      Seine Instrumente zeigten ihm an, dass mit dem Schiff alles in Ordnung war, sie konnten ablegen. Zehn Stunden noch, dann würde er wissen, ob und wie der Hase lief. Varna konnte alles vermasseln, denn ohne die dortige Ladung würde er gar nicht ablegen müssen, es lohnte nicht die Mühe und den weiten Weg. Er dachte an Maria, seine Frau, betete kurz für sie und gab dann Befehl, die Leinen loszumachen.

      3 Berlin

      Am Frankfurter Hauptbahnhof war die Hölle los. Wegen der großen Hitze spielten die Klimaanlagen der Fernzüge reihenweise verrückt, etliche Züge fielen aus, und das verursachte auf den Bahnsteigen ein großes Gedränge und eine ebenso große Aggressivität unter den Reisenden. Lautsprecherdurchsagen baten (erfolglos) um Verständnis und leierten ununterbrochen Ersatzverbindungen herunter, sofern denn welche vorhanden waren. Es wurde geschimpft, geflucht und gerempelt. Dieses Wetter machte die Menschen fertig, die Gemütslage der Gestrandeten war explosiv.

      Cord hastete die Gleise entlang, ohne zu wissen, was er eigentlich wollte. Es sollte ein Zug sein, der ihn weit weg von hier brachte; das war alles, die Richtung war unwichtig. Es war kurz vor vier Uhr nachmittags, ein ICE stand an Gleis 9 bereit, er sollte laut Anzeige in ein paar Minuten nach Berlin abfahren, aber es war unklar, ob er es auch tatsächlich tun würde.

      Er war von zu Hause aus mit Aktenkoffer und Reisetasche zur nächstgelegenen Straßenbahnhaltestelle gehastet und zum Bahnhof gefahren. Er hatte sich immer wieder umgedreht, um zu sehen, ob man ihn verfolgte. Eine junge Frau, die nach ihm die Bahn betreten hatte (und die ihn im Verlauf der zehnminütigen Fahrt nicht aus den Augen ließ), fiel ihm nicht auf. Sie stieg gemeinsam mit ihm aus und folgte ihm im Abstand von einigen Metern.

      Der Detektiv sah einen Schaffner, der offenbar zu diesem Zug gehörte. „Fahren Sie oder fahren Sie nicht?“ Der Mann zuckte die Achseln und blickte auf die Uhr. „Bisher sieht es noch gut aus, in drei Minuten werden wir’s wissen.“

      „Ich habe noch keinen Fahrschein. Ist es okay, wenn ich trotzdem einsteige?“ Der Zugbegleiter hatte nichts dagegen. „Wenn’s nichts Schlimmeres ist. Bleiben Sie in der Nähe des Bordbistros, ich komme dann zu Ihnen.“

      Cord ging zur Mitte des Zuges und stieg ein. Die Gänge waren voll mit Passagieren, denen es nicht mehr gelungen war, einen Sitzplatz zu bekommen. Er würde ein Ticket für die erste Klasse lösen, um sich ein solches Schicksal zu ersparen; er musste die vierstündige Fahrt nutzen, an seinem neuen Notebook zu arbeiten. Es gab eine Menge zu tun. Und, zum Teufel, er war im Besitz von umgerechnet etwa achtzigtausend Euro Bargeld, und er hatte Bankobligationen im Wert von mehreren Millionen Dollar. Er konnte den ganzen Waggon kaufen, wenn er es wollte.

      Der Zug fuhr an, und natürlich sah Cord nicht die junge Frau aus der Straßenbahn, die auf seiner Höhe am Gleis stand, schon beim Schließen der Türen ihr Handy zückte und hastig eine Nummer wählte. Cord atmete durch und wartete auf den Zugbegleiter.

      Der ICE 596 fuhr von Frankfurt nach Berlin und bot sechs Zwischenstopps, bei denen er hätte aussteigen können. Aber nachdem er sein Ticket bis zur Endstation nachgelöst hatte und in einem ansonsten leeren Erste-Klasse-Abteil saß, verlor er bald jedes Zeitgefühl. Zu seinem Glück ließ sich das Lenovo-Notebook des ermordeten Bulgaren starten, und es enthielt auch keine erkennbaren Sperren oder Passwörter; er benötigte nur dringend ein Akkukabel, sobald er irgendwo ankam.

      Es dauerte allein anderthalb Stunden, bis er seine sämtlichen Passwörter zurückgesetzt und seine Accounts durch schwer zu erratende neue Kennwörter und Sicherheitsabfragen nahezu wasserdicht gemacht hatte. Danach