Sonnenkaiser. Dirk Meinhard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk Meinhard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754172469
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neben einem Stapel altmodischer Bücher und staubte ein, bis es vielleicht noch einmal als Notbehelf gebraucht würde.

      Aber er fand keine wirkliche Ruhe, wechselte intentionslos von Stream zu Stream, zwischen seichten interaktiven Shows, bei denen man als Zuschauer eine uninspirierte Handlung beeinflussen konnte, Lebenshilfedokus und diversen Serienwiederholungen.

      Ständig dachte er an das Gespräch mit dem Personalberater. Allmählich konnte er sich für die Idee, Detektiv zu spielen begeistern. Es würde ihm helfen, aus seiner Ziellosigkeit herauszukommen. Der irgendwie geregelte Tagesablauf der letzten Monate war inhaltlich dringend verbesserungsbedürftig. Außerdem interessierte ihn, welche Bezahlung er erwarten konnte. Wenn die Wahl auf ihn fallen würde. Die Zweifel wischten seine Neugier und die kleine Hoffnung, die er sich gemacht hatte, wieder zur Seite. Warum sollte gerade er diesen Job bekommen? Knieversehrt, ohne Referenzen, ein Niemand. Rausgeworfen als Überflüssiger erster Wahl.

      Daniel schüttelte sich, als in seinem Kopf die Endlosschleife der sich selbst erzeugenden Demotivationsbekundungen endlich wieder anlief, die ihn bisher in fast jeder Nacht ohne Alkoholrausch befallen hatte. Der kleine Demotivationsteufel hatte bisher Ausdauer bewiesen. Keine geistige Benebelung bedeutete selten Nachtruhe.

      Er konzentrierte sich auf die erkenntnisarmen Äußerungen einer Lebensberaterin, die zu der Frage eines Zuschauers referierte, aus welchen seelischen Gründen er sich nicht in der Lage fühlte, länger als eine Woche den gleichen Job zu machen, bis die Endlosschleife dank eines Werbeblocks verstummte.

      Trotzdem warf er immer wieder einen Blick auf das auf dem Tisch liegende Smartphone. Wenn das so weiterging, würde es ein langer Tag werden. Gefühlt zum hundertsten Mal stieß er einen stresserfüllt klingenden Atemzug aus und starrte gedankenlos aus dem Fenster.

      Danach verweilte er unkonzentriert bei einem Krimi, bei dem das Verhalten der Hauptakteure durch interaktive Zuschauerabstimmungen bestimmt wurde. Neben dem Filmbild befand sich ein abgetrennter Bereich, in dem Fragen langsam nach oben scrollten. Zu jeder Frage gab es einige Antwortalternativen, die man innerhalb eines knappen Zeitfensters auswählen konnte. Der Reiz lag wohl daran, dass die sehr kurze Entscheidungszeit dem Zuschauer zumindest den Eindruck bot, als einziger für einen Moment die Entwicklung der Handlung zu lenken. Wie man beim konzentrierten Lesen von Fragen und Antworten überhaupt noch dem Film folgen konnte, blieb für Daniel ein Rätsel. Es war also wohl wahrscheinlich, dass viele einfach nur hektisch und abgelöst vom Inhalt der Texte mit den Fingern auf das Bedienfeld eintrommelten, um eine der zahllosen Handlungsalternativen des vollständig computeranimierten Films zu wählen und das demokratisch ermittelte Abstimmungsergebnis anzuschauen. Eindeutig war er zu nervös für eine dermaßen sinnlose Beschäftigung.

      Daniel schaute zum wiederholten Male kurz in seine Mailbox, aber außer den üblichen Werbemails fand er nichts. Er schaute sich noch ein paar Minuten den Krimi an und wechselte endlich gelangweilt zu einer Spielshow, als sein Smartphone klingelte und ihn wie elektrisiert zusammenzucken ließ. Daniel legte das Touchbook zur Seite und nahm das Gespräch an. Die Nummer kannte er nicht. Außerdem hatte der Anrufer explizit eine Videoverbindung abgelehnt.

      >>Knäpper, GlobSecure!<<

      Die Stimme schnitt ihm ins Ohr. Der Anrufer klang wie ein Feldwebel beim Morgenappell. Daniel fröstelte sofort.

      >>Sie sind Daniel Neumann?<<

      >>Ja, das bin ich! Warum interessiert sich GlobSecure für mich?<<

      Natürlich war ihm sofort klar, was der Anlass für diesen Anruf war. Antall hatte seinen Kandidaten bei seinem Klienten vorgestellt. Und nun gab es immerhin eine formelle Absage.

      >>Ich habe den Auftrag, Ihnen mitzuteilen, dass Sie sich reisefertig um zwölf Uhr am Flughafen Düsseldorf einzufinden haben. Wenn Sie eine Abholadresse nennen, wird Sie ein Fahrdienst pünktlich dort hinbringen!<<

      Daniel fehlten für einen Moment die Worte, nicht nur weil sich der Gesprächston seines Gesprächspartners akut frostig anhörte. Ihm fehlte das erwartete Wort, Absage.

      >>Äh, ja, ich denke, das sollte möglich sein!<<

      Er warf einen Blick auf seine Commwatch. Es war gerade halb zehn. Die andere Seite hatte es offensichtlich ziemlich eilig. War das ein gutes Zeichen?

      >>Gut! Am Flughafen gehen Sie am Terminal C zum Flugschalter Einhundertsiebzig. Dort wird man Ihnen weitere Anweisungen geben! Sie benötigen eine gültige Identifikation. Ist das ein Problem?<<

      >>Nein! Ich habe…<<

      Die kraftvolle Stimme unterbrach ihn barsch.

      >>Gut! Ich benötige die Adresse, an der sie abgeholt werden wollen! Ihre Wohnadresse?<<

      Daniel bejahte überrumpelt. Sein zielstrebig kommunizierender Gesprächspartner ließ danach unnötigerweise ein paar Sekunden verstreichen, wie er feststellte.

      >>Gut! Der Fahrservice wird um exakt zehn Uhr dreißig eintreffen. Da Sie in keinem gesicherten Bereich wohnen, stehen Sie an der Straße, wenn der Wagen kommt. Der Fahrer wird seinen Wagen nicht für Sie verlassen!<<

      Daniel merkte den sich in ihm regenden ersten Widerstand.

      >>Ich wohne hier nicht in der Bronx! Sie brauchen nicht zu befürchten, dass der Wagen beschossen wird!<<, platzte es aus ihm heraus.

      >>Seien Sie pünktlich! Wenn Sie bis fünf Minuten nach Eintreffen des Fahrservice nicht am Wagen sind, wird der Fahrer ohne Sie abfahren. Dann ist Ihr Termin geplatzt! Haben Sie alles verstanden?<<

      Dieser Knäpper ignorierte Daniels Einwand einfach. Der schluckte seine hochkochende Wut runter, um nichts Falsches zu erwidern.

      >>Gut! Wenn alles klar ist, werden Sie heute Nachmittag erwartet. Guten Tag!<<

      Die Verbindung wurde unterbrochen.

      Daniel schlug mit einer Faust auf die Tischplatte, um sich abzureagieren. Arroganter Idiot. Daniel rieb sich den schmerzenden Handballen. Bis zu diesem Anruf war er auf den Job neugierig gewesen. Nach dem Gespräch mit dem GlobSecure-Mitarbeiter stellte sich bei ihm reflexartig Durst ein. Ein Schluck Whisky wäre geeignet, seine Wut runterzuspülen. Wenn er eine der Flaschen aus dem Kühlschrank bis zum Mittag geleert hätte, würde der Fahrer halt vergeblich vor der Tür stehen. Dann würde Antall eben noch einmal auf die Suche gehen müssen.

      Wenn der Auftraggeber die gleiche Art von Kommunikation wie sein Untergebener pflegte, konnte Daniel auf diesen Job verzichten. Wenn Knäpper sogar selbst der Auftraggeber war, konnte er sich seinen miesen Job in die Haare schmieren. Wieder machte sich sein Smartphone bemerkbar. Daniel nahm das Gerät auf. Ein fülliger Kopf mit öligem Haarschopf grinste ihm entgegen. Der Informationsaustausch zwischen GlobSecure und der Personalagentur funktionierte offensichtlich nahezu in Echtzeit.

      >>Herr Neumann! Antall hier! Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen! Wie ich gerade erfahren habe, wurden Sie vom Klienten für den Auftrag ausgewählt!<<

      Daniel unterdrückte einen Fluch. Der Whisky würde wohl im Kühlschrank bleiben. Die Nachwirkungen eines entspannt dahin dämmernden Nachmittages auch.

      >>Ja, ein Herr Knäpper von GlobSecure hat sich gerade bei mir gemeldet! Aber Sie sagen, ich habe den Auftrag schon, obwohl mich der Auftraggeber noch nicht gesprochen hat?<<

      >>Ja, so ist es! Ich gratuliere Ihnen. Sie haben einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Ich war überrascht, wie schnell es ging. Ich werde dieses Ergebnis sofort an das Amt für Arbeit melden, damit man Sie von dort nicht unnötig mit lästigen Nachfragen verfolgt. Wenn Sie diesen Job gut erledigen, melden Sie sich unbedingt bei mir. Ich hätte weitere Aufträge dieser Art für Sie!<<

      Damit war die Tür Richtung Ausweg aus dieser Sache zugefallen. Ein Nein würde ihn sofort in finanzielle Nöte treiben und ab dem nächsten Monat zu einem Umzug in eine der Bauruinen am Stadtrand zwingen, die lediglich den Vorteil hatten, dass sie keine Miete kosteten und einem den lästigen Ballast des Eigentums abnahmen. Knäpper oder Bauruine?