Interstate. Robert Lang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Lang
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753184258
Скачать книгу
Vorsprung hatte – das würde sich in weniger als zwei Stunden zeigen.

      Er hatte vor dem Check-In bei Hertz einen Wagen bestellt, einen Ford Taurus mit allen Meilen inklusive und mit ausreichendem Versicherungsschutz. Das war teuer, weil er im allerletzten Moment gebucht hatte, und weil in den Staaten erst in einer Woche Labour Day war und mit ihm der Schlusspunkt der diesjährigen Feriensaison.

      Auf der Zollerklärung, die er während des Fluges ausfüllte, gab er an, dass er die meldepflichtige Höchstgrenze von zehntausend Dollar in bar unterschritt. Aber selbst, wenn sie ihn filzten und fragten, hatte er an sich wenig zu befürchten. Seine Airline hatte den amerikanischen Behörden bereits vorab mitgeteilt, dass dieser Reisende mehr als acht Wochen im Land bleiben wollte, was durch sein Rückflugticket zu belegen war. Er würde sagen, dass er Kreditkarten nicht mochte und nur dann einsetzte, wenn es gar nicht anders ging. Das war vielleicht ein bisschen schrullig, aber letztlich seine Sache und zumindest nicht ganz illegal. Er würde sich doof stellen und das Beste hoffen.

      Er hatte keine feste Route im Sinn, wollte zunächst auf dem schnellsten Weg raus aus Miami, nach Norden, die erste Tankfüllung leerfahren und dann schauen, worauf es hinaus lief. Er kannte den größten Teil der USA, etliche Teile davon sehr gut. Den Südwesten mochte er am meisten, all diese leeren Straßen durch ebenso leere Wüstenlandschaften waren immer eine Art Wahlheimat für ihn gewesen. Das Radio eingeschaltet, oder eine CD mit Rockmusik in den Player geschoben, und er konnte endlos fahren, sich die Gegend ansehen, träumen, meditieren, ja, er hatte schon Tage gehabt, an denen er sieben- oder achthundert Meilen gefahren war, und es machte ihm nicht das Geringste aus; er merkte es erst, wenn er schließlich bei einem Motel, das er Stunden zuvor online gebucht hatte, ankam und sich mit steifen Knochen aus dem Fahrersitz schälen musste.

      Der Westen war verlockend. Er konnte nicht ewig weglaufen, aber im Augenblick war es das Beste, in Bewegung zu bleiben, bis ihm etwas Vernünftigeres einfiel. In einem Kriminalfilm hatte er einmal den Satz gehört, nach dem die Mafia niemals etwas vergaß. Das klang deprimierend, und er hoffte mit wenig Überzeugung, dass seine spezielle Mafia eine Ausnahme für ihn machte und ihn irgendwann von ihrer Liste nahm.

      Nun, sie kannten ihn schon jetzt sehr gut, nachdem sie – vermutlich - seinen Computer auseinandergeschraubt hatten. Er durfte sich keine Illusionen machen, denn er stand mit dem Rücken zur Wand.

      Sie konnten schon auf ihn warten, wenn er gelandet war. In Frankfurt hatte er sich mit eigenen Augen davon überzeugen müssen, dass diese Leute brutal und völlig humorlos agierten, wenn sie etwas wollten oder ihnen etwas gegen den Strich ging. Besseres als eine Kugel in den Kopf konnte er von ihnen nicht erwarten, wer immer sie waren.

      Die letzten Getränke und Erfrischungstücher auf diesem Flug wurden gereicht und er schaltete das Notebook aus. Unten am Boden tauchte die Küstenlinie Floridas auf, der Pilot hatte bereits den Sinkflug eingeleitet, in zwanzig Minuten würden sie landen.

      Cord Hennings schloss die Augen und wiederholte lautlos und mehrmals den Satz: Ich werde zu meinen Kindern zurückkehren, denn ich werde diese Sache überleben…

      *

      Nach der Landung ging alles sehr schnell. An den Einwanderungsbehörden kam er beinahe als Erster vorbei und sie ließen ihn anstandslos passieren. Kein Wunder, er war weiß, nicht vorbestraft, er war schon etliche Male in den Staaten gewesen, und er hatte sich dabei nie etwas zuschulden kommen lassen. Der Officer fragte lediglich „Tourist oder Geschäfte?“, und er sagte, er sei im Urlaub. Es war ein Tanz auf der Rasierklinge. Denn wenn sie seinen Aktenkoffer mit den sechs Millionen öffneten, wäre er fällig.

      Spannend wurde es nach der Gepäckausgabe, als er am Zoll vorbei musste. Einiges von seinem Bargeld trug er am Körper, aber einen größeren Betrag (zusammen etwa fünfunddreißigtausend Euro und Franken) hatte er in seiner Reisetasche verstaut und es würde Fragen aufwerfen, wenn man sie fand.

      Er hatte sich eine ziemlich lahme Erklärung ausgedacht; er sei Immobilienmakler und von Schweizer Geschäftsleuten darum gebeten worden, sich in Florida einige Objekte anzuschauen, weil sie auf der Suche nach einem Alterswohnsitz waren. Diese Leute trauten den Banken seit dem Finanzcrash von 2008 nicht mehr, sie machten sich Sorgen um ihr Geld und hatten ihm Bargeld mitgegeben, damit er für sie eine Anzahlung an einen eventuellen Verkäufer tätigen konnte.

      Lahm. Verdammt lahm!

      Sie mussten ihn nur nach Namen und Adresse dieser Leute fragen und schon stünde er splitternackt im warmen Regen Floridas. Außerdem waren da noch die Wertpapiere; wollte er vielleicht ganz Disneyland kaufen?

      Am Band gehörte seine Reisetasche zu den ersten Gepäckstücken, die ausgegeben wurden. Er wartete, bis ihm eine kleine Gruppe von sichtlich angeheiterten Franzosen auffiel, die offenbar in Paris zugestiegen waren und sich auf dem Zehnstundenflug von innen angefeuchtet hatten. Auf dem Weg zum Zoll lachten sie und redeten lautstark durcheinander.

      Instinktiv reihte Cord sich direkt hinter ihnen ein, denn er wusste, dass die Zöllner hierzulande nur wenig Spaß vertrugen. Wer übermütig wurde, dem stutzten sie gerne einmal die Flügel. Und so kam es auch zu Cords großer Erleichterung. Die Gruppe wurde auf der Stelle an einen großen Tisch an der Seite der Halle beordert, wo sie ihre Koffer aufmachen mussten. Drei der vier Beamten machten sich über das Gepäck her, der einzig Verbliebene winkte Cord ungeduldig durch. Es war kurz vor sieben Uhr abends, als er mit Reisetasche und Aktenkoffer den Shuttlebus zum Rental Car Center des Flughafens bestieg, der für diese Strecke nur fünf Minuten brauchte.

      Wenn alles gutging, würde er in einer halben Stunde am Steuer seines Mietwagens sitzen und Miami im Rückspiegel kleiner werden und bald darauf ganz verschwinden sehen.

      Er hatte seit der Landung des Flugzeuges nicht mehr an seine Verfolger gedacht, war zu sehr auf die Einreise fokussiert gewesen. Jetzt, als er sich dem Schalterraum von Hertz näherte, kam die Angst zurück. Er musste machen, dass er von hier weg kam.

      Wie üblich, wollte ihm die Frau am Counter alle möglichen Zusatzversicherungen verkaufen, und er ließ es geschehen, weil sie hartnäckig war und er endlich wegwollte. Versicherungen! Er wusste nicht einmal, ob er morgen früh noch leben würde. Endlich hatte er den Wagenschlüssel, und ein paar Minuten später stellte er die Rückspiegel seines neuen Wagens ein - er würde sie mehr als sonst benötigen.

      Bei Google Maps suchte und fand er den schnellsten Weg aus der Stadt hinaus. Er wählte die I-95, die in einiger Entfernung zur Küste bis hinauf nach Maine und zur kanadischen Grenze führte.

      Nach vier Stunden zügiger (aber nicht halsbrecherischer) Fahrt näherte er sich St. Augustine, einem Touristenstädtchen kurz vor Jacksonville im Nordosten von Florida; dort verließ er den Highway. Er hatte den Tank seines Wagens zu drei Vierteln leergefahren, und außerdem hatte er Hunger.

      Er tankte nach, parkte und ging die paar Schritte hinüber zu einem Burger King; es war sein erstes Junkfood seit Wochen. Weil die Kinder dieses Zeug nicht essen sollten, hatten sie stets einen riesengroßen Bogen um jeden McDonalds gemacht, und damit waren sie gut gefahren; die Zwerge waren schlank und fit. Der Tag, an dem sie nach Big Macs süchtig wurden, würde unvermeidlich kommen; die Ansteckung würde über die Schule erfolgen. Aber man konnte diesen Tag so lange hinausschieben, wie es ging.

      *

      „Er ist uns durch die Lappen gegangen, aber wir haben den Wagen auf dem Schirm, der ist mit GPS zu orten. Das wird uns bei der Suche helfen. Äh…Boss…ich hab das Mäuschen bei Hertz mit hundert Mücken schmieren müssen; die würde ich gerne wiederhaben.“ – „Setz‘ sie auf die Spesenrechnung. Wohin ist dieser Scheißkerl unterwegs?“

      „Er ist auf der I-95 in Richtung Norden unterwegs und inzwischen gut dreihundert Meilen gefahren.“

      „Das hatte ich vermutet. Er wäre bescheuert, wenn er auf die Keys führe. Das ist eine Sackgasse, aus der er im Ernstfall nicht mehr rauskäme. Bleibt an ihm dran. Ich will ein stündliches Update.“

      Bis etwa zehn Uhr an diesem Abend studierte ihr „Mäuschen“ bei Hertz den Kurs des