Der blaue Kavalier. Albert Emil Brachvogel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Emil Brachvogel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183724
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nicht erschlossen.

      Sir Craven war eher Witwer geworden, als seine Kinder der Mutter entbehren konnten; sie mussten sich selbst erziehen.

      Im Oberstock des Druryhauses, sowohl die Straßenfront wie den einen Seitenflügel beanspruchend, lag die wunderbare Verschönerungs-Offizin dieses Ehrenmannes. Der erste Raum, den man von dem Treppenflur betrat, glich einer Art Laden, insofern ringsum unter Glasschränken alle denkbaren Arten kostbarer Stoffe, Stickereien, Fransen, Schnüren und Spitzengarnituren aufgehäuft lagen, an verschiedenen Kleiderrechen aber reiche Garderobenstücke umherhingen, denen man ansah, dass sie erst kürzlich aus den Händen ihrer Erzeuger gekommen waren. Das Gemach glich aber auch einem Comptoir, denn am Fenster stand ein mächtiges Pult und dabei ein Zähl- oder Warentisch. Kontobücher waren da bemerkbar, an denen zwei Schreiber arbeiteten, vor allem aber das riesige Schuldbuch lag majestätisch gebläht, in dessen stummen Tiefen das Toilettengeheimnis mancher Schönen, das halbe Vermögen manches Edelmanns schlummerte. Sir William schlug oft genug in wohlgefälligem Stolze schallend auf diesen Codex und sagte: »Das kauft mir Se. Majestät mit keiner Parlamentssubsidie ab!« —

      Besagtes Zimmer stand rechts mit des Meisters Wohnräumen, links mit den Werkstätten in Verbindung, deren erste, ein weites majestätisches Gemach, gotisch gewölbt und vordem Bankettsaal der alten Drurys, an dreien seiner hohen Fenster einen ungeheuren kreisrunden Werktisch beherbergte, auf welchem Edward Craven, wie ein General unter Stabsoffizieren, in Mitte von zehn Gesellen die Nadel schwang, indes die beiden andern Fenster der große Zuschneidetisch einnahm, welchen Sir William unter Assistenz zweier Gehilfen höchstselbst zu beaufsichtigen pflegte, falls er nicht grade auswärts war.

      In keiner andächtigen Gemeinde, keinem Audienzzimmer beim Nahen des Monarchen hätte feierlichere Ruhe herrschen können, als hier. Nur das schnalzende Zuschnappen der Scheren, welche die Zuschneider handhabten, und der gemessene Schritt Sir Williams selbst, welcher, mit wichtigen Mienen und festlich gekleidet, auf und ab schritt, tönte mechanisch wieder, während Edward und seine Umgebung mit einer so leidenschaftlichen Wut nähten, dass ihnen der helle Schweiß auf die Stirn trat. In nicht weniger fieberischer Aufregung beobachtete Sir William die Arbeit, welche sich bei jedem Stiche förderte, und teilte seinen Blick zwischen seinem zweiten Sohne, seiner dicken silbernen Taschenuhr und den Reihen von männlichen und weiblichen Arbeitern, die in den angrenzenden Zimmern in automatenhafter Gleichförmigkeit ihre Arbeiten verrichteten.

      »Fertig!« sagte einer der Gesellen und reichte sein Pensum hin, das der Sir hastig abnahm, musternd betrachtete und dann an einen leeren Ständer hing.

      »Fertig! — Fertig!« klang es bald von verschiedenen anderen Lippen um Edward her, und dieselbe Handlung des Ablieferns wiederholte sich bei verschiedenen Individuen, so dass Hose, Mantel und Bandelier, durchweg von köstlichem dunkelblauem Seidendamast, alsbald den hölzernen Träger füllten. Nur das Letzte, Wichtigste, das dickgesteppte blaue Wams mit weißem Atlas aufgeschlagen, das Werk Edwards, fehlte.

      »Eine Stunde ist nur noch Frist, heiliger Dunstan!« murmelte der Sir, und seine Unruhe verwandelte sich in Angst. »’s gilt meine Ehre, die Gnade Sr. geheiligten Majestät und all’ unsere Reputation, Mensch!« schrie er halblaut auf. Aber er bezähmte sich mittels des noch furchtbareren Gedankens wieder, dass durch eine unzeitige Hitze das wichtigste Kleidungsstück vielleicht grade im letzten Stadium noch verdorben werden könne. Er begann jedoch an seiner Kappe zu rücken, an seinen Nägeln zu kauen, und seine Schritte verdoppelten sich im Hin- und Widerrennen, so dass er einer angstvollen Maus in der Falle nicht ganz unähnlich sah.

      Plötzlich schnellte Edward auf.

      »Auch fertig!« und auf dem Werktisch triumphierend wie ein Apoll auf seinem Postamente stehend, hob er das vollendete Wams empor und wendete es lachend nach allen Seiten.

      »Also doch! Ach, wie ist mir wohl!« —

      Der Sir stand still und atmete auf.

      »Gott segne Dich, mein Junge! Gib mir’s, gib und komm herab!«

      Er nahm das Wams und betrachtete es. —

      »Ein Wunderwerk, hol’ mich dieser und jener! Ein Gewand, wie nie gesehen ward, seit ein König Altenglands Krone trägt! Kostbar, unbezahlbar! Ruft das ganze Haus her! Ruft den Mister, meinen Sohn, dass alle sich satt sehen an dem unvergleichlichsten Stück, das je auf einem allerhöchsten Leibe gesessen.«

      Während Sir William sich seinem vollen Entzücken überließ, das Gewand nach allen Seiten drehte und seine Vorzüge in Ausdrücken pries, wie ein Verliebter etwa an seine Braut verschwendet, strömte das ganze Personal tumultuarisch zusammen und stimmte im Chorus das Loblied dieses Meisterwerkes, seines Urhebers Edward, vor allen aber Sir Williams selbst an. Wie ein Monarch mit würdevollem Behagen die Schmeichelworte seines Hofstaats, so nahm der Hofschneider die Huldigungen seiner Leute hin.

      »Genug, genug! ’s ist, wie gesagt, kein Werk in London je gemacht, das den Vergleich mit ihm aushält! O, und wie wird es der Majestät sitzen! Der hohe Herr muss in dem blauen Kleide aussehen wie die strahlende Sonne am Himmel! Haha, ein köstlicher Vergleich, den ich ja nicht vergessen will, Sr. Majestät devotest vorzutragen! Packt — packt ein! Wo ist Mister Will, ich muss sogleich Mister Will haben!«

      »Doderidge ist hinüber zu ihm, er muss alsbald kommen«, sagte der älteste Zuschneider.

      »Gut, gut, Belper. Lasst zwei Pferde satteln und den großen Tragkorb bringen, den mit Linnen gefüttert, den königlichen Kleider-Tragkorb! Ridgebourn und Cower aber sollen ihn zierlich tragen. Indes tu Dir gütlich, Edward mein Sohn, Krone aller Schneider! – Wo nur der Will bleibt?«

      Mister Williams hohe Gestalt trat eben ein und schnitt alle ferneren Ausbrüche väterlicher Ungeduld ab. —

      »Was befehlt Ihr, Vater? Ich war eben über dem Fortschritt der Wissenschaften und der Weisheit der Alten, um —«

      »Was Wissenschaften, Will! Ich frage Dich, gibt’s einen größeren Fortschritt der Wissenschaften, als dieser Dein Bruder Edward in diesem Wams hingestellt hat, was?! Ist’s nicht, dass einem ’s Herz im Leibe selber himmelblau vor Freude wird? Weisheit der Alten! Junge, Junge, lass alle anderen Alten laufen und nimm dafür Deines eigenen Alten Weisheit an! Die aber ist: Kleider machen Leute, Handwerk hat ‘nen goldnen Boden, und ohne den Schneider ist Bischof und König selbst nur ein armseliges Ding auf Gottes Erde!!«

      William lächelte halb zerstreut, halb verächtlich.

      »Nun ja, Ihr habt Recht, und das Wams ist sehr schön. Aber was befehlt Ihr denn, das ich noch daran tun soll?«

      »Er daran tun!« lachte Edward höhnisch auf.

      »Von Dir? — Dran tun sollst —? Haha, da käm’ ich an den Rechten! Du wirst nie so ein Meisterstück machen können, Freund! Was Du sollst? Mich nach Whitehall begleiten, es seiner geheiligten Majestät anlegen helfen, die Ehre und den Ruhm Deines Vaters teilen, das sollst Du, mein Schatz!! Was? Macht Dich das Glück starr?! Unter die Augen treten sollst Du dem Könige, mit Deiner eigenen leibhaftigen Gestalt sollst Du’s zum ersten Male! Ist das nicht besser, als aller Fortschritt der Wissenschaft und alle Weisheit der Alten?!«

      William war glutrot geworden und hatte sich steif aufgerichtet.

      »Ich? Vor die Majestät mit Euch? Wahrhaftig, Vater, das lohnt wirklich, die Bücher einmal liegen zu lassen!«

      »So? Lohnt es?« und Edward sprang vom Werktisch. »Also ich, Sir, ich habe das Kleid gemacht, und er, der nur reitet, ficht und Bücher liest, oder höchstens einmal das Maß zur Hand nimmt, soll jetzt die ganze Ehre davon haben?!«

      »Ich lasse sie Dir ja von Herzen gern, Edward!« lächelte der Mister. »Du glaubst doch nicht, dass ich König Jakob weismachen will, ich habe das Kleid gefertigt!«

      »Wer’s machte, kann’s ihm auch anlegen, nicht dass ’n anderer ihm königliche Blicke und Gunst wegfängt!« schäumte Edward bleich.

      »Stille, Kinder, stille doch, sag’ ich! Ist’s nicht ’n rechtes Leiden, wenn man berühmt ist und deshalb ehrgeizige Söhne hat? Gib Dich, Edward, ich befehl’s Dir! Trink ein halb Dutzend Flaschen