Mitten in die politischen Umwälzungen löste sich die DesertTec Industrial Initiative wegen gravierender Meinungsverschiedenheiten zwischen den beteiligten Parteien auf, ausgelöst von den an Stärkung ihrer Macht interessierten beteiligten Konzerne.
Dazu veränderten sich in den Folgejahren die Rahmenbedingungen für Marokko, denn spanische Stromerzeuger lieferten ihre Überproduktionen günstig dorthin, was den Sinn eines schnellen Ausbaus der teuren Solarparks in Marokko infrage stellte. Der Ausbau eines entsprechenden Stromnetzes innerhalb Europas und Regelungen über den europaweiten Import von Strom aus Afrika wurden ebenso politisch nachrangig behandelt.
Terroristische Aktivitäten, die in den Folgejahren immer weiter aus dem algerischen Süden und Mali in den umliegenden Staaten um sich griffen, erschwerten die Weiterentwicklung der Projekte ebenso. Es sah sehr danach aus, dass sich die Ideen und Bestrebungen von DesertTec in Nichts auflösen würden.
Doch manchmal fügen sich zumindest einige Dinge wie von selbst zum gewünschten Bild zusammen. Was immer auf dem Bild auch abgebildet sein sollte.
Hauptsächlich in Folge ihrer Überschuldung und einer langwierigen Weltwirtschaftskrise erklärten mehrere europäische Staaten ihre Zahlungsunfähigkeit. Ein spürbares Erdbeben für alle, das drohte, globalen Schaden in Form von Billionenverlusten anzurichten.
Nicht nur die Wirtschaft war von schweren Erschütterungen bedroht, auch die Vision einer nachhaltigen ökologischen Energieversorgung schien endgültig nicht mehr realisierbar, angesichts der kaum fassbaren absehbaren Kapitalvernichtung.
Banken kollabierten, Unternehmen waren von gewaltigen Zahlungsausfällen bedroht, Massenarbeitslosigkeit die zwangsläufige Folge. Westeuropa erlebte ein wirtschaftliches Albtraumszenario und reagierte in bekannter Weise.
Die Zauberworte lauteten Gläubigerverzicht und Zwangsfinanzierung des Rettungsplans durch Unternehmen und Bürger. Die Reaktion darauf kam von den Kapitalmärkten.
Der in Europa gegründete Sammelfonds ProtectCapital, der einen beträchtlichen Teil der Kreditforderungen gegen die Bankrottstaaten gesammelt hatte, präsentierte der Europäischen Union einen Entschuldungsplan, der Wachstumsmärkte in Europa in den Fokus nahm. Dazu gehörte auch der Bereich der erneuerbaren Energien.
Der Sammelfonds forderte für alle ins Visier genommenen Märkte Mitbestimmung bei Regierungsentscheidungen, dazu insbesondere für den Energiemarkt schnelle Freigaben für den Ausbau von Stromtrassen in Westeuropa, politische Unterstützung für den kontinentalübergreifenden Ausbau, dazu Steuervorteile für entsprechende Projekte und Abnahmegarantien.
Im Gegenzug sicherte der Kapitalfond weitere Investitionen zu, gewährte einen zehnprozentigen Schuldenschnitt und neue Rückzahlungsbedingungen für die Restschulden, durch Übereignung von Staatsflächen für den Bau von Stromtrassen und Speicherwerken.
Die Regierungen Deutschlands, Spaniens und Frankreichs stimmten dem vorgeschlagenen Lösungsweg in gerade übertriebener Hektik zu. Eine Wahl hatten sie im Grunde nicht. Die andere Option wäre ein massiver Kapitalabfluss aus Europa gewesen, der die wirtschaftliche Zukunft der beteiligten Länder infrage gestellt hätte, in denen die Arbeitslosenquoten konsequent stiegen. Damit war der Grundstein für die Gründung von DesertEnergy gelegt, einem rein privatwirtschaftlichen Unternehmen, dessen erklärtes Ziel es war, das DesertTec-Konzept schnellstmöglich so weiter zu entwickeln, dass nachhaltige Stromerzeugung in Nordafrika mehr als fünfzig Prozent des Strombedarfs in den genannten europäischen Ländern binnen dreißig Jahren decken sollte, ein extrem ambitioniertes Ziel, gemessen an den damaligen Rahmenbedingungen.
ProtectCapital lieferte damit die Initialzündung für eine maßgebliche Veränderung auf dem europäischen und dem afrikanischen Kontinent. Zur Umsetzung der Strategie wurde weitere Unternehmen in den beteiligten Ländern gegründet, dazu Tochterunternehmen in Marokko und Algerien, den beiden Ländern, in denen die Stromerzeugung im entsprechenden Umfang installiert werden musste. Dort waren die Regierungen ebenso begeistert über die sich neu eröffnenden Möglichkeiten. Sonnenenergie und Windenergie waren wie Ölquellen. Einfach auszubeuten, weil man nur die Fördergebiete an Unternehmen verpachten musste, die den technischen Kraftakt der Förderung bewerkstelligten. Relativ billige erneuerbare Energie benötigte große Flächen auf dem Festland, in einem politisch stabilen Umfeld, mit der Garantie auf viele Sonnen- und Windstunden. Diese idealen Rahmenbedingungen, abgesehen vom stabilen politischen Umfeld, boten beide Länder.
Das Kooperationsabkommen sah vor, dass die Erzeugerstaaten eine zugesicherte Quote des erzeugten Stroms kostenlos für den Eigenverbrauch bekamen und kein eigenes Kapital für das Projekt einbrachten, stattdessen aber geeignete Flächen im geforderten Maße bereitstellen mussten und dem Projekt mehr oder wenige völlig freie Hand ließen.
Die Dimensionen, in denen DesertEnergy plante, waren gewaltig. Binnen weniger Jahre wurde ohne lästige bürokratische Zwänge auf zwei Kontinenten ein dreistelliger Milliardenbetrag in Energieparks, Speicherwerken und Stromtrassen verbaut.
Das Unternehmen konnte damit von sich behaupten, maßgeblich für das erneute Wirtschaftswachstum in Europa verantwortlich zu sein. Energie war das Blut der Wirtschaft. Und DesertEnergy besaß viel davon, sehr viel. Und mehrte seinen flüchtigen Besitz ständig.
Zehn Jahre später hatte DesertEnergy einen bemerkenswerten Fortschritt erzielt. Die installierte Leistung der insgesamt sechzig Energieparks in Marokko und Algerien reicht bereits aus, fünfzig Prozent des Strombedarfs in den Erzeugerländern bereitzustellen. Zusammen mit Anlagen, die erneuerbare Energien in Deutschland, Frankreich und Spanien erzeugten, konnten bereits fast dreißig Prozent des Strombedarfs in den Bezugsländern über regenerative Quellen bereitgestellt werden.
Der Strom wurde über bipolare Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen, HGÜ-Leitungen, aus Afrika nach Europa geliefert, die nördlich der Hafenanlage TangerMed in Marokko und westlich von Oran in Algerien ins Mittelmeer führten.
Binnen einer Dekade war ein gigantischer Konzern entstanden, der für die zukünftige Energiesicherheit dreier großer europäischer Staaten verantwortlich war.
Die Energiewende, das ambitionierte Ziel des Ausstiegs aus der nicht regenerativen Energieerzeugung, in Deutschland durch den Ausstieg aus Atomenergie und dem Beschluss zum Ausstieg aus der Kohleverstromung im Inland begonnen, quälend langsam und teuer durchgeführt, hatte damit endlich eine wirtschaftlich tragfähige Grundlage.
Der Fluch der Flüchtigkeit, die mangelnde Lagerfähigkeit von Strom, wurde durch gewaltige Speichersysteme bekämpft, in denen mit Hilfe von Stromüberschuss erzeugtes Methangas oder Wasserstoff gelagert wurde. In Zeiten ausbleibender Winde und fehlender Sonneneinstrahlung wurden diese Energieträger in Stromkraftwerken für die Stromerzeugung eingesetzt.
Konsequente Investitionen in Forschung und Entwicklung hatten DesertEnergy damit in die Lage versetzt, die Effizienz von Windrädern, Solarzellen und Brennstoffzellen maßgeblich zu steigern, moderne Stromnetze zu errichten und durch Speichersysteme für Versorgungssicherheit des eigenen Anteils am Gesamtbedarf zu sorgen.
Zum zehnjährigen Firmenjubiläum würdigte Frederic Jacobs, Anteilseigner und CEO, Vorstandsvorsitzender, der DesertEnergy, die erreichten Ziele des gesamten Konzerns und gab einen Ausblick auf die nächsten zehn Jahre. Das angestrebte Ziel der nächsten Dekade war die Bereitstellung der Hälfte des benötigten Stroms für die drei Abnehmerländer und die Vollversorgung der Erzeugerländer. Darüber hinaus wird die Expansion in weitere Länder Europas angestrebt. Neue Energieparks und weitere HGÜ-Leitungen sind im Ausbau.
Daniel legte das Heft zur Seite und schaute