„Dann komm doch einfach mit uns“, sagten die Mädchen. „In der Zwischenzeit kannst Du uns ja beim Beerensammeln helfen“, antworteten sie kichernd. Mit vollen Körben kehrten sie gegen Nachmittag ins Dorf zurück, vorbei an großen abgeernteten Getreidefeldern. Dabei fiel ihm auf, dass eine von ihnen einen schönen grün schimmernden Schmuck an ihrem Halsband trug. Einen Stein, wie er ihn erst vor Kurzem gefunden und seiner Mutter ins Grab gelegt hatte.
Im Dorf wurde kein großes Aufheben um den Neuankömmling gemacht. Offenbar waren die Dorfbewohner an Fremde gewöhnt. „Suchst Du auch Arbeit in der Mine?“ wurde er mehrfach gefragt. Wobei Gilger dann jedes Mal ein unbestimmtes „Ja“ brummte. Denn er wusste nicht, was darunter zu verstehen ist, wollte seine Unwissenheit aber nicht zugeben. Ihn erstaunten die riesigen Felder, die in keinem Verhältnis zur Größe des Dorfes standen. So viel konnten die Menschen hier auf keinen Fall selbst verzehren.
In sein Auge stachen die hübschen Mädchen und Frauen, von denen sich einige mit den schönen grünen Steinen geschmückt hatten. Andererseits sah er nur wenige Männer. Er fragte das Mädchen, das er als erstes mit dem grün schimmernden Halsschmuck gesehen hatte, nach der Herkunft dieser schimmernden Schmuckstücke.
„Sie sind alle von der Mine. Unsere Männer bringen sie manchmal mit; wenn sie uns eine besondere Freude machen wollen“.
„Oder wenn sie eine ganz besondere Freude von uns erwarten…“ kicherte ihre Freundin. „Hast Du denn keinen mitgebracht?“ fragte sie ihn, in dem sie ihn schelmisch ansah und dabei leicht mit ihren Hüften kreiste. „Die Mine, wo ist denn die?“ stammelte Gilger, dem plötzlich die Röte ins Gesicht stieg.
IV
Am Morgen nach dem Fest regnete es in Strömen, heftige Windböen schlugen Äste und Zweige umher, ein kalter Wind pfiff in Öcetims Lager und weckte ihn unsanft. Öcetim kauerte sich eng in seinen Umhang, am liebsten wäre er bei dem scheußlichen Wetter liegen geblieben; zumal sein Schädel brummte und ihm nicht wohl war. Doch er hatte sich mit Celso verabredet – und mit dem Kahlköpfigen schien nicht zu spaßen zu sein. Schon früh am Morgen wollten sie aufbrechen. Celso, er und noch ein paar Jungen in seinem Alter, hatte Celso gesagt. Missgelaunt und nur notdürftig gewaschen zog er über seine Felljacke einen aus Schilfgras selbst gefertigten Umhang, der ihn gegen Wind und Regen schützte.
Mit geringer Verspätung kam Öcetim zum ausgemachten Treffpunkt. Verlassen lag die Siedlung da, kein Mensch war zu sehen, nur aus den Hütten quoll Rauch, die Leute zogen es offensichtlich vor, ihren Rausch auszuschlafen. Öcetim überlegte, ob er nicht zurück zu seinem Lagerplatz gehen sollte. Sollte er wirklich tagelang in solch einem Regen marschieren, sich durch den Matsch quälen, um zu einer Mine zu gelangen, wo ihn eine ungewisse Zukunft erwartete? Was ihm noch vor wenigen Tagen verlockend erschien, ängstigte ihn nun zunehmend. Ihm schien, als wolle ihm der Regengott ein Zeichen geben, dass er nicht zu den Minen gehen solle - zumindest jetzt noch nicht.
Von Zweifeln geplagt wollte Öcetim schon dem Wink des Wettergottes folgen und seine Schritte zurück zu seinem einfachen Lager wenden, als Celso mit zwei jungen Männern um die Ecke bog. „Einer ist wohl abgehauen, ein Hasenfuß, der die neue Welt nicht erleben will. Den Feigling werde ich mir bei nächster Gelegenheit vorknöpfen, zumal er mir noch zwei Hände voll Rad schuldet“, brummte Celso mit drohendem Unterton, während seine Hände einem imaginären Burschen den Hals umzudrehen schienen. „Wir gehen. Der Hinkende dort ist Gilger und der dort heißt Hirgelo, der Andere nennt sich Öcetim, und wenn einer umkehren will, dann schlag ich ihm den Schädel ein! Jetzt aber los! Dass mir ja keiner schlapp macht, in der Mine werdet ihr schon erwartet.“
Schweigend stapften Celso und die drei jungen Burschen im Gänsemarsch durch den Wald. Vereinzelt war ein Ächzen und ein Stöhnen zu hören, als wollten die Waldgeister ihr Mitleid mit dem kleinen, von Wind und Regen zerzausten Trupp ausdrücken. Kein Wild war zu sehen, die Tiere hatten einen trockenen Unterschlupf gesucht. Der Regen peitschte ihnen ins Gesicht, das Wasser rann unter ihren Kleidern kalt am Körper herunter. Mit hohem Tempo lief Celso voraus, blickte aber immer wieder zurück, um sich zu vergewissern, dass auch alle mitkamen und keiner sich verdrückte.
Das Sonnenlicht war schon verschwunden, als sie spätabends unter einem Felsüberhang Schutz vor dem nicht nachlassenden Regen suchten. Vom langen und anstrengenden Marsch erschöpft, ließen sich die drei jungen Burschen auf ein trockenes Fleckchen Erde fallen. Auch Celso gesellte sich zu ihnen. „Habt Ihr auch Proviant dabei?“ fragte er die Jungen und zog eine Hammelkeule aus seinem Beutel. „Wenn nicht, dann müsst Ihr Euch was besorgen, Jagdwaffen habt Ihr ja.“
Die nächsten beiden Tage regnete es ununterbrochen weiter. Die Rastpausen waren ähnlich ungemütlich wie die erste, doch fanden sie immer ein einigermaßen trockenes Plätzchen zum Schlafen und ein paar kleine Tiere und Wurzeln, aus denen sie ein Abendessen zubereiten konnten. Während dieses dreitägigen anstrengenden Marsches lernten sich die drei jungen Männer kennen. Ihren Führer Celso hatten sie alle auf dieselbe Weise kennen gelernt. Alle hatte er trickreich genötigt, mit ihm zu kommen, um in der Mine zu arbeiten. Keiner hatte bisher von einer Mine gehört. Die neue Art der Arbeit und die seltsamen Steine, die aus der Erde gefördert werden mussten, interessierten sie und regten ihre Phantasie an. Wenn sie Celso danach fragten, brummte der nur unverständliche Worte und wies sie darauf hin, dass sie schlafen und ihre Kräfte schonen sollten.
Am letzten Tag ihres Marsches hatte endlich der Regen aufgehört, der Wald dampfte vor Feuchtigkeit und es schien, als wollten die Vögel um die Wette singen. Die Sonne wärmte die Körper der noch Schlaftrunkenen, die sich nach der Nässe und Kälte wie neugeboren fühlten. Nur mit ihren Lendenschürzen bekleidet sprangen sie wie kleine Kinder auf einer Waldlichtung umher und erfrischten sich in einem klaren See. Celso knurrte und schimpfte wegen dieses jugendlichen Übermuts und mahnte zur Eile. Nach einem Frühstück mit gebratenen Wachteln und einem Stück Fladenbrot, das Celso jetzt großzügig mit den drei jungen Männern teilte, zogen sie wieder los.
In der Ferne war ein Hügel erkennbar, er sah irgendwie seltsam aus, auch die Landschaft hatte sich verändert. An manchen Stellen wuchsen die Bäume nur zu geringer Höhe, als ob der Boden sie schlecht ernährte.
Ihr Weg führte stetig bergauf, oben gab es keinen Wald mehr, der war komplett abgeholzt worden. In der Ferne waren einige Feuer zu erkennen, wuchtige Schläge waren zu hören und Öcetim nahm einen schwefeligen Geruch wahr. Gelegentlich trafen sie auf Menschen, die ihnen einzeln oder in Gruppen entgegen kamen. Sie wechselten mit Celso ein paar Grußworte, die drei Jungs sahen sie mit einem Ausdruck des Bedauerns an, sagten zu ihnen aber kein Wort. Manchmal überholten sie Frauen, die Fladenbrot und in irdenen Krügen Pastosaako trugen; einmal auch einen Jungen, der vier Ziegen bergauf trieb.
Bestimmt waren diese Nahrungsmittel für die Mineure, die im oder am Berg arbeiteten und deshalb keine Zeit hatten, sich um ihr Essen zu kümmern. Das würde ihnen von der „Leitung“ gestellt, fühlte sich Celso auf ihre Fragen genötigt zu sagen. Gegen Mittag des vierten Tages traf der kleine Trupp auf einem Sammelplatz ein.
Überall wurde in der Erde gegraben, gebuddelt und Steine aus der Erde geschleppt, ohne Rücksicht auf die Erdgöttin. Die Haut der Mutter Erde war übersät mit Kratern, wie offene Wunden sahen die Gruben aus. Außerdem standen an kleinen Rinnsalen sowohl alte und kaputte, aber auch neue Öfen aus Steinen und Lehm, in einigen brannte Feuer, stinkender Rauch stieg in den blauen Himmel empor.
Ein dicker, wichtig dreinblickender Mann kam auf sie zu, begrüßte Celso mit Handschlag und warf prüfende Blicke auf Öcetim, Gilger und Hirgelo. „Mehr als diese drei Hänflinge hast Du nicht mitgebracht? Wir hätten mehr gebrauchen können. Na ja, sie werden dann eben doppelt arbeiten müssen“, meinte der Dicke.
„Mein verehrter Marabeo“, entgegnete