Ich schenkte Michelle, die mir einen Blick über die Schulter zuwarf, ein aufmüpfiges Lächeln, das mir allerdings fast gefror, als ich den Ausdruck sah, der daraufhin über ihr Gesicht glitt. Ich fragte mich unbehaglich, ob ich das irgendwann bereuen würde.
>Du bist ein hoffnungsloser Fall<, sagte die Wächterin. Ihre Stimme klang resigniert.
Jo rückte ein Stückchen näher zu mir und murmelte: »Also entweder ist Herr von Kastanienburg unglaublich naiv, oder er kennt sein Töchterchen überhaupt nicht. Er denkt doch wohl nicht wirklich, dass Sylvia vor Freude jubiliert, wenn wir sie besuchen, oder?« Er warf mir einen Blick zu und stöhnte. »Aber genau das werden wir tun, richtig?«
Ich nickte.
»Mir fällt da noch was ein«, sagte Herr Dr. Katzhausen und sah mich an: »Sylvia wird nun für eine ganze Weile ausfallen, daher braucht unsere Tennisschulmannschaft dringend Verstärkung. Wie sieht es aus, Christina? Es ist immer gut, eine Bezirksmeisterin in der Mannschaft zu haben, aber jetzt wäre es besonders wichtig.«
Mein Gesicht, das gerade erst seine normale Farbe zurückgewonnen hatte, begann erneut zu glühen und ich murmelte etwas Unverständliches.
»Überlege es dir«, meinte Herr Dr. Katzhausen freundlich und wandte sich endgültig dem Klassenbuch zu.
Ich betrachtete angestrengt, wie er es aufschlug und etwas eintrug, dann gab ich auf. Ich schaute hinüber zu Jo, der mich mit verschränkten Armen ansah.
»Bezirksmeisterin«, formulierte er tonlos und zog die Augenbrauen hoch.
»Ja, OK, ich spiele gut«, flüsterte ich. »Mach einfach keine große Sache daraus!«
»Ich doch nicht«, entgegnete Jo ebenso leise. »Aber ich befürchte, bei unseren sonnenlosen Planeten hat diese Nachricht gerade ein Erdbeben ausgelöst und ihr Weltbild arg ins Wanken gebracht.«
Ich sah hinüber zu Sylvias Fan Club. Jo hatte Recht. Ramona, Michelle und Janine starrten mit offenem Mund zu mir herüber und sahen schnell nach vorne, als sie bemerkten, dass ich sie ertappt hatte.
»So viel dazu, dass nur populäre Menschen fähig sind, Tennis zu spielen«, sagte Jo wesentlich lauter, als mir lieb war. Doch Dr. Katzhausen beschloss, den Einwurf nicht zu kommentieren, und auch Ramona, Michelle und Janine ignorierten ihn.
Nach Schulschluss standen Jo, Noah und ich vor der Schule und warteten auf Frau Dräxler, die sich erstaunlicherweise verspätete. Ich hibbelte herum und stampfte mit den Füßen, denn mir war kalt und obwohl mir klar war, dass es albern aussah, ruderte ich auch noch mit den Armen.
»Du tust gerade so, als wäre eine neue Eiszeit ausgebrochen«, sagte Jo kopfschüttelnd.
Während er zu Hause essen würde, wollten Noah und ich in ein neu eröffnetes Café, das sich nur eine Querstraße von der Schule entfernt befand. Wir hatten gehört, dass dort nicht nur die typischen Snacks, sondern auch Hausmannskost zum kleinen Preis angeboten wurde, was nach einer echten Alternative zur Schulkantine klang. Wer auch immer das Café eröffnet hatte, wusste, dass unzählige Schüler das Essen in der Schulkantine nicht mehr sehen konnten, und hatte dementsprechend reagiert. Gerade, als Frau Dräxlers Auto vorfuhr, erklang hinter uns die Stimme von Michel Petersen: »Wir haben dich scheinbar unterschätzt, Brillenschlange, obwohl es mir im Moment schwerfällt, das zu glauben!«
Ich hörte auf, mit den Armen zu rudern, und drehte mich um. Noah und Jo stellten sich neben mich. Durch die Nachricht von Sylvias Unfall und vor lauter Freude über Jos Freiheit, hatten wir total vergessen, Michel und Klaus im Auge zu behalten. Jetzt war es zu spät für Fluchtpläne. Michel lehnte nur eine Armeslänge von mir entfernt am Zaun, der den Schulhof umgab. Sein Freund Klaus Müller stand einen Schritt hinter ihm. Klaus machte ein mürrisches Gesicht und schien Michel am Weitersprechen hindern zu wollen, doch dieser warf seinem Kumpel nur einen warnenden Blick zu, wandte sich dann wieder an mich und sagte: »Falls du dich entschließen solltest, für unsere Schule Tennis zu spielen, hast du Schonfrist bis zu den Schulmeisterschaften. Wenn wir die gewinnen, könnten wir uns dazu durchringen, dich von unserer Liste zu streichen. Falls nicht …« Er ballte seine Fäuste.
»Das gilt übrigens nicht für den Ausländer und das Badekappenkind da neben dir«, sagte Klaus, bevor Michel fortfahren konnte.
»Was gilt nicht für wen?«, erkundigte sich Frau Dräxler, die plötzlich hinter uns stand.
Wir hatten sie nicht bemerkt, weil unsere ganze Aufmerksamkeit Michel und Klaus galt, bei denen man nie wusste, was sie als Nächstes tun würden.
»Was sag ich?«, sagte Klaus zu Michel und dieser brach in spöttisches Gelächter aus. Dann gingen beide ihres Weges, nicht ohne vorher noch Noah kräftig anzurempeln.
»Entweder alle oder kein Deal«, rief ich Michel und Klaus hinterher, wartete aber ihre Reaktion nicht ab, sondern wandte mich zu Frau Dräxler und Jo.
Frau Dräxler sah fragend in die Runde, doch keiner von uns hatte vor, sie aufzuklären.
»Dir ist klar, dass du meinen sozialen Status ruinierst, oder?«, erkundigte sich Jo stattdessen missmutig bei ihr.
»Du wirst es überleben«, erwiderte Frau Dräxler, aber es klang nachdenklich. »Und ihr zwei, fahrt ihr auch nach Hause? Soll ich euch mitnehmen?«, wandte sie sich Noah und mich.
Noah warf mir einen überraschten Blick zu, dann schüttelten wir die Köpfe.
»Danke, aber wir wollen ein neu eröffnetes Café ausprobieren. Es ist hier ganz in der Nähe. Ich habe heute Nachmittag Fußballtraining und schaffe es nicht, zwischendurch nach Hause zu fahren«, sagte Noah höflich.
»Ich werde ihn begleiten, denn meine Mutter ist mit der Vorbereitung der Ausstellung im Museum ausgelastet und kocht erst heute Abend«, fügte ich hinzu.
»Falls dir mein Sozialleben doch irgendetwas bedeuten sollte, könntest du darüber nachdenken, mich an den Tagen, an denen ich keinen Strafdienst schieben muss, auch dort essen zu lassen«, sagte Jo.
»Übertreibe es nicht!«, warnte seine Mutter. »Sei froh und glücklich, dass du wieder vor die Tür darfst! Und jetzt beeile dich bitte. Ich möchte nicht, dass du nachher zu spät kommst.«
Jo warf uns einen letzten, vielsagenden Blick zu und folgte dann seiner Mutter zum Auto.
Kapitel 3• Café "La Cuisine"
Noah und ich machten uns auf den Weg und hatten das neue Café schnell erreicht. Es war in einem Eckladen im Erdgeschoss eines Mietshauses untergebracht und im Stil alter französischer Straßencafés aufgemacht. Die uns zugewandte Front des Cafés war in gedecktem lindgrün gestrichen und dort, wo sich die Fenster befanden, war die Mauer zurückversetzt, so dass sie eine Nische bildete, in der eine Holzbank mit weinroten Kissen stand. Vor der Bank befanden sich drei runde, weiße Eisentische mit verschnörkelten Füßen und darum verteilt standen Eisenstühle im gleichen Stil, mit gleichfarbigen Kissen bestückt. Ich fragte mich, wer sich bei dieser Eiseskälte nach draußen setzen sollte, musste aber zugeben, dass die Dekoration super aussah. Die Fenster des Cafés waren umgeben von lindgrünen Holzrahmen. Der Eingang befand sich genau an der Ecke des Hauses. Auf die Wände rechts und links davon waren Frauen im Jugendstil gemalt worden. Sie erinnerten mich an Feen. Über dem Café, direkt unterhalb des ersten Stockwerks, befand sich sowohl zur optischen Trennung als auch zum Schutz vor Regen, ein schmales Glasdach mit unzähligen grünen Streben, das mich an Libellenflügel erinnerte. Direkt unter dem Glasdach, auf einem schwarzen Schild mit verschnörkeltem Rahmen, stand in geschwungener Schrift: "La Cuisine". Noah und ich näherten