Der blaue Kavalier. Albert Emil Brachvogel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Emil Brachvogel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183724
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reicher Bürgerssohn wie Du, sondern nur ’n armer Weberjunge und Bettelschüler von St. Paul gewesen, — darum ist’s billig, dass unser Haus und die Schneiderei Dir dafür auch erkenntlich sei, zu allem Guten verhelfe und in Dich seinen größten Stolz und seine Wohlfahrt setze! So wie’s gewesen ist, kann die Sache nicht mehr bleiben! Du bist für das Geschäft zu vornehm! Sollst mir nicht mehr mit Elle und Maß in der Leute Häuser rennen, was sich auch für keinen Ritter schickt, sondern als ein Kavalier und Herr leben, wie Dir behagt, studieren und tun, was Du magst. Allenfalls in den Kontobüchern kannst Du zum Rechten sehen, denn Du bist einmal, wenn der alte Craven die Augen schließt, doch das Haupt der Familie, und ich bin sicher, Du wirst ihrer auch im höchsten Glanze nicht vergessen, wirst Deinen Geschwistern beispringen, wenn’s Not tut, und dieses alte gute Haus in Ehren halten!«

      William küsste dem Überschwänglichen bewegt die Hand.

      »Das, lieber Vater, will ich gewiss und werde nie meines Ursprungs, Eurer Güte und meiner Pflichten uneingedenk bleiben. Ihr wisst ja, ich habe niemals für den Werktisch getaugt, und danke Euch recht innig, dass Ihr mich nicht länger in Fesseln schmiedet, die mein kindlicher Gehorsam doch auf die Länge nicht zu tragen vermocht hätte. Wohl sehe ich nicht ab, wie die guten Erwartungen der Leute an mir in Erfüllung gehen sollen, aber ich habe den besten Willen, den Lebenszweck, welchen Gott mir einst zuteilen mag, zu seiner wie Eurer Ehre und des Vaterlandes besten zu erfüllen.«

      »Wohlgesprochen und ritterlich, mein Sohn, Gott segne Dich und uns alle!«

      »Damit er’s aber tue, Vater, lasset uns auch gerecht sein. Nimmer wäre Rochester durch mich gefallen, nimmer solche Ehre an uns geschehen, wenn nicht, — ehe wir nach Whitehall gingen, Doderidge mir von dem Verbrechen Mitteilung gemacht hätte. Winwood, Franklins Genosse, wohnte ja im selbigen Hause wie seine Mutter und Schwester! Ihm hatte sich der Elende in seinem Rausche in der Nacht, da er heimkam, verraten! Wir verdanken Doderidge also unser Glück, und es ist billig, ihn zu belohnen. Da er ’n guter Arbeiter ist, obwohl ’n Puritaner, solltet Ihr ihn im Lohn und Arbeit verbessern, zumal die Seinen gar so arm sind!«

      »Versteht sich, Kind, versteht sich! Alles das soll geschehen! Ich will über seine Sekte und seine Niedrigkeit ganz wegsehen, er soll die Hülle und Fülle haben! Schon deshalb, mein Junge, dass er uns wegen der Geschichte mit Rochester reinen Mund hält und Deine Verdienste vor den Leuten etwa nicht schmälert! Ruf’ ihn mir sogleich, William, Du sollst mit Deinem Alten wohl zufrieden sein.«

      Infolge dieses Gesprächs erhielt Doderidge nicht nur ein namhaftes Geldgeschenk, ward nicht allein mit doppeltem Lohn unter die ersten Gehilfen aufgenommen, denen neben Edward nur Sammet, Seide und Brokat durch die Finger ging, auch des jungen Mannes Bitte, seine Schwester unter die Näherinnen des Geschäftes aufzunehmen, ward gegen das Versprechen des Schweigens erfüllt.

      Alsbald erschien Jeany Doderidge, ein sanftes, blauäugiges Mädchen im Cravenhause, dem die Purpurwangen mit den Grübchen und die milchweiße Haut vortrefflich zu dem hohen, braunen Tuchmieder mit breitem, puritanischem Kragen und der schwarzen, engen Kappe passten, die ein schmaler Spitzensaum lieblich um dies Gesichtchen abschloss. Das Mädchen war von mildem, bescheidenem Ernste, höchst arbeitsam und zurückhaltend. Bei alledem sprach sich in ihrem Benehmen aber eine Bestimmtheit aus, dass man sah, die kleine dralle Person habe einen sehr entschiedenen Charakter.

      Seit dem Tage ihres Erscheinens ging in Edward eine auffällige Veränderung vor. Er kleidete sich sauberer als sonst und war zu den Arbeiterinnen fortan viel höflicher. William, der »blaue Kavalier«, lebte nunmehr nach dem Willen seines Vaters höchst kavaliermäßig und ging seinem Studium wie seinen Vergnügungen mit schrankenloser Freiheit nach. Für andere junge Leute seines Schlages wäre dies leicht höchst verderblich geworden. Die Affenliebe eines splendiden Vaters hätte jeden anderen zum Verschwender und Wüstling gemacht, das allgemeine Lob und die Gunst des Hofes ihn zu dünkelvoller Anmaßung verleitet. William Craven war nicht von so windigem Stoffe. Studien wie Waffenübungen machten ihm ein wahrhaftes Vergnügen.

      Sein ernster, träumerischer Sinn bekümmerte sich weit mehr um den Weltlauf und seines Vaterlandes Geschicke, als die Völlerei seiner Altersgenossen, und sein Umgang galt weit mehr gesetzteren Leuten, von denen er lernen , konnte, als leichtfertigen Genossen, die zwischen Kegelspiel, Karten, Sektflaschen und Raufhändeln ihre Muße teilten. Seine Schwärmerei für edle und hohe Taten, wodurch er einst sein Rittertum verdienen wollte, sein heißes Sehnen, des Kusses jener hohen Dame einst wert zu sein, deren Bild auf ihn herab gesehen, als er Rochester entlarvte, und die Überzeugung, zwischen ihr und ihm bestehe eine sonderbare, aber absichtliche Schicksalsverkettung, hielten ihn von allem Nichtigen und Gemeinen fern. Seine Liebe für den Vater, sein Pflichtgefühl gegen die eigene Familie; und dass er sich als das natürliche Haupt derselben ansah, machten, dass er gern das Rechnungswesen des Hofschneiders fortführte und so eine Mitregierung ausübte, die der Vater ihm selber angetragen. Ritter William fand trotz allem indes keine besondere Veranlassung, sein Glück für ungetrübt zu halten, und alle Ehre wie Unabhängigkeit vermochten nicht, die Wunden zu heilen, welche ihm der heimliche Groll und Neid seines Bruders täglich — ja stündlich schlug. War Edwards Verhältnis zu ihm vordem schon ein liebloses, bitteres gewesen, jetzt wurde es ein fast feindseliges. Nur Feigheit und Eigennutz zwangen ihn zu einer Verstellung, die allein dem blöden Auge des von sich selbst berauschten Hofschneiders entgingen. Dass sein Meisterwerk, das wundervolle blaue Wams, zerfetzt worden, und der König nun ein anderes haben müsse, war Edward schon ärgerlich genug, aber William in einen Ritter verwandelt zu sehen, sein Lob in Londons Munde zu hören, dulden zu müssen, dass derselbe über alles erhaben, der Abgott und Tonangeber des Hauses werde, ja, dass er gezwungen war, besagtes blaues Wams auch noch auszubessern und zu ändern, damit es zu seinem Grimme als adliges Prunkkleid auf dem Leibe des »blauen Kavaliers« prange, das setzte seiner Erbitterung die Krone auf. So wenig William mit dem Bruder auch im Charakter übereinstimmen mochte, liebte er ihn doch, suchte dessen Fehler vor sich selbst zu entschuldigen und belächelte einen Neid, der ihm zwar verzeihlich schien, dessen er aber an Edwards Stelle unfähig gewesen wäre. Die heimliche und berechnete Bosheit desselben jedoch, der Hohn, welchen Edward allen brüderlichen Annäherungen entgegensetzte, sein offener Widerwille, der sich bei des Vaters Erscheinen in heuchlerische Freundlichkeit zu verwandeln vermochte, fielen William schwer aufs Herz, denn Edwards ganzes Benehmen zeigte ihm, dass am Sarge des Vaters einst die Maske fallen, derselbe ihm als offener Feind gegenübertreten werde.

      So ging man nebeneinander hin. Rochesters Fall wie das blaue Rittertum Williams machten bald anderen, wichtigeren Begebenheiten Platz.

      Villiers, nun Herzog von Buckingham, hatte des gefallenen Günstlings Platz zum Ärger der Nation eingenommen. Die Unzufriedenheit im Lande wuchs und der Streit der Parteien.

      In Deutschland aber hatte jener heillose Krieg begonnen, der unterm Banner der Religion dreißig Jahre den Kontinent nach allen Richtungen durchrasen sollte. Die protestantische Union und die Böhmen hatten sich gegen den Kaiser erhoben, Graf Thurn stand gegen Dampierre, Ernst von Mansfeld gegen Bouquoi im Felde, Kurfürst Friedrich v. von der Pfalz, Elisabeths Gemahl, hatte sich zum Haupte der Union erklärt, und von den Böhmen zum Könige erwählt, hatte der törichteste aller Fürsten zu Prag die Krone genommen.

      »Elisabeth von England — Böhmens Königin!« tönte es in Williams schmerzlich bewegter Brust, weshalb, wusste er selbst nicht, wider. Ach, die hohe Frau ahnte gewiss nicht, dass überm Kanal für sie das sehnsüchtige Herz eines Schneidersprösslings schlug, und ihr munterer Kuss in der Guildhall, ihr Bild in der Residenz zu London die Magnete waren, welche den Ärmsten mit fast krankhafter Sehnsucht zu ihr zogen.

      Mehr denn ein Jahr war vergangen, als der Hofschneider eines Tages den Besuch Mister Trehearnes empfing. Es war seit dem Sturze Rochesters zwar nichts Ungewöhnliches mehr, ihn im Cravenhause zu sehen, aber diesmal zeigte Sr. Majestät Türsteher schwermutsvollen Ernst, tiefe Traurigkeit. William, der sich im Comptoir über den Büchern befand, rief den Vater aus der Werkstatt.

      »Ei, ei, Mister Trehearne«, sagte der Hofschneider, »das ist für Euch eine ganz ungewohnte Tageszeit. Sonst mögt Ihr um diese Stunde doch wenig abkommen? Und was für ein Gesicht! Ist’s nicht, als wenn Ihr eben zu ’ner Leiche gingt? Um Ihro Majestät die Königin könnt Ihr unmöglich so den Kopf noch