»Ich helfe ihm«, sagte ich. »Außerdem kommt Noah auch gleich, und dann können wir gemeinsam starten.«
»Einverstanden«, sagte Mathilde, »dann soll es für heute mal mit dem Sortieren gut sein, sobald Noah da ist. Jos Mutter hat sich nämlich nur mit viel Überredungskunst dazu bereit erklärt, Jo erst um 17:00 Uhr wieder abzuholen. Ich habe ihr erklärt, dass ich Jo zuerst den Laden zeigen und sein System erklären muss, bevor er anfangen kann, aber das klappt nicht jedes Mal! Jetzt müsst ihr euch was ausdenken.«
»Kein Problem, das schaffe ich«, sagte Jo und grinste. »Ich sage ihr einfach, dass der Laden unglaublich ist und ich gerne etwas öfter kommen und länger bleiben würde, um Schmökern zu können. Und davon ist kein einziges Wort gelogen.« Er strahlte uns an. »Hallo, Vulkanchen, übrigens!«
Ich lachte. »Hallo, Jo. Womit fangen wir an?«
Mathilde ließ uns alleine und wir wandten uns den Bergen von Büchern zu, die sich auf dem Boden vor zwei Regalen stapelten. Nach kurzem Überlegen einigten wir uns darauf, alle, die uns nicht interessant vorkamen, in das linke und alle anderen in das rechte Regal zu packen und sie dann nach den Kriterien „über die Region“ und „über unsere Stadt“ zu ordnen.
»Wie hat deine Mutter auf den Buchladen reagiert?«, erkundigte ich mich und packte ein Buch nach kurzem Zögern in das Regal der interessanten Werke.
»Erstaunlich gut.« Jo lehnte sich vorsichtig an das Regal, dem er am nächsten war, um seine Arme zu entlasten. »Zuerst war sie etwas befremdet über das Chaos, das hier herrscht, aber Mathilde hat auf hilflose alte Frau gemacht, uns herumgeführt und immer wieder darauf hingewiesen, wie viel Arbeit es hier gäbe und wie sehr sie Hilfe benötige. Zum Abschluss hat sie meiner Mutter dann auch noch einen historischen Liebesroman aufgenötigt und ich glaube, das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, denn daraufhin hat mein Mutternator eiligst die Flucht ergriffen.«
Ich lachte schallend bei der Vorstellung und Jo stimmte ein. Es war gut, wieder zusammen zu sein. Ich merkte erst jetzt, wie sehr ich das vermisst hatte. Sicher, wir hatten uns täglich in der Schule gesehen, aber das hier war etwas ganz anderes.
»Das klingt weder nach Langeweile, noch nach Arbeit«, ertönte da Noahs Stimme hinter uns. Er grinste über das ganze Gesicht. »Was ist so witzig?«, erkundigte er sich.
Jo erklärte es ihm.
»Da wir jetzt vollzählig sind, sollten wir in den Raum der Bücher gehen. Wir haben nicht mehr viel Zeit«, schlug ich vor und hielt nach Mathilde Ausschau. Sie erschien wie aufs Stichwort mit ihrem Schlüsselring. Dieser war mit unzähligen Schlüsseln bestückt, die man alle benötigte, um die Tür zum geheimen Raum der Bücher zu öffnen. Mathilde ging vor und wir folgten ihr. Mit jedem Gang, den sie nahm, wurde ich verwirrter. Eigentlich war es unmöglich und trotzdem hatte ich das Gefühl, als befände sich der Raum plötzlich in einem anderen Teil des Buchladens.
»Mathilde, ich meine, es ist Ihr Laden und Sie kennen ihn garantiert wie Ihre Westentaschen, aber ich glaube trotzdem, dass wir in die falsche Richtung gehen«, sagte Jo vorsichtig und sprach damit aus, was ich gedacht hatte.
»Richtig, ich kenne ihn und jeden seiner Winkel ganz genau«, stimmte Mathilde ihm zu. »Daher ist es für mich unmöglich, mich zu verlaufen. Hier sind wir.« Sie hielt vor der hohen schweren Holztür und steckte den ersten Schlüssel in das Schlüsselloch.
Jo sah mich verblüfft an, doch ich konnte auch nur ratlos den Kopf schütteln. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Mathilde zu. Sie steckte gerade den nächsten Schlüssel des Rings ins Schloss. Um die Tür zu entriegeln, waren alle Schlüssel nötig, und wie immer bewegte Mathilde sie alle in unterschiedliche Richtungen. Als sie endlich fertig war, öffnete sich die Tür und wir betraten den Raum. In dem enormen, halbrunden Kamin, der sich direkt gegenüber dem Eingang befand und dessen Abzugsschacht im Dach verschwand, hing wie immer ein Kessel über den Resten eines erloschenen Feuers. In den verschiedenen Regalen und Glasvitrinen rechts von ihm, gab es alle möglichen (und unmöglichen) Gerätschaften, Kräuter, Tiegel und Flaschen. Der Rest der Wände war bis fast unter die Decke mit vollen Bücherregalen bedeckt. Es war heute schummeriger im Raum als sonst, denn durch die Buntglasfenster knapp unter dem Dach fiel kein Licht. Draußen wurde es bereits dunkel. Wir hatten nicht mehr viel Zeit.
Mathilde machte für uns das Licht an. »Bevor ihr anfangt ...« Sie kam mit uns in den Raum und schloss die Tür. Gespannt sah ich sie an, denn das tat sie nur, wenn es etwas Wichtiges gab, dass sie uns mitteilen wollte. Aus einem Grund, den wir auch noch nicht herausgefunden hatten, sagte sie es uns nie im Laden selbst. »Dieser Raum hat den Platz gewechselt«, erklärte sie, »weil Christina im Sommer von dem alten Standort aus in die Zwischenwelt gegangen ist. Nun ist es für die dunklen Wesen die dort lauern, und Christinas Ankunft vielleicht bemerkt haben, unmöglich ihr zu folgen, denn auch das Tor ist nicht mehr dort, wo es vorher war. Und nun lasse ich euch arbeiten. Ich gebe euch Bescheid, wenn Jos Mutter in der Nähe ist.« Sie lächelte uns noch einmal zu, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.
Ich sah ihr einen Augenblick nach und überlegte wieder einmal, warum sie uns solche Dinge nur hier im Raum der Bücher mitteilte. Er war zwar so isoliert, dass noch nicht einmal unsere Handys Empfang hatten, doch im Laden war niemand, der uns hätte belauschen können.
>Niemand, aber vielleicht etwas<, sagte die Wächterin nachdenklich.
Ich stutzte. Vielleicht war nicht nur der Raum der Bücher magisch, sondern der ganze Buchladen. Möglicherweise gab es wirklich etwas, das zuhörte. Ich beschloss, Mathilde irgendwann danach zu fragen, aber momentan hatten wir Wichtigeres zu tun.
Ich drehte mich zu Jo und Noah. »Auf geht's!«
Noah griff nach dem Karteikasten und Jo war bereits auf dem Weg zu dem großen Holztisch mit den Leselampen, der direkt unter dem gigantischen Kronleuchter stand, welcher an einer dicken Metallkette von der Decke hing. Jo machte die Lampen an, ließ sich auf einen der Stühle fallen und ich setzte mich neben ihn. Noah stellte den Karteikasten vor uns auf den Tisch und nahm neben mir Platz.
Ich zog eine Karte mit der Aufschrift „Dämonen“ aus dem Kasten und fragte: »Welches Ritual muss ich durchführen, um getarnte Dämonen zu erkennen?«
»Die Wächterin kann sie spüren«, erschien sofort auf der Karte.
»Das wissen wir bereits«, sagte Jo. »In diesem Fall kann sie es aber eben nicht.«
Ich ignorierte ihn, steckte die Karte wieder weg und nahm eine mit der Aufschrift „Allgemein“. Wahrscheinlich musste ich weiter vorne anfangen. »Welches Ritual muss ich durchführen, um meinen noch nicht aktivierten Sinn, zum Aufspüren von Dämonen, zu wecken?« Jo sah mich anerkennend an. Noah lächelte.
Wie immer erschien die Antwort postwendend: »Dieser Sinn aktiviert sich von selbst, aber bis es so weit ist, kann die Wächterin die Zeit mit einem Trank überbrücken. Die Wirkung des Tranks hält so lange an, bis der Sinn der Wächterin aktiv ist. Ritual zum Brauen des Tranks: Siehe Arbeitsbuch zur großen Dämonenenzyklopädie, erster Teil: Aufdecken des wahren Seins, 5. Regal links, 2. Brett, Seite 10 und folgende«, las ich laut.
Noah erhob sich, ging zu dem genannten Regal und kam mit dem Buch zurück. Er öffnete es und legte es vor mich hin. All das passierte automatisch, es war so, als wären wir erst gestern zum letzten Mal im Raum gewesen. Noah holte die Bücher, Jo machte seine Kommentare und ich, ja, was war mit mir? Ich hatte plötzlich keine Angst mehr davor, Rituale auszuprobieren. Im Gegenteil, ich freute mich darauf!
>Wurde auch Zeit<, bemerkte die Wächterin.
»Soll ich lesen?«, fragte Jo eifrig.
Ich