Was soll´s, dachte er bei sich, er umgab sich gern mit schmucken Dingen, mit Prunk und allem was extravagant war oder glitzerte, aber es würde ihn nicht umbringen, ohne all das zu leben.
Obwohl er es vermissen würde, das gab er ehrlich zu. Nachdem er seine Jugend nur mit dem Nötigsten verbracht hatte, sehnte er sich nun umso mehr nach all den Dingen, die ihm verwehrt gewesen waren. Abgesehen von Nähe zu lebendigen Wesen war das nun mal auch goldener Schmuck, Edelsteine, Seide, Samt und Damast. Oh und natürlich edler Wein und nahrhaftes Essen.
Und von letzterem hatte er an diesem Tag wenig zu sich genommen. Als er sich also etwas schwach fühlte, schob er es auf die Erschöpfung und den Mangel an Essen und Trinken.
Er zog sich gegen Abend, als das letzte Sonnenlicht verblasste, in seine mit dunklen, edlen Kirschbaumholzmöbel eingerichteten Räume zurück. Im Empfangszimmer saß noch eine Studentin und sortierte seine Unteralgen für den nächsten Tag.
Ardor hatte ihm ein Tablett mit Essen bringen lassen, dann hatte Kacey den großen Mann mit der Narbe über dem rechten Auge und dem polierten Brustpanzer für den Rest des Tages fortgeschickt, doch wie er seinen übereifrigen Leibwächter kannte, blieb dieser sicher in der Nähe und abrufbereit. Ardor war noch immer ein klein wenig vernarrt in Kacey und dementsprechend ein äußerst ambitionierter Leibwächter. Vielleicht der treuste Mann im ganzen Reich, zumindest würde Kacey sein Leben immer blind in seine Hände legen. Dennoch konnte er dessen Gefühle nicht erwidern.
Nein, stattdessen verliebte er sich in Männer, die zwielichtig und undurchschaubar waren.
Kacey ließ denn Abend über seinen Forschungen ausklingen und schrieb ein paar Seiten über das Alptraumfeld, das er beschworen hatte, auch wenn er sich sicher war, dass er diese Schriften niemals veröffentlichen würde. Doch er wäre kein Magister, würde er nicht jeden seiner Handgriffe niederschreiben. Er gab zu, dass er auf seine Arbeit stolz war.
Er hatte keine Lust, ins Bett zu gehen und sich herumzuwälzen, während seine Gedanken um Riath oder Xaith, und im schlimmsten Fall um beide kreisten, also blieb er wach, solange er konnte, bis er zu müde sein würde, um überhaupt noch an irgendetwas denken zu können.
Er spürte die Übelkeit urplötzlich, sie kroch ohne Vorwarnung seine Brust hinauf. Instinktiv legte er die Feder nieder und griff zu seinem rubinbesetzten Kelch, weil er das schlechte Gefühl einfach hinunterspülen wollte. Erst da bemerkte er, dass seine Hand stark zitterte. Stirnrunzelnd blickte er auf seine Finger und zog sie langsam zurück, um sie inspizieren zu können.
Das Schwächegefühl in seinen Armen und Beinen wurde stärker und wanderte in seinen Kopf, innerhalb von wegen Herzschlägen brach ihm der Schwindel aus. Kalter Schweiß drang aus seinen Poren, die Übelkeit kroch ihm bis in die Kehle und seine Brust wurde eng.
Die Erschöpfung, dachte er. Vermutlich war es an der Zeit, sich einfach ins Bett zu legen und zu schlafen.
Sein Teller war nur halb aufgegessen, worüber er nun froh war. Vermutlich war das Essen daran schuld, dass ihm übel geworden war. Nachdem er den ganzen Tag wie ein Spatz gegessen hatte, hätte er am Abend keine halbe Gans verspeisen sollen.
Ruhe und Entspannung würden ihm gewiss helfen, sich besser zu fühlen, also verschloss er das Tintenfässchen, steckte die Schreibfeder in ihren Halter und stand auf.
In dem Moment, als er die Knie durchstreckte, spürte er einen Druck im Kopf und einen Hammerschlag in seiner Brust, der ihn beinahe zu Boden stürzen ließ. Keuchend hielt er sich an der Tischkante fest. Die Welt verschwamm, er blinzelte, das Zimmer wurde wieder klar, dann noch klarer … zu klar… Kacey petzte die Augen zusammen, die Kerze auf seinem Tisch war auf einmal zu hell, der Raum wirkte, als sähe er ihn aus fremden Pupillen. Eine seltsame Sicht stellte sich ein, als dehnte sich das dunkle Arbeitszimmer aus. Er nahm Dinge wahr, die er noch nie gesehen hatte. Die einzelnen Fasern des Teppichs, die feinen Risse im Leder der Buchrücken, das Schwitzen des Kerzenwachses. Er konnte die toten, schwarzen Auren des Holzes der Möbel erkennen, die kalt und trostlos alles im Raum umgaben.
Er wusste sofort, dass dies nichts mit Erschöpfung zu tun hatte, und für einen Moment befürchtete er, jemand hätte sein Essen vergiftet.
Doch dann brüllte etwas in ihm, drängte nach draußen, drängte in seinen Kopf. Krallen bohrten sich in seinen Verstand, er konnte es spüren, wie heiße Dolche in seinem Schädel. Er riss den Mund zum Schrei auf, doch es kam nichts heraus, nur ein ersticktes Keuchen.
Etwas kitzelte seine Wange und er wischte es instinktiv fort, spürte warme Feuchtigkeit an seinen Fingerspitzen und blickte verwirrt auf seine Finger. Zuerst verstand er nicht, was er sah, er verrieb grübelnd die Flüssigkeit, bis ihm bewusstwurde, dass es sich dabei um dunkelrot schimmerndes Blut handelte, das regelrecht wie ein flüssiger Rubin auf seiner weißen Haut leuchtete.
Sein Herz erlitt einen kleinen Aussetzer, er war zu geschockt, um zu begreifen, erst als ein Bluttropfen unter ihm auf einer Pergamentseite landete und sich langsam wie eine öffnende Rosenblüte ausbreitete, begriff er, dass sein Gesicht blutete.
Beunruhigt sah er sich um, entdeckte den Silberspiegel an der Wand und stürzte darauf zu. Dass er seinen Stuhl dabei umriss und er polternd zu Boden fiel, war ihm gleich, er bemerkte es nicht einmal.
Nach vorne stolpernd fing er sich links und rechts neben dem winzigen Spiegel mit den Händen an der Wand ab, hinterließ einen roten Fleck wegen des Blutes an seiner Hand. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken. Er erblickte sich selbst, ohne jeden Zweifel, das war sein zartes Gesicht, seine goldenen, mittellangen Haare, sein Stirnreif auf der kleinen Stirn, seine Stupsnase, seine geschwungenen, einladenden Lippen, seine langen Wimpern, das schmale Kinn, der schlanke Hals. Nur seine Augen waren ein Abbild skurrilen Grauens. Um die schwarzen, geweiteten Pupillen flammte ein goldener Kreis, ebenso umrandete ein weiterer goldener Schimmer seine eisblauen Iriden. Doch was ihm am Meisten den Atem raubte waren die blutigen Tränen, die sich wasserfallartig über seine hohen Wangenknochen ergossen hatten und von seinem Kinn tropften.
Rote Tupfer landeten auf dem weißen, hochgeschlossenen Stoff seiner Robe und breiteten sich zu großen, dunklen Kreisen aus.
Kacey erschrak vor sich selbst, zuckte zurück, entfernte sich von dem Spiegel, als hätte er darin einen Dämon erblickt.
Er wusste, was mit ihm passierte. Und er hatte Angst, dass er nicht stark genug sein würde.
Taumelnd wanderte er durch sein Arbeitszimmer, stieß mit den Schultern gegen Bücherregale, riss Stühle um, fegte Dokumente vom Tisch, während er sich zur Tür voran arbeitete.
Er schaffte es bis ins Schlafzimmer, dann überkam ihn eine neue Welle. Wieder ein Schlag von innen gegen sein Brustbein. Es war, als ob Knochen barsten. Er schnappte nach Luft, stolperte vorwärts und hielt sich an der geschnitzten Säule des Bettgestells aufrecht.
»Magister, geht es Euch gut?« Die junge Studentin erhob sich im Vorzimmer aus ihrem Stuhl, Kacey konnte ihre Schritte hören.
»Nein!«, rief er und streckte die Hand aus. Die Tür flog zu, obwohl er nicht einmal in ihrer Nähe gewesen war.
Er hörte einen erschrockenen Aufschrei.
Selbst verwundert blickte er auf seine ausgestreckte Hand, als erkenne er sie nicht wieder.
Die Krallen griffen nach seinem Verstand, der Schmerz raubte ihm die Sicht.
»Magister?« Die Studentin klang ängstlich und besorgt zugleich.
»Ich bin… unpässlich«, presste er hervor und stolperte zur Tür, während er sich zwei Finger in die Schläfen drückte. »Verzeih, Moonie, ich… ich brauche etwas Schlaf. Komm morgen wieder.«
Stille. Kacey erreichte die Tür, schloss sie ab und lehnte