Mak hatte eine Schlange im Maul, sie bewegte sich nicht mehr, und zog sich in den Schatten eines kantigen Felsen zurück, um sie in aller Ruhe zu zerfleischen. Riath hatte nie erlebt, dass einer seiner Schakale von einem anderen Tier gebissen oder gestochen worden war, selbst als Welpen waren sie ungeheuer schlau und treu gewesen, weshalb er erst auf die Idee gekommen war, sie als Boten einzusetzen. Wenn sie nicht gesehen werden wollten, wurden sie auch nicht gesehen.
Riath ging langsam zum Rand der Klippe, braunes Gestein bröselte und rieselte hinab in die Tiefe, plätscherte ins weit entfernte, stille Wasser.
Ob dort unten gefräßige Alligatoren lauerten? Wasserschlangen? Drachen?
Heute war ein schwermütiger Tag, bereits nach dem Aufwachen hatte Riath sich in Grübeleien verloren. Vergangenes ließ ihn nicht los. Manchmal war es genau wie in den Jahren kurz nach dem Tod seines Vaters, als er dieser haltlose, verwirrte Junge gewesen war, der nicht wusste, was er eigentlich wollte und wohin sein Weg ihn führte. In gewisser Weise wusste er es immer noch nicht, er folgte einfach den Pfaden, die sich ihm boten, und jagte denen hinterher, die ihm Böses wollten, ohne Gnade, ohne Rücksicht auf Verluste. Was sollte er auch sonst tun, es kam gar nicht in Frage, dass er einen von ihnen verschonen würde. So war er einfach nicht gestrickt.
Sein Problem war, dass er nicht so einfältig handelte wie seine Feinde, er wollte sie nicht bloß töten, das hätte er längst gekonnt, wenn er es beabsichtigt hätte. Oh nein, er wollte sie vernichten. Er wollte, dass sie zusahen, wie alles, was sie kannten, brannte. Er wollte ihnen ihre Welt rauben und sie brechen, wollte sie in eine kalte, einsame Zelle stecken und sie zusehen lassen, wie die Welt zu einem Ort wurde, den sie hassten.
Rachsüchtig, so hatte Wexmell ihn genannt. »Du bist rachsüchtig, Riath, und das bringt dir irgendwann den Tod, oder den Menschen, die du liebst. Lass ihn ziehen, er will doch nur, dass wir uns entzweien, er will dich rauslocken, damit ich dich nicht mehr schützen kann.«
»Du bist der, der uns entzweit, Wexmell! Er hat versucht, mich zu töten, und du lässt ihn einfach flüchten!«
»Ihm zu folgen würde Kriege nach sich ziehen, Riath, du musst umsichtiger werden!«
»Und du musst endlich anfangen, etwas zu unternehmen, statt da zu sitzen und an die Vernunft zu appellieren. Er hat uns verraten!«
»Und im Gegenzug willst du ihn jetzt töten, woraufhin irgendein anderer wiederrum Rache an dir üben wollen wird. Verstehst du es nicht? Rache hört niemals auf, wenn man einmal damit anfängt. Gib ihm nicht das, was er von dir erwartet!«
Das hatte er nicht und das würde er auch nicht, oh nein, Riath würde grundsätzlich immer genau das tun, was man gerade nicht von ihm erwartete. Genau wie vor wenigen Wochen in Carapuhr, womit niemand von seinen Gegnern gerechnet hätte.
Aber es ist alles ein wenig schiefgelaufen.
Beinahe wäre es ihm gelungen, beinahe hätte er Großkönig Melecay alles geraubt. Wäre dieser fanatische Ziegenhirte nicht größenwahnsinnig geworden und hätte versucht, den Großkönig zu töten. Nein, das wäre viel zu einfach für diesen Mistkerl. Riath hatte sich einmischen und Desith und Vynsu zu Melecays Rettung schicken müssen.
So einfach würde er diesen Hurensohn nicht davonkommen lassen. »Du stirbst mir nicht einfach davon, Melecay, so leicht mache ich es dir nicht.«
Für sie beide hatte das Spiel gerade erst begonnen. Es wurde Zeit für den nächsten Zug.
Riath riss sich die Stiefel von den Füßen und warf sie zur Seite, dann trat er barfuß weiter vor. Der Fels war heiß, verbrannte ihm die Sohlen. Er blickte hinab, spürte den Sog der Tiefe, hörte wie sie flüsterte und ihn verlockte. Er machte noch einen Schritt, direkt ins Leere, und stürzte sich mit den Füßen voran in den Abgrund. Sein Körper zischte wie ein Pfeil nach unten, die Landschaft rauschte an ihm vorbei und wurde von einem Bild zu einer undeutlichen, grünbraunen Kulisse. Seine Füße tauchten ins kühle Nass, er sank wie ein kerzengerader Baumstamm in den See. Das Wasser schlug über ihm zusammen, bremste seinen Fall, sodass seine Zehen den Grund des Sees nur sanft berührten, statt auf ihm zu zerschlagen.
Er setzte sich im Schneidersitz hin, die Arme vor der Brust gekreuzt, und schloss die grünen Augen. Durch das Wasser drangen die Geräusche und das Licht der Welt nur gedämpft zu ihm herab und er nutzte diese Ruhe, um intensiv über seinen nächsten Schritt nachzudenken.
Ich weiß, was du ihr angetan hast, Prinz Unhold.
*~*~*
Der Tag verging in Windeseile, kaum war er angebrochen, verabschiedete sich die Sonne bereits wieder und ging mit einem letzten Aufbäumen in einem roten Inferno am Himmel über der weißen Hauptstadt Solitude unter. Ein Spektakel, an dem sich Kacey nie sattsehen konnte. Dieser heiße, brennende Himmel, durchzogen von einer Nova aus Licht und Wolken, die über dem satten, grünen Blätterdach des Urwaldes unterging, der die Stadt wie eine dichte Mauer umgab.
Er sah es sich jeden Abend an, vom Balkon seiner neuen Zimmer aus – die er von dem vorherigen Magister übernommen hatte – oder von den perfekt gepflegten Gartenanlagen der Akademie. Selbst wenn er wie in den letzten Tagen Stunde um Stunde in Arbeit versunken war.
Einige Schüler waren tatsächlich zur riesigen, aus dunklem Gemäuer erbauten Akademie mit ihren zahlreichen Türmen und Erkern und Buntglasfenstern – womit sich die Anlage deutlich von der aus weißem Marmor errichteten Stadt abhob – zurückgekehrt, sowie einige ausgelernte Magier und Illusionisten aus aller Welt, deren Namen und Fähigkeiten Kacey in den Archiven ausfindig gemacht und angeschrieben hatte. Sie kamen zum Lehren an die Akademie. Auch diese Entscheidung hatte er allein getroffen, denn für seine älteren Kollegen war es ein Unding, dass Magier, die nur einen einfachen Abschluss absolviert hatten – aus welchem persönlichen Grund auch immer – Kurse geben durften. Kacey hingegen hielt es für klug, so viele Magiebegabte wie möglich zu versammeln, denn er hatte das dumpfe Gefühl, dass die Unruhen erst ihren Anfang fanden. Außerdem fand er es wertvoll, ihre Erfahrungen zu nutzen, um seine Studenten weiter zu bilden. Praktische Erfahrungen im Umgang mit Magie im Alltag war sehr viel wichtiger als jede Theorie, die seine Schüler in den sonstigen Kursen paukten.
Der Magie-Konflikt durfte nicht so ausarten wie in Nohva, es durften keine ganzen Dörfer brennen, nur weil die Bewohner einen zauberkundigen Freund versteckten. Nein, lieber sollte ein einziger, abgesicherter Ort Ziel zum Hass ihrer Gegner werden, dann waren sie auf einen Angriff vorbereitet und konnten ihresgleichen schützen. Er hatte auch andere Schulen und ihre Magister angeschrieben und viele waren auf seiner Seite, riefen ihre Schüler zu sich und stellten Anträge, um Kraftfelder errichten zu dürfen.
Ihm war bewusst, dass er damit auch Argwohn säte, dass Bürger das Gerücht verbreiten konnten, er würde eine Armee aus Zauberkundigen zusammenstellen. Doch vorrangig war ihm das gleich, zuerst zählte der Schutz derer, die unschuldig dem Hass anderer ausgesetzt waren.
Es war ein regelrechter Ansturm aus Zurückkehrern und Neuankömmlingen, Kacey wäre dankbar gewesen, hätten sie ihm durch einen Boten von ihrer Anreise unterrichtet. Doch er verstand auch, dass dazu vermutlich bei einem schnellen Aufbruch keine Zeit gewesen war. Unter Furcht dachte man nur daran, so schnell wie möglich einen sicheren Hafen zu erreichen.
Gemeinsam mit den Studenten und Verwaltern hatte er dafür gesorgt, dass niemand lange auf ein Zimmer warten musste, nebenher hatte er noch Führungen für diejenigen organisiert, die seit Jahrzehnten nicht mehr hier gewesen waren, hatte alle über das Alptraumfeld informiert, Fragen beantwortet. Seine Tür zu seinen Räumlichkeiten hatte immer offen gestanden, den ganzen Tag. Er hatte Vorlesungen abgehalten, wobei seine Studenten überwiegend mehr über das Kraftfeld erfahren wollten und was bei der Versammlung herausgekommen war. Ardor, Kaceys Leibwächter, war natürlich mit undurchdringlicher Miene stets an seiner Seite gewesen.
Es gab den ganzen Tag