Der Trockene Tod. Alexander Köthe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Köthe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177211
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ihn mit infernalischer Kraft nach oben - weg von seinem Bein.

      Ein lautes Peitschen ertönt. Sehnen reißen, Knochen bersten und das morsche Fleisch löst sich.

      Er ist frei.

      Blitzschnell springt er auf, aber taumelt, fällt und landet wieder auf dem harten, kalten Boden, nur wenige Schritte entfernt von der jetzt Arm-losen Leiche.

      Der Untote wimmert vor Schmerz.

      Plötzlich durchbricht ein greller Lichtstrahl den dunklen Himmel. Es ist totenstill. Nur die grässlichen Geräusche Benems, der Kraft seiner toten Beine sein verwestes Fleisch über den trockenen braunen Boden - hin zu Lu - schleift, zerstören die unendliche Stille.

      Lu wird geblendet. Das Licht sticht durch den dunklen Himmel wie die rettende Hand eines Gottes, der seinen Segen gen Erde schickt, um das Böse zu vertreiben.

      In Lu keimt eine Spur der Hoffnung.

      Plötzlich ein greller Blitz. Ein Feuerwerk aus reinem Licht zerplatzt.

      Daraus hervor tritt eine Gestalt, ganz in weiße Tücher gehüllt. Sie ist weiblich und wunderschön. Ihr langes goldenes Haar hängt in sinnlichen Schwüngen ihren Rücken hinab. Ihre Augen haben die Farbe eines klaren, wolkenlosen Himmels und die Tiefe des südlichen Meeres. Ihr Mund, ihre vollen Lippen verkörpern alles, was Lu je als begehrenswert empfunden hat. Sie ist die personifizierte Schönheit.

      Langsam kommt die Frau auf Lu zu. Sie schreitet nicht, sondern schwebt, umgeben vom Glanz ihrer bläulichen Aura.

      Lu kann den Blick nicht von ihr wenden. Auch die nahen schleifenden Geräusche scheinen in weiter Ferne, interessieren ihn nicht.

      Die Göttin ist ihm jetzt ganz nah. Sie streckt ihre zierliche weiche Hand nach ihm aus und berührt sanft sein Kinn.

      Ihr Kopf ist nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt. Er spürt ihren sanften Atem auf seinem Gesicht und wünscht sich nichts sehnlicher als ihre Lippen mit seinen zu vereinen.

      Langsam bewegt Lu seinen Mund auf ihren zu. Aber die Frau stößt seinen Kopf sanft zur Seite und legt ihren Mund ganz nahe an sein Ohr.

      “Ich erkenne dich.

      Mein kleiner lieber Junge.

      Du bist gekommen, um mich zu töten?”

      Ein grauenhaftes, dissonantes, dämonisches Lachen, das nicht der Kehle eines Menschen entspringt, zerreißt die Nacht.

      Lu erschrickt, erwacht wie aus einem Bann.

      Die Erkenntnis trifft ihn hart wie ein Donnerschlag. Er stößt sich weg von der Kreatur, von IHR - Lijerah - und blickt in pupillenlose, gänzlich tiefschwarze Augen.

      Ein fauliger Atem geht von ihr aus.

      Sie öffnet den Mund, ein Maul voller spitzer Reißzähne.

      Lu will fliehen, doch ein unbeschreiblicher Schmerz in seinem linken Unterschenkel zwingt ihn zu Boden.

      Die schrecklichen Kiefer des Untoten haben sich tief in sein Fleisch gegraben.

      Benem hat ihn erreicht, ist bei ihm, über ihm. Der Verwesungsgestank raubt ihm den Atem.

      Lu schreit, versucht, Benem von sich zu zerren.

      Ohne Erfolg.

      Der Untote ist dort, wo er sein wollte, sein Maul nur wenige Zentimeter von Lus Hals entfernt.

      Er öffnet es und fletscht die verfaulten Zähne.

      Ein letzter schrecklicher Schrei …

      Aber der Schmerz bleibt aus.

      Benem liegt auf ihm. Sein verwestes Fleisch klebt an Lus Kleidung. Die leeren Augenhöhlen starren ihn an.

      Die Kiefer des Untoten bewegen sich. Trotz der unmenschlichen Laute kann Lu klare, verzweifelte Worte verstehen.

      “Sie ist das Böse. Sie hat mir das angetan. Bitte, hilf mir!”

      Benems letzte Worte ersterben in einem schaurigen, erstickten Krächzen. Der Untote löst sich auf, wird zu Staub, den der Wind fortträgt.

      Lu ist frei.

      Er springt auf. Seine Augen suchen SIE. Aber es ist niemand mehr da.

      Lu ist alleine. Um ihn herum nichts als tote Erde.

      Dann ein lautes Krächzen.

      Er blickt gen Himmel und sieht einen großen tiefschwarzen Raben, der nach Osten fliegt.

      9 2 7 n a c h A n b r u c h

      d e r N e u e n Z e i t

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      2 t e r T a g i m 1 t e n M o n a t

      d e r Z e i t d e r B l ü t e

      A m M o r g e n

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      S t r a ß e n a c h I s t e n d a h

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      Niekas hatte auch die wenigen Stunden, die ihm in dieser Nacht noch geblieben waren, nicht wirklich geschlafen. Zwar waren ihm vor Erschöpfung ständig die Augen zu gefallen, ein ruhiger, erholsamer Schlaf hatte sich aber nicht einstellen wollen. Zu viel war am gestrigen Tag geschehen, sein Inneres zu aufgewühlt gewesen.

      Jetzt, als die elektrischen Eisen-Laternen am Wegesrand erloschen und die ersten Strahlen der Morgensonne den Himmel vorsichtig aufhellten, war es Zeit für ihn, seinen Weg fortzusetzen.

      Die Stichwunde an seiner Flanke schmerzte, als er versuchte, sich langsam von seinem provisorischen Nachtlager auf dem - dank Brauer ehemals grasbewachsenen - Boden zu erheben. Um dem Schmerz entgegenzuwirken, drückte er mit der flachen Hand auf den Verband aus Stoff, Kräutern und orange-roter Heilsalbe.

      Gestern Nacht hatte er nicht nur sich selbst, sondern auch die Schreckens-Echse behandelt. Niekas hoffte aus tiefstem Herzen, dass die Wunde an ihrer Ferse gut verheilen und das Tier überleben würde. An eine Klaue weniger würde sie sich gewöhnen müssen.

      Zwar hatte der Prädator versucht, ihn umzubringen, aber so war nun mal der Lauf der Natur. Die Schreckens-Echse hatte nicht aus abgrundtiefer Bosheit oder in einem grausamen, vom Wahnsinn getriebenen Blutrausch gehandelt. Sie war kein widernatürliches Monster, dass andere Lebewesen einfach aus Spaß abschlachtete. Nein! Sie hatte einfach vom Hunger getrieben gejagt, um zu überleben.

      Nachdem sich die Echse gestern Nacht langsam und humpelnd davon geschlichen hatte, war Niekas auf die Suche nach seiner während des Kampfes verlorenen Handgan gegangen. Als er sie gefunden hatte, war er losgezogen, sich um sein ausgebrochenes Pferd zu kümmern. Glücklicherweise hatte er nicht allzu weit den Steinweg zurück Richtung Arstorn laufen müssen. Brauer war gut trainiert und blieb normalerweise bei Niekas, egal wie gefährlich die Situation war. Dies hatte letzte Nacht zwar nicht funktioniert, das Pferd war dennoch nicht voller Panik blindlings bis zur Erschöpfung weiter galoppiert, sondern hatte in sicherem Abstand auf seinen Herrn gewartet.

      Mit einem ausgedehnten Gähnen streckte Niekas seine müden und geschundenen Glieder der Morgensonne entgegen. Das gute Gefühl, wenn sich seine Muskeln an- und wieder entspannten, wurde nur durch das Stechen in seiner Flanke getrübt. Aber auch das würde wieder vergehen.

      Er bückte sich, hob den am Boden liegenden Lederbeutel mit den Jaru-Beeren auf, von denen nur noch wenige übrig waren und gab sie Brauer zum Frühstück. Während sein Pferd genüsslich schmatzte, holte Niekas seinen letzten Proviant aus der Satteltasche, ein kleines Stück Brot, bestrichen mit Ziegenleberwurst und ein gutes Stück ‘Ahle Wurscht’. Dazu gab es einen ordentlichen Schluck Schwarzbier, der in einem fulminanten Rülpser endete, der eine kleine, schwarz-gelb gestreifte Kriechechse verängstigt aufschrecken ließ, die gerade dabei war, mitten auf dem Steinweg genüsslich ihr erstes Sonnenbad an diesem Tag zu nehmen.

      Niekas grinste breit und wischte sich mit seinem Ärmel den Bierschaum