Der Trockene Tod. Alexander Köthe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Köthe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177211
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      9 2 7 n a c h A n b r u c h

      d e r N e u e n Z e i t

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      1 t e r T a g i m 1 t e n M o n a t

      d e r Z e i t d e r B l ü t e

      A m f r ü h e n A b e n d

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      A r s t o r n

Image

      “Du betrügst! Du rübennasiger Kobold! Ich …”

      “Ebergrütze! Nenn mich noch einmal ‘rübennasiger Kobold’ und das Messer, welches ich grade unterm Tisch zwischen deine Schenkel halte, beraubt dich deiner ohnehin nur winzig klein vorhandenen Männlichkeit. Dann kannst du im Knabenchor von Pater Ollbrich in An Haseln anheuern.”

      Gwenninger schmeißt die Karten auf den hölzernen Tisch, steht langsam mit erhobenen Armen auf und macht besänftigende Gesten.

      “Schon gut, der Herr, schon gut.”

      Mit seinen dicken Waden schiebt er den einfachen Metallstuhl nach hinten, nicht ohne sein Gegenüber, einen Dschembaláng, im Blick zu behalten.

      Der wiederum fixiert Gwenninger mit zusammengekniffenen violetten Augen, bis dieser sich umdreht und den Bereich um den Spieltisch herum verlässt.

      Der Dschembaláng mit Namen Niekas sammelt die gewonnenen runden Sen’ses, dreieckigen Builas und ganze drei quadratische Aumag ein, verstaut die Münzen in seinem beigen Säckchen aus Ziegenleder und bindet es an seinen grünen Kirik-Gürtel, der der Haut einer Schlange gleicht.

      Niekas öffnet den Mund mit den vielen Reihen kleiner scharfer Zähne und bestellt beim Ober noch einen Humpen Schwarzbier mit viel Schaum. Dieser nickt nur griesgrämig und würdigt ihn keines Wortes.

      Während er auf seinen Humpen wartet, denkt Niekas:

      Die in Nebelheim hatten recht. Hier in Arstorn gibts vorwiegend hinterwäldrige Arschlöcher mit weniger Grips im Oberstübchen als en vertrockneter Feldweg.

      Früher war Arstorn eine für die damalige Zeit große Stadt gewesen, benannt nach dem Gott Arstor. Aber genau wie der Glaube an jenen Gott war auch ihr Glanz mehr und mehr verblasst, sodass Arstorn heute nicht mehr als ein bedeutungsloser Vorort Istendahs war.

      Der Ober klatschte Niekas das Lorok, wie man Schwarzbier in Arstorn nannte, missmutig auf den Tisch. Niekas ergriff den Humpen mit seiner großen, grünen, schwarz behaarten Hand und trank ihn in einem Zug leer. Er tat gelassen, spitzte aber insgeheim seine grünen, rundlichen und übermenschlich guten Ohren und lauschte, ob Gwenninger und seine Kumpane auf Rache aus waren. Scheinbar gleichmütig strich er über seine kurzen, schwarzen, borstigen Kopfhaare, holte ein Beutelchen Schnupfkräuter aus einer Seitentasche seiner grad bis über die Knie reichenden schwarzen, robusten Hose aus Keweler-Stoff und nahm einen kräftigen Zug mit der dicken, knorrigen Nase.

      Da hört Niekas, wie sie tuscheln. Kurz darauf Schritte. Vier Mann, davon einer sehr schwer. Sie teilen sich auf. Einer kommt gerade auf ihn zu. Die anderen weichen aus, kreisen ihn ein.

      Niekas tut so, als kriege er nichts davon mit, verstaut in aller Ruhe sein Beutelchen mit den Schnupfkräutern.

      Zwei geballte Fäuste donnern vor ihm auf den hölzernen Tisch. Niekas blickt auf. Gwenninger steht direkt vor dem Spieltisch und blickt ihn herausfordernd an. Und doch spürt Niekas seine Angst. Er kann sie riechen. Er kann sie sehen. Die feinen Schweißperlen auf Gwenningers Stirn. Die feinen Härchen auf der Haut, die leicht zittern.

      Niekas achtet auf die Bewegungen der anderen drei Männer. Der Schwere steht knappe vier Ellen hinter ihm. Er muss nicht nach hinten schauen, um das zu wissen. Die anderen beiden haben sich in etwas größerer Entfernung seitlich von ihm positioniert.

      “Hey Gnom!”, schreit Gwenninger.

      “Ich würde gerne noch mal über unser Spielchen von eben reden.”

      “Ach, so ohne Messerchen zwischen den Schenkeln hast du Mut bekommen? Willst nochmal verhandeln?”

      Gwenninger beugt sich tief zu Niekas hinab und sieht ihm direkt in die violetten Augen.

      “Nein. Ich will nicht verhandeln. Ich will dir die Fresse polieren, du Abschaum. Stinkender Dschembaláng. Kein Wunder, dass wir eure Art fast ausgerottet haben, so hässlich wir ihr seid!”

      Gwenninger richtet sich auf, lacht lauthals und dreckig. Lachen ertönt ebenso hinter und seitlich von Niekas. Die unbeteiligten Leute in der Schenke sind seltsam ruhig, angespannt. Noch ergreifen sie keine Partei, bleiben neutral.

      Seltsam.

      Niekas wurde schon oft beleidigt und gedemütigt. Mehrfach haben Menschen versucht, ihn zu schlagen oder gar zu töten. Neutrale Menschen sind selten, welche, die zu ihm halten, rar.

      Niekas erhebt sich. Er ist klein, gnomartig, seine Haut grün und schrundig. Von den meisten Gegnern wird er unterschätzt. Er ist stark. Und er ist blitzschnell.

      Gwenninger kippt den Tisch und versucht, Niekas darunter zu begraben. Aber es dauert keinen Wimpernschlag, da springt der Dschembaláng auf, ist plötzlich direkt neben Gwenninger und tritt ihm so stark gegen das Schienbein, dass dieser wegrutscht, fällt und mit den Zähnen des Oberkiefers genau auf der Seitenkante des Spieltisches landet.

      Blut spritzt und Zähne zersplittern. Gwenninger schreit.

      Da hört Niekas hinter sich den Schweren kommen. Auch die seitlichen Angreifer laufen los.

      Der Schwere zieht sein Schwert und stürzt sich auf den Dschembaláng. Doch Niekas spürt den Luftzug der herab schießenden Waffe. Im letzten Moment wirbelt er herum und landet neben dem Schweren. Das Schwert saust ins Leere. Sein Träger landet mit einem gewaltigen Rums auf dem Boden, gefällt durch Niekas Bein.

      Keine Pause.

      Von den Seiten preschen gleichzeitig zwei weitere Angreifer heran. Der eine trägt einen Dolch mit einer dreißig Zentimeter langen Klinge, der andere einen eisenbeschlagenen Totschläger.

      Auch der Schwere rappelt sich wieder auf.

      Der Totschläger saust Richtung Niekas Kopf. Er duckt sich seitlich weg, nutzt den Schwung des Angreifers und wirft diesen auf den Dolchträger, dessen Klinge bis zum Heft in seinen Kameraden eindringt.

      Einer weniger.

      Schon ist der Schwere wieder da und sticht wie wild mit dem Schwert nach Niekas. Er weicht geschickt aus, wird von dem Schweren aber rückwärts getrieben, genau in die Arme des Dolchträgers.

      Dieser überwindet seinen Schrecken, sticht zu. Doch Niekas Drehbewegung verhindert das Schlimmste. Der Dolch wird von seinem ledernen und Eisen-besetzten Brust-Rücken-Panzer abgelenkt.

      Und genau das war sein Plan. Der dadurch zwangsweise zur rechten Seite taumelnde Gegner hat durch seinen Schwung kurzzeitig keine Kontrolle über seinen Körper. Das nutzt Niekas.

      Er dreht sich links herum, packt mit einer Hand den Dolch-Arm des Angreifers am Ellenbogen und mit der anderen sein Handgelenk. Mit einem lauten, brutalen Knacken bricht der Arm des Angreifers über Niekas Oberschenkel gebogen wie ein Stück trockenes Holz. Der Dolch fällt klirrend zu Boden.

      Gleichzeitig benutzt Niekas seinen Gegner als lebenden Schutzschild. Der Schwere, immer noch im Versuch nach Niekas zu stechen, schafft es nicht mehr, sein Schwert zurückzuziehen und sticht dem Dolchträger mitten in die Brust.

      Die Hälfte ist erledigt.

      Der Schwere ist geschockt, gelähmt. Sein Blick schwankt zwischen seiner blutigen Klinge und den ungläubig dreinblickenden, zitternden Augen seines Kameraden.

      Niekas verliert keine Zeit. Blitzschnell platziert er sein rechtes Bein direkt hinter selbigem des Schweren, hakt es ein und zieht es mit einem gewaltigen Ruck zu sich. Gleichzeitig schlägt Niekas mit der flachen Hand gegen die Brust seines