Wexmell musste endlich die Augen öffnen und begreifen, dass er auf Riath hätte hören sollen.
Und er würde es begreifen. Bald.
Ganz sicher.
Definitiv.
»Mein Prinz?«
Riath drehte den Kopf, ein Sonnenstrahl fiel in das Zelt, und braune, treue Augen suchten besorgt das Innere ab, tasteten über die königliche Einrichtung, die massiven Möbel, die edlen Teppiche und Wandbehänge, suchten ihn an seinem Tisch, der leer war, da er noch nicht aufgestanden war.
Endlich fand Marks, Sohn von Lady Sigha aus dem Schwarzfelsgebirge, ihn unbekleidet und von einem dünnen Laken umhüllt auf seinem Lager liegen.
Marks straffte sich, nahm Haltung an, seine dunklen Schmalzlocken umspielten sein markantes Gesicht. Er war ein großer Mann in schwarzer Lederkluft und einem violetten Band, das er streng um seinen Oberarm gebunden hatte. Riaths Linke Hand, einer seiner engsten Vertrauten – und er wirkte nervtötend besorgt. »Mein Prinz, Ihr solltet frühstücken.«
Sollte er wohl. Nach wochenlanger Seefahrt, die ihn unentwegt zum Kotzen gebracht hatte, waren sie seit zwei Tagen endlich runter von diesem scheißschwankendem Schiff und hatten festen Boden unter den Füßen. Sein Magen fühlte sich noch immer flau an und er wusste nicht, ob er bereits etwas in sich behalten konnte, doch wenn er nicht bald aß, würden ihn seine Beine nicht mehr tragen.
Der einzige Grund, weshalb er noch immer im Bett lag, obwohl die Sonne schon seit Stunden am Himmel stand, und sich unnötigen Grübeleien hingab, war schlicht, dass er sich zu geschwächt fühlte, um sich aufzusetzen. Seine Beine waren wie knochenlos und sein Kopf war wie mit Wasser gefüllt, das ihn schwanken ließ, sobald er sich auch nur im Geringsten bewegte.
»Gibt es Blut?«, fragte er und blickte an die Zeltdecke, auf der sich wegen des Regens letzter Nacht – trotz, dass das Lager im dichten Urwald verborgen und von Baumkronen geschützt lag – dunkle, feuchte Flecken gesammelt hatten.
Marks ließ endlich den verdammten Zelteingang los, sodass der verirrte Sonnenstrahl ausgesperrt wurde. »Die Jäger haben einen Hirsch erlegt. Ein riesiges Vieh, sag ich dir. Ich kann dir einen Becher von ihm bringen, oder…« - er öffnete seine gepanzerte Armmanschette - »…du trinkst von mir.«
Riaths Mund verzog sich zu einem kühlen Grinsen. »Du hasst es doch, gebissen zu werden.«
»Du bist mein Prinz, ich würde einen Schwertstich für dich abfangen, ein paar Tropfen Blut sind nichts dagegen.« Er sagte das mit solch einer trockenen Selbstverständlichkeit, dass man ihn einfach lieben musste.
Riath drehte ihm den Kopf zu und bereute die Bewegung sofort. »Hirschblut klingt köstlich.«
Marks zog die Riemen seiner Manschetten wieder zu, sie klimperten hell. »Ich werde dir einen Becher organisieren, zusammen mit einem nahrhaften Frühstück.«
In der Zwischenzeit sollte er wohl versuchen, sich aufzusetzen. Auch wenn er es seinem Getreuen zutraute, dass er ihn wie einen Greis auf dem Sterbebett füttern würde, wollte er sich und ihm diese Peinlichkeit ersparen. Na ja, vor allem sich.
»Gibt es neue Meldungen?«, fragte er und lüftete das Laken. Scham? Kannte er nicht, vor allem nicht Marks gegenüber, neben dem er auch ungeniert pissen und scheißen ging.
»Mak traf soeben ein, aber seine Tasche war wie bei den letzten Malen leer.«
Verdammt. »Gut.« Nein, es war nicht gut, er nahm die Nachricht nur zur Kenntnis. Warum antwortete Kacey seit Wochen nicht?
»Auf Sari und auf Botschaften aus Nohva warten wir noch«, schloss Marks ab und beäugte Riath neugierig, während er nähertrat.
Das Zeltinnere schwankte und verschwamm, als Riath sich aufgesetzt hatte. Er petzte für einen Moment die Augen zusammen und massierte mit zwei Fingerspitzen seine Schläfe. Die schwüle Hitze war ein Graus, ein feiner Schweißfilm schimmerte auf seinen nackten, glatten Muskeln, er fühlte sich klebrig und unsauber, stank. Das Aufsetzen hatte seine Atmung angestrengt, seine Lunge fühlte sich ausgetrocknet an und stach, als hätte er einen Berg bestiegen, sein Herz klopfte schwer.
Verdammte, sterbliche Hülle.
»Ich weiß, du kannst meine Sorgen darüber nicht mehr hören« - Marks griff zu einem silbernen Krug und goss Wasser in einen Kelch - »aber bist du dir wirklich sicher, dass er uns nicht verraten wird?«
Riath sah zu ihm auf, als er ihm das Wasser reichte, und trank gierig und dankbar. Kühl und wohltuend floss die klare Flüssigkeit seine Kehle hinab und bekämpfte den Schwindel. Erst nachdem er seinen Durst gestillt hatte, antwortete er.
»Warum sollte er das tun?« Er wusste, warum, und wich deshalb grimmig Marks Blick aus, indem er so tat, als wollte er den Kelch austrinken.
»Immerhin«, Marks druckste etwas herum, »war sie seine Schwester.«
Riath wischte mit dem Unterarm über seine feuchten Lippen und stellte den Kelch mit einem lauten Geräusch auf den kleinen Tisch neben seinem Lager. »Wir können Kacey vertrauen, er weiß, dass es um mehr als um die Familienehre geht.«
Marks wirkte noch immer besorgt, er verzog die vollen Lippen.
»Wo bleibt mein Becherchen mit Blut, Mutti?« Riath klimperte mit scheinheiliger Unschuld mit seinen langen Wimpern, wodurch er nur verdeutlichte, dass für ihn das Thema beendet war.
Es genügte, wenn er sich den Kopf zerbrach, Marks‘ Sorgen verstärkten im Moment nur seine eigenen, und wenn er nervös war, konnte er keine klugen Entscheidungen treffen.
Ein Ruck ging durch Marks. »Ja. Natürlich.« Er wandte sich eilig ab.
Als er zum Zelt hinaus ging, schlüpfte Mak hechelnd herein. Der Goldschakal sprang freudig auf Riath zu, der sofort die Arme ausbreitete und lachend den kleinen Scheißer empfing.
Mak und Sari waren sozusagen seine ersten Kinder gewesen, zwei Schakale, die er bei einer Jagd gefunden und liebevoll aufgezogen hatte. Und sie waren die mit Abstand treusten Diener und vertrauenswürdigsten Boten.
»Nächstes Mal«, sagte Riath zu Mak und strich ihm über die weichen Ohren, »beißt du Kacey in seinen süßen, kleinen Schwanz und zwingst ihn für mich zu einer Antwort, dann bekommst du zur Belohnung auch ein echtes Würstchen.«
Der Schakal hechelte und drehte sich auf Riaths Schoß auf den Rücken, sodass er sich fast an der eigenen, langen Zunge verschluckte. Er verstand die gesäuselten Worte als Lob, nicht als fiesen Scherz.
Riath kraulte ihm den Bauch. »Ich muss das wohl einfach selbst in die Hand nehmen.«
Auch wenn ihn ein Weg in die Hauptstadt des Kaiserreichs höchstwahrscheinlich den Kopf kosten würde. Er brauchte einen verdammt guten Plan.
Und um diesen zu schmieden brauchte er erst einmal ein saftiges Frühstück.
*~*~*
Der Tee war erkaltet und er verzog das Gesicht, als er unwissentlich daran nippte. Unglücklich stellte er ihn zurück auf das Silbertablett und schob beides von sich.
War denn wirklich bereits so viel Zeit vergangen, dass er nicht bemerkt hatte, wie sein Getränk erkaltet war? Er war sich sicher gewesen, dass einer der Diener seinen Tee gerade erst aufgebrüht hatte. Doch nein, ein Blick zu den Terrassen hinaus, die sich um das rechteckige Gebäude zogen, und er entdeckte, dass die Sonne zwischen den weißen Marmorsäulen weitergewandert war.
Er sah sich in der Versammlungshalle des Gerichtshauses um, hunderte von Menschen mit Titeln oder schlichtem, bescheidenem Reichtum tummelten sich in dem riesigen Saal auf weißen Marmorbänken, die Tribünenartig an drei Wänden hochgezogen waren. Eine Ansammlung alter und junger Elkanasai in knappen Tuniken und Togen und bunten Seidenschärpen, geflochtenen Frisuren und spitzen Ohren. Auf der höchsten Empore saß für gewöhnlich der Kaiser – heute vertreten von der