»Wir können auch nur ein Schwert benutzen, um uns zu verteidigen, warum soll euch mehr gestattet sein als uns?«
Neid. Ein weiterer Grund, die Magie zu hassen. Kacey schloss kurz die Augen, musste sich sammeln. Es war völlig surreal, was hier geschah, er konnte es nicht begreifen. Und doch wusste er, dass der Fehler bei ihm lag, denn in einer so heiklen Situation hätte er nicht um mehr Freiheiten für seinesgleichen bitten dürfen, das hatte ihren Gegnern nur noch mehr Brennholz für Argwohn und absurde Geschichten und Ängste geliefert.
Aber was für eine Wahl hatte er, wenn er seine Schule schützen wollte?
Irgendwo hörte er jemanden zu einem anderen sagen: »Und am Ende tritt er die Wahl zum Kaiser an. Stell dir das mal vor, erst soll in Nohva ein Hexenprinz auf den Thron, dann wollen die Magier das Kaiserreich übernehmen.«
»Das kann er doch nicht, oder?«
»Jeder darf sich zur Wahl stellen.«
»Aber nur, wer die Gesetze achtet.«
»Na ja, der ist doch auch ein Prinz, Sohn des Kaisers, viele schätzen ihn. Warts nur ab, in ein paar Jahren haben die Magier uns ganz übernommen, dann gibt’s uns nicht mehr.«
Empörtes Einatmen folgte.
Kacey wünschte, er hätte das nicht mit angehört, Zweifel und Missgunst ihm gegenüber gingen ihm immer besonders nahe, da er nichts mehr wollte, als gemocht zu werden.
Er machte eine beschwichtigende Geste. »Ich versichere, dass wir lediglich um unsere Sicherheit besorgt sind. Wir wollen euch allen weiterhin dienen…«
»Brauchen wir sie denn wirklich, geschätzter Rat?«, rief eine junge Lady zur Empore der Kaiserin hinauf. »Ist es vielleicht nicht sogar Zeit, diese Akademie dicht zu machen? Dann kann sie nicht mehr angegriffen werden!«
Der Rat ignorierte Zwischenrufen, solange er mit der Kaiserin flüsterte. Doch ihre Worten fanden weitere Zustimmung. Und plötzlich stand die Frage im Raum, ob die Stadt die Magier überhaupt brauchte.
»Wir wollen euch dienen!«, rief Kacey und spürte doch, wie ihm die Zuhörer entglitten. »Wir wollen euch heilen, eure Ernten retten, eure Kinder sicher zur Welt bringen! Um euch zu dienen, brauchen wir aber auch euren Schutz und eure Zusicherung, dass wir nicht hängen, sollten wir uns einmal selbst verteidigen müssen!«
»Wer stirbt, wie viel Ernte es gibt und wessen Kind lebt oder nicht, bleibt allein den Göttern überlassen«, konterte der Mann mit der strengen Miene. »Das ist nun mal das Gesetz der Natur!«
Und so etwas von einem Elkanasai, der ohne die Magie wohl kaum sein Alter erreicht hätte – oder einfach Glück gehabt hatte.
»Verzeiht«, sagte Kacey beherrscht und kummervoll zu ihm, »aber das würdet Ihr bestimmt nicht sagen, hättet Ihr eine Frau oder ein Kind bei der Niederkunft verloren. Oder andere Angehörige, die zu früh aus der Welt schieden, weil die Pest sie holte.«
Nun erntete er laute Zustimmung, denn viele im Raum hatten gewiss schon einmal von der Magie profitiert und dank ihrer ein Familienmitglied aus dem Griff des Todes gerettet.
Er konnte nicht fassen, was er da hörte, wie kalt und ignorant diese Bürger sein konnten. Ein wenig begriff er Riaths Wut, er hatte das Gefühl, mit bloßer Vernunft und Logik gegen Wände zu laufen, oder gar noch mehr Misstrauen zu wecken.
Der Rat und die Kaiserin hatten zu ende beratschlagt. Als Ari ihre Hand zu einer beruhigenden Geste hob, verstummten alle Anwesend schlagartig. Als hätte das ganze Chaos nie stattgefunden.
»Danke, Oberster Magister Kacey«, sagte die Kaiserin mit ihrer samtenen Stimme ruhig zu ihm und bedeutete ihm, sich zu setzen.
Kacey strich die weite Toga glatt und nahm Platz.
Ari übernahm das Wort. »Was die Frage angeht, ob wir die Magier brauchen oder nicht, lautet die Antwort natürlich ganz klar Ja, dies kann ich bereits verkünden, liebe Anwesenden. Denn was wären wir ohne die Magie, sie ist Teil dieser Kultur, sie brachte uns den Fortschritt und sie sorgt für unsere Gesundheit und dafür, dass wir nicht Hunger leiden.« Sie ließ die Worte wirken, und Kacey sah sich aufmerksam um, entdeckte missgünstig verzogene Münder, aber hörte keinen Einspruch, denn Ari sagte die schlichte Wahrheit, ohne Magie lebte das Kaiserreich nicht.
Dann fuhr sie fort: »Und natürlich brauchen unsere Magier einen Ort, an dem sie leben und ihre Fähigkeiten studieren können. Einen Ort, an dem sie sicher sind. Es ist kein Gefängnis und das soll es auch nicht sein, es soll eine Zuflucht sein.«
Aber das war sie nicht mehr, dachte Kacey bitter, er fühlte sich dort selbst nicht mehr sicher.
Ari sah ihn an, ihr Blick war streng. »Dies berücksichtigend, gestatten wir das von Euch heraufbeschworene Kraftfeld.«
Er konnte seinen Ohren kaum trauen, blinzelte, bevor er begriff. »Danke, Eure Majestät«, brachte er hervor und wandte sich mit einem erleichterten Auflachen an seine Kollegen.
»Doch«, sprach Ari weiter, und obwohl ihre Miene streng wirkte, sah er auch das Mitgefühl und die unausgesprochene Entschuldigung in ihren sanften Augen, »habt Ihr, Oberster Magister, Eure Position ausgenutzt, um Schüler dazu zu bringen, ein Verbot zu missachten.«
Er fühlte, wie seine Freude dumpfer Leere wich, sein Gesicht wurde ernst.
»Du hast ohne unsere Erlaubnis«, fuhr sie im vertrauterem Tonfall fort, »und ohne unseren Rat gehandelt. Obgleich wir die Dringlichkeit deines Vorgehens verstehen und deine Ehrlichkeit schätzen. Dennoch müssen wir alle Fakten berücksichtigten, und du hast etwas Verbotenes getan, wenn auch in guter Absicht. Wir verhängen eine Geldstrafe, die Summe wird vom Rat aufgesetzt und schriftlich an dich übermittelt.«
Glücklicherweise war Kacey durch seine Bücher und Forschungen recht wohlhabend, und Geld bedeutete ihm ohnehin nichts, aber noch glücklicher konnte er sich schätzen, dass das Kaiserreich ein zivilisierter Ort war, denn in anderen Ländern hätte man ihn wohl zu dreißig Peitschenhieben verurteilt. Oder einem halben Jahr Zwangsarbeit.
Er legte eine Hand auf seine Brust und neigte dankbar den Kopf vor der Kaiserin und dem Rat, der aus vier alten Greises mit kleinen, verschlagenen Augen bestand. Ihm war wohl bewusst, dass er die milde Strafe seiner Stiefmutter zu verdanken hatte.
»Über deinen Antrag berät der Rat mit dem Kaiser nach seiner Rückkehr.« Ari musste wieder eine Hand heben, weil Zwischenrufe laut wurden. Sie ebbten sofort wieder ab, wie Mäuse, die sich im Stroh versteckten, wenn sich die Katze noch einmal umdrehte. »Es ist ein heikles Thema, das ist uns allen bewusst, der Rat und der Kaiser werden sich darüber viele Gedanken machen und alle Sichtweisen in Erwägung ziehen, liebe Anwesenden. Ich appelliere aber noch einmal an die Menschlichkeit, wir wollen uns alle sicher fühlen, und nach allem, was die Magier seit Jahrhunderten für uns tun, sollten wir ihnen weiterhin Respekt zollen, so sehr ihre Fähigkeiten den ein oder anderen auch das Fürchten lehren. Wir sind alle gleich und wir haben alle ein Recht auf Unterstützung und Verständnis.« Sie winkte ab, bevor jemand Einwand erhob. »Diese Angelegenheit ist vertagt. Ashen, nächster Tagespunkt!«
Ashen, des Kaisers fleißiger Schreiberling, hakte mit einer Schreibfeder einen Punkt auf seiner Liste ab und las dann vor: »Nächster Punkt: Steuererhöhung für Politiker zu Gunsten der Gutsbesitzer.«
Der Tumult, der daraufhin losbrach, erweckte den Glauben, die Kaiserhin hätte verkündet, das Balg eines Dämons zu erwarten und das Kaiserreich der Unterwelt auszuliefern.
Kacey schweifte gedanklich ab und war nur noch körperlich anwesend. Er griff zu Feder und Tinte und kritzelte unleserlich die Skizze eines überfälligen Briefes auf die Rückseite seiner Notizen.
Er wusste nicht, ob er ihn abschicken würde, doch der Wille dazu war seit Beginn der Versammlung deutlich gewachsen. Er hatte sich selten so allein und machtlos gefühlt.
Nicht einmal als Sklave.