Der Trockene Tod. Alexander Köthe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Köthe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177211
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sein breites Kurzschwert aus bläulich schimmerndem Eronit und hält es dem Schweren an die Kehle. Als dieser, einige Sekunden lang benommen, wieder zu sich kommt und das Schwert am Hals spürt, realisiert er die Niederlage. Er blickt sein Gegenüber an, wimmert und bittet, die Arme seitlich ausgestreckt und erhoben, um Gnade.

      Niekas blickt in die flehenden Augen des Besiegten. Er riecht den Schweiß, die Todesangst.

      Noch wenige Herzschläge lang verharrt er, sein breites Kurzschwert fest umklammert. Er ist wütend.

      Die hätten mich wie ein Stück Vieh einfach umgebracht, wenn sie gekonnt hätten.

      Gnade? Nicht gegenüber einem Dschembaláng.

      Aber ich bin nicht so wie die …

      Niekas zieht sein Schwert zurück und steckt es in die Scheide an seinem Kirik-Gürtel. An den Schweren gerichtet, sagt er:

      “Bleib einfach liegen.”

      Niekas geht langsam Richtung Ausgang. Sein Blick verweilt zunächst auf dem Schweren, doch der hält Wort und bleibt, wo er ist.

      Dann schaut er auf die unbeteiligten Gäste des Wirtshauses. Die Leute stehen, keiner sitzt mehr auf seinem Stuhl. Alle schauen gebannt auf ihn, auf die Leichen, den Schweren, auf Gwenninger, nicht recht wissend, ob sie eingreifen, fliehen oder einfach dort bleiben sollen, wo sie sind. Niekas sieht Entsetzen, Furcht und Fassungslosigkeit.

      Als er beim umgekippten Spieltisch vorbeikommt, hält er kurz inne. Gwenninger liegt noch immer am Boden. Er ist wach, doch leicht benommen. Als er Niekas erblickt, versucht er sich mit den Ellenbogen hochzustemmen.

      “Du verdammter Dreckskerl!”, lispelt er. Um richtig zu sprechen, fehlen ihm die Schneidezähne.

      “Das werd ich dir heimzahlen! Ich …”

      “Ach, lass gut sein. Du wolltest einen Kampf. Du hattest einen Kampf. Du hast verloren. Bleib liegen. Vergiss die Sache.”

      Gwenningers Versuch, sich hochzustemmen, scheitert.

      Niekas setzt seinen Weg gen Ausgang fort. Er blickt sich um. Die Situation ist noch angespannt, gefährlich. Jeder hier Anwesende könnte eine Waffe ziehen. Er geht selbstbewusst, erhöht aber seine Geschwindigkeit leicht.

      Einfach schnell raus hier!

      An der Tür angekommen, dreht sich Niekas noch einmal um. Alle Augen sind auf ihn gerichtet, aber keiner bewegt sich, keiner spricht.

      Niekas umfasst die eiserne Klinke, öffnet die Tür, tritt hindurch und hinaus in die Nacht. Wenige Sekunden später hört er hinter sich die schwere hölzerne Tür der Schenke zufallen.

      Geschafft.

      Niekas ist erleichtert. Er spürt den kühlen Wind in seinem Gesicht, erfrischend, belebend. Sein Herzschlag beruhigt ist.

      Langsam geht er auf den nahen Platz zu, wo die Motor-Reisemobile parken und sich die Metallstangen zum Anbinden der Pferde befinden.

      Nur weg aus diesem Dreckskaff!

      Plötzlich wird die Tür hinter ihm mit lautem Krach aufgerissen. Im Türrahmen steht Gwenninger, eine kleine Hand-Armbrust in der Rechten.

      Er zielt, drückt ab.

      Der Pfeil saust aufs Niekas Brust zu. Schnell. Doch Niekas ist schneller. Eine kurze Ausweichbewegung und der Pfeil zischt einen halben Finger breit an ihm vorbei, fliegt weiter in die Nacht hinein und trifft. Eines der Pferde schreit vor Schmerz.

      Niekas reagiert blitzschnell. Er zieht seine Handgan - eine Feuerwaffe aus der ‘Alten Zeit’ mit Griff, Schlitten und Magazin - und schießt.

      Die Kugel aus gehärtetem Stahl trifft Gwenningers Knie. Er fällt, schreit vor Schmerz.

      Die Sekunden verstreichen …

      Langsam geht Niekas auf den am Boden Liegenden zu, steckt seine Handgan ins lederne Halfter und sagt:

      “War das alles wirklich nötig? Wegen ein paar Münzen?”

      Gwenninger antwortet nicht. Er windet sich im Dreck und weint.

      Niekas wartet, atmet einmal tief ein und wieder aus. Dann sagt er in ruhigem, aber bestimmtem Ton:

      “Leg dich nie wieder mit einem Dschembaláng an. Begegne jedem Lebewesen mit Respekt. Jedem!”

      Schon halb zum Gehen gewandt, fängt Gwenninger plötzlich an zu schreien.

      “Du Aas hast zwei meiner Kumpels getötet. Dir hetz ich die Kopfjäger auf den Leib. Der Richter wird dich hängen lassen.”

      Niekas geht ganz dicht an Gwenninger ran und hockt sich vor ihn.

      “Gwenninger, Gwenninger. Du redest und redest, aber es kommt nicht mehr als Ebergrütze aus deiner Fressluke.

      Ich habe mich nur verteidigt. Der mit dem Dolch hat den Kerl mit dem Totschläger abgestochen, worauf er selbst von dem Schweren aufgespießt wurde. Das können mindestens dreißig Mann im Wirtshaus bezeugen.

      Das Einzige, was ich mir anlasten lasse, ist, dass ich dir nen Streifschuss verpasst habe, aber das war reine Notwehr nach Paragraf 10 ‘Delikte’, Absatz 1 ‘Kampf und Tod’ des ‘Gemeinschaftlichen Gesetzbuches der Freien Länder der Neuen Zeit’.

      Eben jene Dreißig können bezeugen, dass du wie wild mit einer Armbrust durch die Tür gestürmt bist, um mich zu erledigen. Und wenn die die große Flatter kriegen und nicht Aussagen wollen, hol ich persönlich das Pferd in den Zeugenstand, in dem grad WESSEN Pfeil drin steckt?

      Tja, Gwenninger, sieht nicht gut für dich aus.”

      “Du mieses Etwas, du …”

      “Ja, is gut. Kümmer dich um dein Knie. Ich wünsch dir noch nen schmerzlichen Abend.”

      Niekas steht auf, dreht sich endgültig um und läuft zu dem nahen Platz, wo die Pferde angebunden sind. Im Hintergrund hört er Gwenninger abwechselnd fluchen und vor Schmerz jammern.

      Dort angekommen, zieht er einem großen weißen Pferd mit einem kräftigen Ruck den Pfeil aus dem Hintern. Das Pferd wiehert laut vor Schmerz, bäumt sich auf, versucht sich loszureißen, aber Niekas sanfte Hände beruhigen es prompt.

      Niekas geht zu seinem eigenen Pferd, einem kleinen, braunen, stämmigen Steppenläufer mit weißen Flecken an Brust und Flanken und holt eine weiße Tube aus seiner schwarzen Satteltasche. Er öffnet sie und streicht dem verletzten Pferd eine orange-rote Salbe auf die Wunde.

      Gwenninger liegt immer noch im Dreck und schreit. Niemand hilft ihm.

      Niekas verstaut die Heilsalbe in seiner Satteltasche, steigt auf sein Pferd und nimmt die Zügel in die grünen, schwarz-behaarten Hände. Er wendet das Pferd, wirft einen letzten Blick zurück und reitet fort, den Steinweg entlang Richtung Istendah.

      9 2 7 n a c h A n b r u c h

      d e r N e u e n Z e i t

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      1 t e r T a g i m 1 t e n M o n a t

      d e r Z e i t d e r B l ü t e

      A m s p ä t e n A b e n d

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      S t r a ß e n a c h I s t e n d a h

Image

      Niekas verbrachte noch zwei Stunden im Sattel seines kleinen braunen Pferdes mit dem Namen Brauer. Er ritt in mäßigem Tempo den Steinweg nach Istendah entlang, ohne einer Seele zu begegnen.

      Die mit elektrischen Eisen-Laternen beleuchtete Straße führte ihn zunächst durch mit verschiedenen Gräsern bewachsene Hügel, auf denen auch vereinzelte Sträucher und Büsche standen. Ab und an vernahm er die entfernten Geräusche nachtaktiver Echsen. Doch schon wenige Meilen später verwandelte sich die spärlich-grüne Landschaft in eine leere, karge Wüste aus Steinen und brauner toter Erde.