Geliebter Unhold. Billy Remie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Billy Remie
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken der Bruderschaft 4
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753189772
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der schmalen Kehle des Jungen. »Dummkopf!«, schalt er ihn und gab ihm einen sanften Stoß ins Lager. »Ich hätte dich umbringen können.«

      Der Junge – schlaksig, schwarzhaarig und etwa dreizehn Sommer alt – fiel auf die Knie und klaubte die Äste wieder auf. »Ich wollte dich nicht wecken, ich habe nur Feuerholz gesucht. Ich dachte, du wüsstest, dass ich es bin.«

      »Ich nahm an, du schläfst noch.« Xaith schob den Dolch zurück in die Scheide an seinem Gürtel und trat demonstrativ gegen die zerwühlten Decken neben der Glut, die aussahen, als ob darunter noch ein schmächtiger Körper schlief. »Und du solltest dich trotzdem nicht wie eine Kutsche durch den Wald bewegen, du könntest Räuber herlocken.«

      Der Junge blinzelte zu ihm auf. »Tut mir leid, ich passe besser auf.«

      Xaith gab ein trockenes Schnauben von sich. Ja, klar… er passte besser auf. Er wollte nicht gemein sein, aber der Junge kannte sich mit dem Überleben außerhalb der Gossen einer Großstadt genauso gut aus wie ein Xaith mit Säuglingen.

      Apropos. Er drehte sich nach dem greinenden Bündel um, das verzweifelter schrie, je länger sich niemand um es kümmerte.

      »Ist ja gut.« Xaith beugte sich drüber und betrachtete das rotgeweinte Pausbackengesicht. Der kleine Fratz war seinem Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten. Strohblond, grüne Augen, lange Wimpern, große Fresse. »Fang gar nicht erst damit«, warnte Xaith ihn und hob ihn aus seinen Decken. Das magische Kraftfeld, das er zum Schutz vor Raubkatzen und Schlangen um die Schlafstätte des Kleinen errichtet hatte, fiel mit seiner Berührung in sich zusammen. Die Energie kam zu ihm zurück, sodass er sich nicht mehr ganz so ausgelaugt fühlte.

      Während der Junge sich um das Feuer kümmerte und Äste über dem Knie zerbrach, setzte Xaith sich mit dem Säugling unter einen Baum in die Nähe der Glut, hob einen Finger zum Mund und riss ihn mit einer seiner Luzianerfänge auf, bis ein dicker, roter Bluttropfen in der Morgensonne schimmerte. Dann schob er die Fingerkuppe in das Mäulchen des Säuglings. Sofort setzte der Reflex ein und der kleine Schreihals saugte unmenschlich stark das Blut aus Xaiths Finger, wie Milch aus einer Zitze.

      Xaith spürte den Blick des Jungen auf sich. »Bist du sicher, dass das genügt? Braucht er keine Muttermilch?«

      »Hast du denn Muttermilch in deinen kleinen Titten?«

      Der Junge lief rot an, Zorn zuckte in seinen Mundwinken. »Nein!« Er warf einen Ast in die Glut, die langsam Feuer fing, und verschränkte die Arme vor der flachen Brust, sodass sein schmutziges, weißes Hemd Falten zog.

      Sofort tat es Xaith leid. »Man siehts nicht, keine Sorge«, beschwichtigte er den Jungen, wobei er genervt klang, obwohl er es nicht wollte. Er war den Umgang mit anderen wirklich nicht gewohnt.

      »Ich meine ja nur.« Der Junge ging nicht darauf ein, drehte ihm die Schulter zu und hockte sich neben das Feuer, um es anzufachen. »Kinder brauchen Muttermilch.«

      »Er ist ein Luzianer, er kann allein durch Blut überleben.« Nun ja, zumindest in der Theorie.

      »Hab ich noch nie von gehört.«

      »Da wo du herkommst, hält man uns ja auch für Untote, was weißt du also über mein Volk?«

      Ehrlich gesagt, wusste er selbst nicht, ob er das Richtige tat. Luzianer tranken eigentlich erst ab einen gewissen Alter Blut, Kinder brauchten es nicht. Aber er hatte keine Milch zur Hand, da er keine Ziege oder Kuh durch die Wildnis schleppen konnte. Blut würde den Bengel schon kräftigen, jedenfalls hatte es ihn bisher gesättigt und gesund gehalten.

      Seine Erwiderung brachte den Jungen zum Verstummen, er zuckte mit den Achseln.

      Siderius, einstmals Sida, stammte nicht aus einem der großen Königreiche, Xaith hatte den schmutzigen Jungen aufgelesen, oder besser gesagt, hatte Eri sich einfach an ihn gehängt und sich auch durch das rüpelhafteste Verhalten nicht mehr vertreiben lassen. Wie ein Straßenköter. Xaith war selbst schuld, er hätte ihm nichts zu essen geben sollen.

      Nun reisten sie mehr oder weniger zusammen, nachdem Eri ihm zugegebener Maßen das ein oder andere Mal den Arsch gerettet hatte, indem er schlicht und ergreifend für ihn gesorgt hatte, als er nicht dazu in der Lage gewesen war. Xaith hatte dem Jungen auch einen angemesseneren Namen gegeben, weil dieser sich nicht überwinden konnte, sich selbst einen auszusuchen.

      Er hatte gesagt: »Aber man gibt sich nicht selbst einen Namen.«

       »Doch, vor allem, wenn man seinen nicht mag.«

       »Das fühlt sich nicht richtig an«, war er stur geblieben, tiefbetrübt.

       Xaith hatte mit den Augen gerollt. »Gut, dann gebe ich dir eben einen Namen.«

       »Warum du?«

       »Weil du es selbst nicht kannst.«

      Ob der Erinnerung daran, musste er kurz schmunzeln. Er spürte wieder, wie er angestarrt wurde.

      »Was ist?«, fragte er unwirsch, wodurch sich der Straßenjunge nicht abschrecken ließ, er sah ihn weiterhin mit diesem besonderen, wissenden Blick an.

      »Du hattest ihn gern, richtig?«

      Was für ein nervtötender Klugscheißer. »Weiß nicht, wovon zu sprichst. Und jetzt bring lieber mal was zum Frühstück herbei, ich verhungere.«

      Siderius sah ihn weiter ungerührt an. »Den Magier, zu dem du immer gingst, mit den besonderen blauen Augen und dem goldenen Haar.«

      Manchmal hatte er trotz aller Dankbarkeit und zarter Zuneigung das Bedürfnis, Eri etwas ins Maul zu stopfen. »Essen. Sofort.«

      Er bewegte sich nicht, starrte Xaith in die Augen. »Du hattest ihn gern.«

      Es war keine Frage mehr.

      Na toll, der Morgen fing ja schon wieder gut an.

      »Tut nichts zur Sache.« Die Sonne wanderte und warf Schattenspiele durch die Baumkronen auf ihre Gesichter. Der Bengel war satt, nuckelte nur noch schläfrig an Xaiths Finger. »Nimm ihn.« Er hob das Kind, das sie in weiche Wolldecken gewickelt hatten, dem Jungen entgegen, der nicht anders konnte, als es ihm abzunehmen oder fallen zu lassen.

      Immer, wenn er den Schreihals halten sollte, riss er ängstlich die Augen auf, weil er sich fürchtete, ihn zerbrechen zu können.

      Was für ein Quatsch, Luzianer waren von Geburt an robust, sie hätten mit dem Bengel Ballwerfen spielen können und es wäre ihm gut gegangen. Sonst hätte er die Reise durch die Wildnis wohl kaum länger als eine Woche überstanden. Und sie hatten noch einen sehr langen Weg vor sich.

      Teil 1: Der böse Bube

       Lieber Kacey,

       ich habe deinen Brief erhalten, habe ihn zwei Jahre mit mir herumgetragen, ihn hervorgeholt, ihn so oft auseinandergefaltet, gelesen und wieder zusammengefaltet, dass die Ränder des Pergaments alt und abgegriffen aussehen. Ich habe dich nicht vergessen, glaub mir, du warst immer in meinen Gedanken. Aber da liegt das Problem, eine ganze Weile war mein Verstand wie eine dichte Gewitterwolke, durch die keine Klarheit dringen konnte. Ich hatte keine Ahnung, was ich will, wer ich bin, wie es weitergeht. Was ich jetzt fühle.

       In meiner Heimat haben sich die Ereignisse überschlagen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schnell aus Liebe Hass werden kann. Doch dazu berichte ich ein andermal ausführlicher.

       Ich wollte dir aus einem völlig anderem Grund schreiben, ich habe oft nächtelang grübelnd an meinem Tisch gesessen und Zeilen angefangen, doch es kam nichts Sinnvolles dabei heraus. Ebenso wie jetzt. Vielleicht ist für das, was ich dir die ganze Zeit schreiben will, einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen. Mein Verstand sagt mir, dass es für derlei Angelegenheiten der falsche Moment ist, das falsches Jahr, vielleicht sogar das falsche Leben. Vielleicht schreibe ich dir nie das, was ich wirklich will.