Geliebter Wächter 2: Wolfsherz. Billy Remie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Billy Remie
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken der Bruderschaft 2
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750209534
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in den Nacken gelegtem Kopf lehnte Doragon auf der Balustrade ihres Balkons und starrte nun schon seit geraumer Zeit schweigend in die Sterne, konnte ihre Schönheit nicht fassen, ebenso wenig wie die Einsamkeit, die sie in ihm hervorriefen.

      Das Zimmer hinter ihm war dunkel, aber er war nicht allein.

      Schon landete eine Hand auf seiner Schulter und Fen trat neben ihn. »Sieh sich das einer an! Im Dschungel sieht man sie so selten, dass ich fast vergessen habe, dass sie existieren.«

      Ragon lächelte wehmütig. »Deine Schwester hat die Sterne immer sehr gemocht.«

      Feixend sah Fen ihn von der Seite an. »Sicher, weil du sie ihr gern gezeigt hast.«

      Bedauernd senkte Ragon den Blick in die Stadt, wo er durch das Licht der Fackeln die Wachen beobachten konnte, die durch die Straßen liefen.

      »Tut mir leid«, lenkte Fen ein, »das war unangebracht.«

      »Sie hat dich geliebt«, sagte Ragon und sah seinen Freund flehend an. »Sie wollte, dass ich dich rette, Fen …«

      »Sie kannte mich doch gar nicht«, warf er ein und schüttelte verdrossen den Kopf. »Außerdem hätte sie mich, hätte ihr denn wirklich an mir gelegen, aus der Sklaverei befreien können. Aus dieser … verdammten Kiste.«

      Ragon legte ihm eine Hand auf den Unterarm. »Das hat sie versucht, Fen! Ich habe es dir doch gesagt. Sie kämpfte für eure Rechte – deinetwegen! Fen, sie hat versucht, dich zu befreien.«

      »Sie hätte es mit einem Schwert versuchen sollen«, gab Fen zurück und sah Ragon in die Augen. »So wie du.«

      »Ich tat nur, was sie von mir erbat«, erinnerte Ragon ihn einfühlsam.

      Fen schmunzelte traurig. »Aber du hast es getan. Du hast getan, wozu sie keinen Mut hatte.«

      Daraufhin schwiegen sie einen Augenblick lang und sahen gemeinsam in den Himmel, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, während sich das Funkeln der Sterne in ihren Augen spiegelte.

      Irgendwann stieß Fen einen amüsierten Laut aus und durchbrach die ehrfürchtige Stille. »Bei der Mutter, ich hasse es, wenn du recht behältst.«

      Verwundert drehte Ragon ihm das Gesicht zu, er hatte die Maske und den Umhang abgelegt und genoss den sanften Nachtwind auf seiner Haut. »Was meinst du?«

      Belustigt funkelte Fen ihn an. »Du hast gesagt, ich werde die Gemeinsprache irgendwann noch brauchen… und ich habe dich verflucht.«

      Doragon musste bei der Erinnerung an Fens trotzige Miene lächeln.

      »Heute war ich froh«, sagte Fen dankbar und stieß Doragon mit der Schulter an. »Du hast mich viel gelehrt, mein Bruder. Alles, um genau zu sein. Als du den Deckel meiner Truhe geöffnet hast, war ich nur ein wütender Sklave. Aber du hast mir gezeigt, wie man mit einem Schwert und einem Bogen umgeht, du hast mich gelehrt, zu jagen, Spuren zu lesen, ein Feuer zu machen, lesen und schreiben und selbst andere Sprachen. Du hast mich nicht nur befreit, Ragon, du hast mich gelehrt, zu überleben. Mir ein Leben geschenkt. Ich habe in den wenigen Monaten, die ich bei dir verbrachte, mehr gelebt als mein ganzes bisheriges Leben. Ich verdanke dir einfach alles.«

      Doragon schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. »Fen…«

      »Ich habe dir nie gedankt, glaube ich«, überlegte Fen mit gefurchter Stirn.

      »Das ist auch nicht nötig«, unterbrach Doragon ihn sofort und richtete sich auf, um Fen eine Hand auf den Rücken zu legen. »Es gibt Dinge, die sollten selbstverständlich sein.«

      Ernst sah Fen zu ihm auf. »Aber du weißt, dass ich dir dankbar bin, ja? Ich verdanke dir einfach alles, genau wie Kacey. Viele verdanken dir einfach alles. Und was da mit deinem Stamm geschehen ist …«

      »Fen, bitte…«

      »Es war nicht deine Schuld«, schloss Fen mitfühlend ab. »Du hast das Richtige getan.«

      Tief seufzend ließ Doragon die Schultern hängen und blickte über die Stadt hinaus in Richtung Osten. Ratlos schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das stimmt. Wir hätten vielleicht nicht fliehen sollen.«

      »Du weißt doch, wie es heißt«, sinnierte Fen spöttisch, »alles hat einen Grund, Ragon. Alles. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es richtig ist, dass du hierherkamst.«

      Ragon starrte stur geradeaus und murmelte dabei mehr zu sich selbst, als zu Fen: »Ich hoffe, du irrst dich.«

      »So wie ich nicht ändern kann, wer meine Schwester war«, raunte Fen bedeutsam und lächelte Doragon entschuldigend an, »so kannst du nicht ändern, wer deine Väter sind.«

      Jetzt verwendete er Doragons eigene Argumente gegen ihn. Mit verengten Augen schielte er seinen Freund an und schubste ihn mit dem Ellenbogen spielerisch von sich. »Wende meine eigenen Worte nicht gegen mich.«

      »Das hast du früher immer mit mir gemacht«, erinnerte sich Fen.

      Sie lachten beide leise, und bei der Erinnerung durchflutete Ragon bittersüße Wehmut, bis sie wieder in nachdenkliches Schweigen verfielen.

      Fens buttergelbe Augen wanderten zum Horizont und er seufzte traurig: »Wir müssen ihn also zurückbringen.«

      Doragon dachte an Kacey und sein Herz zog sich zusammen. »Ja, mein Bruder, ich fürchte, das müssen wir.«

      »Wird er sterben?«, fragte Fen und sah Doragon befürchtend an. »Ragon, wird er?«

      Ratlos schüttelte Doragon den Kopf und öffnete den Mund. »Ich … weiß es nicht, Fen. Ich weiß nicht, was geschehen wird.«

      *~*~*~*

      »Vater!«

      Sie hatten kaum ihr Kerzenlicht geflutetes Gemach betreten, da wurde Desiderius schon von den Kindern umschwirrt wie ein Bienennest von seinen kleinen, treuen Arbeitern.

      »Wo warst du? Wieso hat das so lange gedauert? Hat dich der Drache echt gefressen?« Sie sprachen alle durcheinander, während Desiderius sich nicht vor ihren bohrenden Fragen und zerrenden Händen retten konnte. Jeder wollte ein Stück von ihm, wollte ihm nahe sein. May warf sich auf seinen Rücken und erwürgte ihn fast, Sarsar lief regelrecht in ihn hinein und presste sich an seine Brust, offensichtlich glücklich, ihn einfach nur wiederzuhaben, er wurde erdrückt von seinem Bruder Xaith, der Desiderius ebenso frontal umarmte.

      Der Schrecken der letzten Nacht wich endlich aus ihren jungen Gesichtern. »Geht es dir gut?«, fragten sie. »Was ist geschehen? Wen hast du mitgebracht?«

      Wexmell schloss die Tür und trat einen Schritt an die Gruppe heran. Sein Herz quoll über vor Liebe, als er Desiderius so eng mit seinen Kindern sah. Er war ein guter Vater, ein Vater, der tief geliebt und geschätzt wurde, und der die Liebe seiner Kinder brauchte.

      Sein Herz krampfte, wenn er daran dachte, dass sie ihn beinahe verloren hätten. Er wollte gar nicht daran denken, was gewesen wäre, wenn … Nein, er konnte es sich nicht vorstellen.

      Lachend zog Desiderius sie alle an sich, auch den zurückhaltenden Riath, der sich nicht getraut hatte, sich an der Gruppenumarmung zu beteiligen. Desiderius packte ihn einfach an seinem Hemd und zog ihn heran, bis er gegen sie stieß. Mit einem erleichterten Lächeln legte Riath den Kopf an Desiderius und schloss die Augen. Eine seltsame Ruhe legte sich über sein Gesicht, wie man sie nur selten sah.

      Eine Ruhe, die nur Desiderius seinen Kindern geben konnte. Bei den Göttern, wie sie ihn liebten, es beängstigte und faszinierte Wexmell immer wieder. Nicht, dass er davon ausgeschlossen wurde, er wusste, dass er genauso geliebt wurde – aber er war es nicht, den sie heute beinahe verloren hätten, also sei ihnen der Moment mit Desiderius vergönnt. Wexmell war ohnehin nie eifersüchtig, vor allem nicht auf seine Kinder. Er liebte es einfach, sie alle zu betrachten. Ihre leuchtenden, noch unschuldigen Augen, ganz gleich, wie groß sie mittlerweile waren, und Desiderius breites Lachen, das ihn mit Liebe erfüllte.

      Er war wirklich zu beneiden, dachte er glücklich, denn er hatte alles, was er sich je gewünscht