Der Trockene Tod. Alexander Köthe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Köthe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177211
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ein, trank auf ex und gab einen satten Rülpser von sich. Mit erhobener Zornesstimme sagte er in zunehmend schwammiger Weise:

      “Warum sucht sich dieses Pack auch immer den falschen Zeitpunkt aus!? Monatelang haben wir Ruhe vor dem Gesindel und dann meinen direkt zwei Irre gleichzeitig ihr Unwesen in Istendah treiben zu müssen!”

      Lu wollte gerade zu einer weiteren Frage bezüglich der vermissten Kinder ansetzen, als sich Riderick erhob.

      “Es ist Zeit. Wie ihr euch vorstellen könnt, haben wir eine Menge zu tun. Für das Bier sei gedankt.”

      Der Hauptmann wandt sich zum Gehen, worauf seine beiden Anhängsel nachzogen. Zusammen verließen sie das ‘För Fremdigar’ und traten hinaus auf die Straßen Istendahs, die dieser Tage nicht nur unsicher waren, sondern Angst und Schrecken verbreiteten.

      Lu saß alleine an dem hölzernen Tisch und blickte in seinen Tonbecher. Er hatte kaum etwas getrunken.

      Ich war gut!

      Er lächelte. So viele Informationen bereits am zweiten Tag zu erhalten, war in der Tat ungewöhnlich.

      Fakt war: Diese Stadt brauchte Hilfe. Das Morden in Istendah würde zwar irgendwann von alleine aufhören, dafür aber an einem anderen Ort weitergehen.

      Das kann und werde ich nicht zulassen! Diesmal nicht.

      Wenn die Stadtwache wüsste, dass sie es höchstwahrscheinlich nicht mit fünf, sondern bereits mit dreizehn Toten zu tun hat.

      Die entführten Kinder!

      In den anderen Städten hatte die Bestie auch sie nicht am Leben gelassen.

      Von wegen zwei Irre!

      Es gibt nur einen Täter! SIE!

      Lu stand auf. Seine Hand glitt unbewusst an seinem linken Bein hinab, tastete und fühlte. Es tat nicht mehr weh.

      9 2 7 n a c h A n b r u c h

      d e r N e u e n Z e i t

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      2 t e r T a g i m 1 t e n M o n a t

      d e r Z e i t d e r B l ü t e

      M i t t a g s

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      I s t e n d a h / H a f e n v i e r t e l

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      “Bist du auch endlich da?”, rief Luhni Mahjos erfreut, als er Niekas heranreiten sah. Der Dschembaláng grinste breit, nahm seine schwarzen Schallmuscheln von den Ohren und stieg, mit vor Schmerz leicht zusammengebissenen Zähnen, von seinem kleinen braunen Pferd mit den weißen Flecken an Brust und Flanken. Mit seiner großen grünen Hand drückte er auf den Verband an seiner Seite. Die Wunde heilte zwar gut und schnell, schmerzte aber noch merklich.

      Lus Lächeln verflog von der einen auf die andere Sekunde. Besorgt fragte er:

      “Ist alles ok, Niekas?”

      Doch der Dschembaláng machte nur eine ‘Ach, nichts Wildes’-Geste und umarmte seinen Bruder, der mit dieser Antwort zwar nicht zufrieden war, es fürs Erste aber dabei beließ. Flachsig und mit ironischem Unterton sagte Lu:

      “Du hast es ja tatsächlich mal FAST pünktlich geschafft.”

      “Lu, du weißt doch, ich hasse die moderne Art des Reisens. Auf Schiffen wird mir immer kotzübel und diesen komischen Motor-Reisemobilen trau ich nicht.”

      Niekas Grinsen wurde noch breiter, wobei die zahlreichen Reihen seiner kleinen messerscharfen Zähne sichtbar wurden.

      “Du weißt, was den Menschen passiert ist, die mit so was rumgedüst sind? Die sind alle am Arsch. Deren Welt ist untergegangen!”

      “Ja, ja. Aber wie du siehst - ich lebe noch. Alles gut!”

      “Fragt sich nur, wie lange noch. Ich bleib lieber beim altbewährten Reisen auf meinem lieben kleinen Brauer.”

      “Sodass ich immer auf dich warten muss.”

      “Ach, Ebergrütze!”

      Beide lachten lauthals.

      Sie hatten sich vor einigen Tagen in Talberg getrennt. Lu war mit dem Schiff nach Istendah gereist, Niekas den langen Weg über die Straßen geritten. Für heute Mittag hatten sie sich bei der Hafenmeisterei Istendahs verabredet, einem zentralen Ort, der eigentlich in jeder größeren Stadt, die am Wasser lag, leicht zu finden war.

      “Wie war die Reise, Niekas? Keine Probleme?”

      “Nee, nur die alltäglichen Kleinigkeiten. Musste ein paar Typen in Arstorn vermöbeln, die mir ans Leder wollten.”

      “Und warum wollten diese Typen dir ans Leder?”

      “Ach, der eine, ein echt Grober mit auch nicht mehr Schmalz im Oberstübchen als en indronischer Wurzelwurm, konnte nicht verlieren. Meinte, ich sei ein Betrüger.”

      “Schon wieder Glücksspiel, Niekas?”

      “Jepp, das is mein Hobby. Andere sammeln Beeren oder Pilze, ich sammle lieber Münzen”, grinste er.

      Lu seufzte. Er selbst lehnte diese Art Spiele grundsätzlich ab und wusste, dass die meisten Beteiligten eh nur betrogen. Obwohl sein Bruder zu den wenigen gehörte, die wirklich ehrlich waren, brachte das Spiel ihn viel zu oft in unangenehme oder sogar gefährliche Situationen.

      Am liebsten hätte er Niekas eine seiner berüchtigten Standpauken gehalten, aber er wusste, dass er seine Worte ebenso gut an die nächstgelegene Straßenlaterne richten konnte. Wenn es um ‘sein Hobby’ ging, war Niekas ein Sturkopf.

      Somit legte er das Thema wie schon so oft auf Eis und fuhr anderweitig fort. Er spürte, dass Niekas’ Geschichte noch nicht beendet war.

      “Gibt es sonst noch was Spannendes zu berichten?”

      “Na ja, ich durfte noch ne Schreckens-Echse verarzten. Hatte sich am Bein und der Pranke verletzt.”

      Lu staunte nicht schlecht.

      “Respekt. Tierlieb warst du ja schon immer. Und zum Dank hat sie dich in die Seite gebissen?”

      “Ehrlich gesagt, hatte sie sich sogar schon ihr Lätzchen umgebunden.”

      Beide lachten und klopften sich auf die Schultern.

      “So, jetzt hab ich aber mächtigen Kohldampf, Lu. Wo zum wilden Eber gibts hier was zu Mampfen?”

      “Na, dann komm mal mit.”

      Niekas nahm die Zügel seines Pferdes und folgte seinem Bruder zur Herberge ‘För Fremdigar’.

      Lu war froh, seinen Bruder wieder bei sich zu haben. Seit er und seine Familie das kleine, verwaiste Dschembaláng-Baby am Ufer des Flusses Herijyn in seiner Heimat, der ‘Grünen Ebene’ in Danarien, gefunden und aufgenommen hatten, bildeten Niekas und er eine unzertrennliche Einheit.

      Er hasste es, wenn sie sich trennen mussten. Zwar sagte Lu es nie laut, hatte aber stets Angst, wenn Niekas allein auf den Straßen unterwegs war. Denn dass sein Bruder in Schwierigkeiten geriet, war leider keine Seltenheit.

      Die Dschembaláng waren jahrhundertelang von den Menschen verachtet, gejagt und willkürlich getötet worden. Viele hatten in ihnen nur niedere, rechtlose Kreaturen gesehen, mit denen man hatte verfahren können, wie man wollte. Das Resultat dieses unfassbaren Missstandes war ein kollektiver Zusammenschluss und Aufstand der Dschembaláng gewesen, der in dem schrecklichen Gajikyn-Krieg geendet hatte, in dem die Dschembaláng grausam vernichtet und fast ausgerottet worden waren.

      Dies war vor langer Zeit geschehen. Aber auch heute noch, wo es nicht mehr viele Dschembaláng gab, wurden sie oft nur geduldet statt geachtet und einige Menschen hassten sie noch immer - ohne Grund, weil es eben Dschembaláng waren.

      Wie zum Beweis zog Niekas auf ihrem Weg zum ‘För