Der blaue Kavalier. Albert Emil Brachvogel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Emil Brachvogel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183724
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der Stabträger dazwischentreten konnte, hatte der tolle Herzog den Degen gezogen, gegen den Schneider eine Fechterstellung genommen und begann unter Jauchzen und Gelächter den zitternden Ritter von der Nadel in die Enge zu treiben und im Saale umherzujagen. Prinz Wales schien zwischen peinlichem Unwillen und Heiterkeit im Streite zu liegen; während Villier sich vor Lachen die Seite hielt.

      In der Tat bot der Hofschneider ein unnachahmliches Bild komischen Entsetzens. In dem Wunsche, dem Streiche seines Feindes zu entgehen, hielt er demselben das neue Kunstwerk seiner Offizin vor, was schon deutliche Spuren der Verwundung zeigte. Dies innewerdend, suchte er dann wiederum das teure Kleid zu retten, gab dadurch seinen eigenen Körper bloß und vermochte nur durch krampfhafte Sprünge dem Stahl seines halbberauschten Gegners zu entgehen.

      Wenige Sekunden währte nur dies ausgelassene Spiel, als es durch eine jähe und ernste Katastrophe unterbrochen wurde.

      Mister William litt grenzenlos bei dieser Szene.

      Die Gedanken, welche er im stillen Anschauen des Bildes der schönen Elisabeth gehegt, selbst wenn er auch betreffs seines Namens und Standes weniger empfindlich gewesen wäre, waren schlecht geeignet, solchen Anblick kalten Blutes zu ertragen. Es sah seinen Erzeuger nicht nur mit Worten insultiert, sondern auch der lächerlichsten Art der Entwürdigung anheimgegeben, die dadurch wuchs, dass der Betroffene ein wehrloser Greis war, und die hellen Augen jenes schönen, heißgeliebten Frauenbildes auf den gemarterten Sohn herniedersahen und ihn zu ermutigen schien.

      Eben war der Hofschneider atemlos durch einen kolossalen Bocksprung einer neuen Attacke entgangen, als Mister William aus der Fensternische wie ein deus ex machina hervorbrach, mit kunstgerechtem Faustschlage aufs Handgelenk des Peinigers denselben entwaffnete und, ihn an der Brust packend, in die nächste Ecke schleuderte.

      »Noch sind die Craven, Mylord, so feige nicht, heimlich den Freund zu vergiften, wenn sie auch ihr nied’rer Stand Eurem billigen Spotte feil gibt!«

      »Um Gotteswillen, zurück!« rief Trehearne.

      »Was redet der Mann da!« rief Prinz Carl, scheu zurücktretend. »Wer ist das?«

      »Was wollt Ihr mit dem Vergiften sagen!«

      Villier sprang herzu.

      »An ihn! Lasst mich an dieses Vieh!« stöhnte wild der Herzog und suchte nach seinem Dolche.

      »Ich sage, Hoheit«, wendete sich William heftig zu dem Prinzen, »dass wenn der Herzog den Ritter Oversbury im Tower vergiften lassen konnte, sein Mut wohl unter dem eines Schneiders steht!!«

      »Heiliger Gott, nein! Es ist nicht wahr, ich selber tat’s nicht, ich —!!«

      Rochester stand totenbleich, der Rausch war verflogen, Entsetzen lähmte ihn.

      »Weil’s Franklin, der Apotheker, für Euch tat! Bei meinem Leben, es ist so!«

      »Wachen her!« donnerte Prinz Carl. »Ihr seid Gefangener des goldnen Stabs, Mylord Rochester! Nimm den jungen Menschen fest, Villier, das muss untersucht werden! Still, Herzog, kein Wort, bei Eurem Haupte!«

      Hellebardiere drangen ein, es herrschte augenblicklich eine unbeschreibliche Verwirrung.

      »Was, was ist hier los! Verrat? Wer hat das Wort gesprochen? Wo, wie! –«

      »Die Majestät«, murmelte alles und trat zurück.

      Jakob I., welcher heftig und schneidend diese Frage getan, stand zitternd mitten in der Versammlung. Alle Häupter entblößten sich.

      Prinz Carl trat vor und erzählte den Hergang, die Beschuldigung des Herzogs durch William Craven, und wie sich der Herzog wider Willen halb schuldig bekannt. Villier und Trehearne bestätigten mit einem Eifer, der ziemlich parteiisch aussah, die Angaben des Thronerben.

      »Aber das ist doch eine schreckensvolle Geschichte, Mylords! O Herzog, Herzog, müssen Wir das von Euch denken? Fatum Bachumque! Fatum Bachumque! Aber es soll alles rechtmäßig untersucht werden, alles! Wo ist Bacon, Mylord Bacon!«

      »Hier, zu Euer Majestät Befehl«, und der berühmte Rotkopf drängte sich heran.

      »Vernehmt den Herzog augenblicklich in der grünen Kammer, lasst ihn gut bewachen! Villier, führt den jungen vorlauten Burschen in die hintere Galerie und haltet ihn wohl, dann kommt sogleich zu Uns. Cecil und Du, Kindlein Carl, lasst Uns aber diese vermaledeite Geschichte überlegen. Es sind schlimme Zeiten! Mors in calice! Aber Wir wollen ein strenger Richter sein! Wahre jeder indes seine Zunge!«

      Damit ging der König hastig durch die aufgeregte Versammlung nach seinem Zimmer, gefolgt von den Befohlenen. Trehearne schloss es sogleich und postierte sich davor, während die äußere Tür von Leibtrabanten besetzt blieb. In demselben Augenblicke wurde der bleiche, ganz nüchtern gewordene Rochester und Mister William nach zwei verschiedenen Seiten abgeführt.

      Der Hofschneider mit seinem defekten Kunstwerk aber blieb, vor Schreck, Erschöpfung und Staunen außer sich, in der Halle zurück.

      Sein Sohn folgte, von Bewaffneten umgeben, indes Lord Villier gesenkten Hauptes. Wider Willen hatte er sich zum Helden des Tages gemacht, wider seine eigentliche Absicht Rochester angeklagt. Nun sein Blut kühler ward, stellte er sich alle Folgen vor Augen.

      Er beschloss, sie männlich auf sich zu nehmen, und gab sich heilig das Wort, den armen Doderidge nicht in die Sache zu verwickeln.

      Durch verschiedene Zimmer gelangte er endlich an eine Tür, welche Villier öffnete, den Wachen bedeutete, zurückzubleiben, und William befahl, ihm zu folgen.

      Derselbe leistete stumm Gehorsam und befand sich in einer Art Galerie mit dem Höflinge allein. —

      Villier hieß ihn setzen und betrachtete ihn lange mit sonderbaren Blicken.

      »Sagt, Mister Craven, hat Eure Anklage wirklich ernsten Grund? Wenn Euch Eure Ohren und Eure rechte Hand lieb sind, sagt offen, was Ihr wisst, denn die verliert Ihr unfehlbar, wenn man Euch als Verleumder eines Herzogs überführt! Wie kommt Ihr zu der Sache?«

      William wiederholte ihm alle Angaben, die ihm Doderidge gemacht hatte, aufs Genaueste, nur dass er dessen Namen verschwieg.

      »Und wer ist der Jemand denn, der Euch das mitteilte? Ihr begreift doch, dass es ein Zeuge ist?«

      »Nein, denn der Mann ist ein — Puritaner und Ihr wisst, Mylord, dass man solchem nicht Glauben beimisst. Ich sollte meinen, darauf käme aber wenig an, und der arme Bursche bliebe füglich außer Spiel. Wenn die beiden Apotheker, der Herzog, und wer noch dabei half, zum Geständnis gebracht werden, braucht’s dieses Mannes wohl nicht mehr. Zeigt sich aber, dass alles Dunst war, so bin ich allein der Verleumder und will einen Freund nicht ins Verderben ziehen. Er hat Mutter und Schwester zu ernähren, Mylord!« —

      »Wahrhaftig, für ’nen Schneider habt Ihr nicht bloß Geschicklichkeit und Mut, sondern auch Ehre! Ihr seid Sir Cravens ältester Sohn?«

      »Zu dienen, Mylord!«

      »Was Ihr angabt, könnt Ihr doch beeiden? —«

      »Dass ich es so und nicht anders gehört habe!«

      »Gut, mein mutiger Held von der Elle. Wenn sich des Herzogs Schuld ausweist, werdet Ihr nicht nur viel königliche Huld empfangen, nicht nur bei vielen hohen Leuten Euer Glück machen, sondern ich werde, beim Eide eines Kavaliers, Euer ewiger Schuldner sein. Seid gewiss, dass ich den ausgezeichneten Dienst auf glänzende Art wettmachen werde, den Ihr mir heute geleistet!«

      »Ich Euch, Mylord?«

      »Ganz gewiss, mein allerliebster Goldkerl. Wenn Ihr Rochester stürzt, habt Ihr Villier an seine Stelle gehoben, und bei Gott, diese Schneiderarbeit soll Euch mehr einbringen, als hättet Ihr hundert Jahre den königlichen Hof mit Atlas versorgt!«

      Er drückte lachend an einer Feder in der Wand, eine Tür rauschte im Getäfel auf, er verschwand, und die Öffnung schloss sich wieder. William war allein.

      Wie lange er in krausen Gedanken verloren gesessen hatte, wusste er kaum, nur dass der Tag sank und die Galerie