»Und wenn wir …«, erhob Eagle zögerlich das Wort, »…mit dieser Herrin verhandeln?«
Alle sahen ihn neugierig an.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich meine ja nur, einen Versuch wäre es doch wert.«
»Ich weiß, was du meinst«, mischte Wexmell sich ein, »und jeder hier weiß, dass ich immer für die friedliche Lösung bin. Aber wie wollen wir mit jemandem verhandeln, der uns unterjochen will?«
»Freiheit im Austausch für den Jungen«, sagte Doragon matt. »Das ist, was sie euch versprechen, aber nicht halten wird.«
»Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte Eagle barsch. »Woher wollt ihr alle so genau wissen, dass all eure Vermutungen wahr sind?«
»Das sind keine Vermutungen, sondern Fakten!«, warf Bellzazar ein.
Eagle sah ihn aufgebracht an und schnaubte. »Warum stehen wir hier und hören dir überhaupt zu? Du bist ein verdammter Verräter! Und ein Lügner! Das warst du immer und wirst es immer sein!«
Das tiefe Knurren im Raum ließ Köpfe herumwirbeln.
»Das ist er nicht«, presste Cohen durch die Zähne und taxierte Eagle wütend. »Er lügt nicht, ich kann es bezeugen.«
»Er ist ein Verräter«, beharrte Eagle und sah Cohen eindringlich an, »er fiel mir – uns! In der Schwarzen Stadt an Nohvas Küsten in den Rücken!«
»Ich musste euch einen Feind geben, der euch zusammenschweißt. Ihr Menschen habt euch dort in der Stadt gegenseitig bekämpft! Ihr brauchtet mich, um einen gemeinsamen Feind zu haben!«, verteidigte sich Bellzazar.
Eagle schüttelte herablassend den Kopf. »Mach dich nicht zum Helden, du bist nichts weiter als ein hinterlistiges Wiesel, dem ich niemals trauen werde!«
»Pass auf, was du sagst«, warnte Cohen ihn.
Eagle fuhr zu ihm herum. »Was ist los mit dir? Du warst doch auch dort, als die Dämonen uns überfielen!«
»Belehre mich nicht, Eagle, ich war es, der dich rettete!«
»Es war Ari, die mich schwerverletzt rauszog«, warf Eagle ein.
Cohen schnaubte. »Aber ich zog deinen Feind von dir fort und gab euch die Möglichkeit zur Flucht. Also erzähl du mir nichts über die Schlacht in der Schwarzen Stadt! Ich war länger dort als du! Und wenn ich vergeben kann, dann solltest du das auch! Bell ist längst nicht nur das, was wir sehen wollen, sonst wäre ich heute nicht hier.«
»Bell?« Eagle verengte die Augen. »Ist es, weil du jetzt ein Dämon bist? Ist es das? Bist du deshalb irgendwie auf ihn geprägt? Ist er jetzt dein Meister und du sein kleiner Diener?«
Cohen machte einen Schritt um den Tisch herum, um auf ihn loszugehen, als ihn Bellzazars Arm von hinten umschlang und Desiderius ihm eine Hand auf die Brust legte.
»Genug jetzt!«, mischte sich der König von Nohva ruhig, aber entschlossen ein. »Hört auf, alle beide. Lasst die Geschichten von gestern ruhen, heute stehen uns schlimmere Probleme ins Haus.« Tadelnd sah er Eagle an, der sich zischend abwandte und sich auf seinen Stock stützte.
Cohen wollte ihm für seine Behauptung immer noch an die Gurgel, aber Bellzazar zog ihn an sich, sodass er dessen Brust und flachen Bauch am Rücken spüren konnte. Er beugte den Mund zu Cohens Ohr und raunte: »Das ist das dämonische Feuer, Coco, atme tief durch. Komm schon, tu es für mich, atmet die Wut einfach weg. Atme sie raus.«
Er nahm Bellzazars Rat an und konzentrierte sich darauf, sich zu beruhigen. Er schaffte es mit etwas Mühe.
Wexmell beäugte sie dabei mit schmalen Augen.
Doch Desiderius` Stimme lenkte alle Aufmerksamkeit wieder auf ihn. »Ich gebe zu, dass Zazar nicht gerade vertrauenswürdig ist…«
Cohen konnte Bellzazars Schmerz spüren, als wäre es sein eigener. Umso erstaunlicher war seine vollkommen unbewegte Haltung, als ließen ihn die Worte seines Bruders kalt.
Verdammt, er hasste Bellzazars stummen Schmerz. Hasste ihn, weil er ihn so gut selbst kannte.
»Pssst«, flüsterte Bellzazar ihm ins Ohr, als hätte er seine Gedanken erraten, und streichelte ihm kaum merklich die Brust.
»…aber wenn Cohen sagt, wir können ihm glauben, dann glaube ich ihm auch. Zazar ist auch nicht hier, um uns um Vergebung zu bitten, sondern weil wir alle einander brauchen. Mal wieder. Wir können also weiter über die Vergangenheit streiten, oder uns zusammenreißen und uns der echten Gefahr zuwenden. Und eines möchte ich noch betonen.« Desiderius sah Eagle eindringlich ins Gesicht. »Mich traf Zazars Verrat ja wohl am meisten, aber wenn ich ihn dulden kann, dann kannst du das wohl auch, Eagle.«
Eagle grunzte, ließ sich aber zu einem Nicken herab.
»Gut!« Desiderius sah sich in der Runde um. »An diesem Tisch ist kein Platz für persönlichen Groll, lasst ihn uns beiseitelegen und für privatere Räume aufsparen. Ragon, Fen, vergebt uns Westländern unsere Streitigkeiten, es liegt uns leider im Blut.«
Doragon sah Desiderius einen Moment zu lange in die Augen, sagte aber nichts dazu. Cohen sah ihn nicht gerne an, trotz Maske war die Verwandtschaft unverkennbar. Nicht zu Desiderius, sondern zu Rahff. Rahff dem Ersten. Rahff, dem Verräter. Rahff – Cohens Großvater. Womit dieser Doragon, dieser fremde Wilde, Cohens Onkel war.
Von allen Familien, die sich hier am Tisch zusammengefunden hatten, hatten Cohen und Doragon vermutlich die komplizierteste. Vielleicht sollten sie mal einen Stammbaum anfertigen lassen.
Andererseits schien Doragon kein Interesse an irgendeiner Art Verwandtschaft zu haben, vielleicht wusste er auch nicht, dass Cohen ebenfalls ein Youri war, und es war auch schlicht gleich. Es hatte keine Bedeutung mehr, nicht für Cohen. Er hatte seine Familie vor langer Zeit für Desiderius verraten, er würde es wieder tun. Wie es um Doragons Herz bestellt war, wusste er nicht, und er wollte es auch nicht wissen, solange er kein Feind war.
Alles andere war nicht von Belang.
»Ich kann das alles gar nicht glauben«, sagte Eagle und fuhr sich durch sein rotblondes Haar, »ich stand in Verbindung mit der Königin von Zadest! Sie antwortete wie immer mit einem persönlichen Schreiben auf die Einladung zum Friedensabkommen! Wie kann sie schon tot gewesen sein?«
Desiderius runzelte nachdenklich die Stirn. »Bist du sicher, dass sie antwortete? Der Brief könnte ebenso gut gefälscht sein.«
»Das war er ganz sicher«, murmelte der Zadestianer mit starkem Akzent, wobei er das R seltsam über seine Zunge rollte.
Eagle sah ihn an und musterte ihn von Kopf bis Fuß, dann sah er Doragon an. »Fassen wir also zusammen. Diese Herrin – diese Göttin – hat bereits eine Armee aufgestellt, die in den Wäldern vor meiner Stadt lauert, mein Sohn ist der Schlüssel zu ihrem Erfolg, und gleichzeitig auch unsere Rettung, obwohl er so dürr und kränklich aussieht, als würde ihn ein Atemhauch umpusten…«
»Was man von Euch nicht mehr behaupten kann«, murmelte Bellzazar und weitete die Augen.
Desiderius trat ihm auf den Fuß, damit er den Mund hielt.
Eagle wandte sich an Doragon und fuhr fort: »Und Ihr seid ein Blutdrache, der unter Tiermenschen aufwuchs? Ihr habt Sklaven befreit, darunter meinen Sohn, und ersucht uns nun um Hilfe?« Er stieß arrogant den Atem aus. »Und wer sagt mir, dass ihr nicht auch von dieser Herrin versklavt wurdet?«
»Mein Kaiser«, begann Doragon höflich, »es ist deutlich sichtbar, wenn man von der weißen Magie der Herrin befallen ist. Leuchtende Linien schlängeln sich durch die Venen und enden in den Schläfen, wo sie den Verstand der Sklaven kontrollieren.«
Eagle geriet ins Grübeln.
»Wenn ich kurz erklären dürfte…«, fragte Doragon zögerlich.
Eagle