»Ich habe mich schon angemeldet, direkt nach der Schule.« Ich fuhr fort, bevor Jo etwas erwidern konnte: »Und ich frage mich, ob du Pater Daniel auch dann begegnet wärst, wenn ich es nicht getan hätte.«
»Du meinst, es geht wieder los?«
Ich konnte sowohl Aufregung als auch Unbehagen in Jos Stimme hören.
»Nichts passiert zufällig«, erinnerte ich ihn. »Ich glaube, durch den Entschluss weiterzumachen, habe ich alles wieder in Schwung gebracht. Wenn ich nämlich ganz ehrlich bin, war ein Grund für meine Weigerung, mich im Tennisclub anzumelden, dass ich mich so keinem neuen Wesen stellen musste. Der Hausarrest hat es verhindert.«
>Hört, hört!<, ließ sich die Wächterin vernehmen.
Ich ignorierte sie und sprach weiter: »Es ist, wie Domino spielen. Der erste Stein bringt alles ins Rollen.«
»Und da ist sie wieder, die Gänsehaut der Vorahnung, die ich so vermisst habe.« Jo seufzte dramatisch.
Ich musste lachen. »Ich werde mal Noah anrufen und ihm mitteilen, dass morgen der Buchladen auf dem Programm steht, nur für den Fall, dass er was anderes vorhat.«
»Ach komm, Vulkanchen, was soll Noah schon vorhaben?«, erkundigte sich Jo. »Der wird begeistert sein, dass endlich wieder etwas Interessantes ansteht!«
Ich war mir da nicht so sicher. Im Gegensatz zu mir, die mit einer dicken Brille und fest betonierter Zahnspange gestraft war, war Noah, mit seinen schwarzen Haaren und leicht schrägen, dunklen Augen, attraktiv. Und im Gegensatz zu Jo, der durch seine Gehbehinderung keinen Sport treiben konnte, war Noah fit wie ein Turnschuh. Er hatte sich für die Fußballmannschaft der Schule qualifiziert, was Jo entweder vergessen oder verdrängt hatte, und es war somit durchaus möglich, dass er bereits etwas vorhatte. Zumal Sylvia nicht lockerließ und immer wieder versuchte, ihn von uns wegzulotsen. Noah hatte zwar versichert, dass er nicht daran interessiert war, zum Fan Club von Sylvia überzulaufen, aber ich verspürte einen leisen Stich bei dem Gedanken, dass es ihr vielleicht doch noch gelingen könnte, ihn in ihre Fänge zu bekommen.
Das alles sagte ich Jo allerdings nicht, sondern fragte stattdessen: »Wann sollst du im Buchladen sein?«
»Gegen vierzehn Uhr. Meine Mutter fährt mich nach dem Mittagessen hin.«
»OK.« Ich streichelte Kleine, die zu mir auf die Insel gesprungen war, um an mein Brot zu gelangen, übers Köpfchen und schob sie ein Stück von mir. »Ich sage Noah Bescheid. Wir sehen uns morgen in der Schule.«
Jo verabschiedete sich und wir legten auf. Auch wenn es schien, als ob wieder Gefahr im Verzug war, hatte sich meine Laune deutlich gebessert.
Kapitel 2• Planeten ohne Sonne
Bevor ich Noah anrief, schubste ich Kleine, die langsam aufdringlich wurde, von der Insel und vertilgte mein Brot. Mein Magen ließ sich dadurch besänftigen und gab das Knurren endlich auf. Das Fischbrötchen, das ich mir auf dem Weg zum Tennisclub besorgt hatte, war ihm eindeutig zu wenig gewesen. Ich sprang von der Kücheninsel, holte den Orangensaft aus dem Kühlschrank und kippte ein bisschen hinterher, direkt aus der Flasche, was meine Mutter hasste. Es bereitete mir ein klein wenig Genugtuung. Schließlich wählte ich Noahs Nummer.
Er nahm bereits nach dem zweiten Klingeln ab. »Hallo Christina. Ist etwas passiert? Ich hatte so ein Gefühl.«
»Kompliment«, sagte ich und fügte schnell hinzu: »Keine Sorge, es ist nichts Schlimmes!«
Ich hörte, wie Noah aufatmete.
»Schieß' los«, sagte er.
»Ich habe mich endlich aufgerafft und für die Aufnahmeprüfung der Tennismannschaft angemeldet und Jo hat gerade angerufen. Sein Hausarrest ist fast aufgehoben!«, berichtete ich, während ich in mein Zimmer ging und mich aufs Bett schmiss.
»Was genau bedeutet fast?«, wollte Noah wissen und ich erklärte es ihm.
»Das ist doch schon mal ein Anfang. Wir sind also wieder im Spiel«, sagte er, nachdem ich geendet hatte. »Ich komme morgen allerdings etwas später, denn ich habe Fußballtraining.«
»Für mich ist das kein Problem«, erwiderte ich, obwohl ich insgeheim gehofft hatte, dass Jos Vermutung stimmen könnte und Noah begeisterter reagieren würde. Ich setzte mich auf und fuhr fort: »Aber Jo wird das wahrscheinlich falsch verstehen. Willst du ihm nicht lieber sagen, dass du zum Zahnarzt musst?«
»Jeden Dienstag und Donnerstag?«, erkundigte sich Noah. »Das ist doch Blödsinn. Ich spiele Fußball und du wirst Tennis spielen. Das ist die Wahrheit und mit der muss Jo klarkommen.«
»Wenn ich im Team aufgenommen werde«, entgegnete ich pro forma und warf einen Blick zu meinem Tennisschläger.
»Zweifelst du daran?«, erkundigte sich Noah.
»Nein«, gab ich zu und seufzte. »Ich befürchte, ich werde Sylvia auch nach der Schule ertragen müssen.«
»Siehst du.«
Ich wusste, dass er recht hatte, trotzdem konnte ich nicht anders und sagte: »Ja, aber Jo ist alleine. Er hat nichts, was er nach der Schule unternehmen kann.«
»Doch, hat er«, entgegnete Noah. »Ich denke, Pater Daniel hat das mit dem Ordnen der Bücher nicht nur vorgeschlagen, damit Jos Hausarrest aufgehoben wird. Jo liebt Bücher. Erinnerst du dich an das erste Mal, als wir bei Mathilde im Buchladen waren? Jo hat gesagt, er würde darin gerne tagelang stöbern. Nun kann er es.«
Ich merkte erstaunt auf. So hatte ich das noch gar nicht gesehen. »Stimmt. Dann bleiben wir bei der Wahrheit. Wir sehen uns morgen in der Schule.«
Noah verabschiedete sich und legte auf. Ich überlegte, ob ich mir noch ein Brot machen sollte, beschloss aber, zu warten. Wenn meine Mutter in den nächsten zwei Stunden nicht nach Hause kam, würde es im wahrsten Sinne des Wortes Abendbrot geben. Und bis dahin, hatte ich Zeit, die Schularbeiten zu machen.
Meine Mutter kam gerade, als ich auf dem Weg zur Küche war, und brachte Pizza mit, was definitiv besser war als Brot und mich fast vergessen ließ, dass ich sauer auf sie war.
»Entschuldige, Tinchen. Wolfgang ... von Kastanienburg hat mir heute noch zwei Möbelstücke aus dem Jugendzimmer seiner Urgroßmutter mitgebracht, um die Ausstellung ein bisschen zu erweitern. Bei einem davon, einem traumhaft schönen Biedermeier Schreibtisch, war die Rückwand total zerstört. Es sieht fast so aus, als hätte sich etwas daraus mit Zähnen und Klauen befreien wollen.« Sie stellte die Pizzaschachtel auf die Kücheninsel und sprach sofort weiter: »Ich habe mit der Grundrestauration angefangen und werde wohl auch morgen und übermorgen spät kommen, sonst schaffe ich es nicht mehr bis die Ausstellung eröffnet wird. Daher gibt es zur Entschädigung Pizza. Holst du mal Teller?«
Ich nickte wortlos. Mein ganzer Körper war mit einer Gänsehaut überzogen. Ein Schreibtisch, der einer ehemaligen Wächterin gehört hatte und aussah, als hätte sich etwas daraus befreit? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Meine innere Wächterin schien der gleichen Meinung zu sein, denn ich konnte regelrecht spüren, wie sie vibrierte.
»Tinchen, die Teller«, erinnerte mich meine Mutter. Ich beeilte mich, sie aus dem Küchenschrank zu nehmen und auf die Kücheninsel zu stellen, die uns an gewöhnlichen Tagen auch als Tisch diente. »Findest du nicht, dass du jetzt genug geschmollt hast?«, erkundigte sie sich und legte mir ein großes Stück meiner Lieblingspizza auf den Teller. Eindeutig ein Bestechungsversuch, trotzdem hatte ich sofort wieder schlechte Laune.
»Da ich nicht vorhabe, den Rest meiner Jugend in dieser öden Bude zu verbringen, war ich heute im Tennisclub«, sagte ich schnippisch. »Die Aufnahmeprüfung ist nächsten Montag. Und morgen treffe ich mich mit Noah und Jo. Jos Mutter hat ihm den Hausarrest an den Tagen erlassen, an denen er Sozialdienst schiebt und Noah und ich wollen ihm helfen.«
Ich sah sie herausfordernd an. Dass der Sozialdienst in einem